Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Johann Victor Bredt, Erinnerungen des Marburger Rechtsprofessors und Politikers, 1914-1921

Abschnitt 7: Kapp-Putsch in Marburg, 1920

[156-157]
Am 14. März 1920 saß ich morgens früh beim Morgenkaffee, als das Telefon schellte. Landrat von Loewenstein1 rief mich an und sagte: „Lassen Sie alles stehen und liegen, trinken Sie Ihren Kaffee später und kommen Sie sofort auf das Landratsamt." Ich machte mich also auf den Weg und hörte schon auf der Straße vom Kapp-Putsch! Der Landrat wußte nicht, was er tun sollte und fürchtete das Schlimmste. Sofort sagte ich ihm, die Sache werde Fiasko machen; ich kennte Herrn Kapp und kennte vor allem die von ihm ernannten „Minister". Ich ließ dann den Vorsitzenden der Sozialdemokraten rufen und sagte ihm, er möge sich den sinnlosen Aufruf zum Generalstreik sparen, denn hier in Marburg werde alles ruhig bleiben. Der Mann war aber mißtrauisch und wollte sich vorher noch erkundigen. Ich ging unterdessen zum Reichswehr-Bataillon und fragte dort, wie das Militär sich verhalten wolle. Die Antwort lautete: der Kommandeur sei nicht da und das Bataillon warte auf Befehle aus Kassel. Das hieß alles oder nichts, und ich sagte dem Landrat, wir müßten jetzt einfach als Kreisausschuß die Zügel in die Hand nehmen und einstweilen auf eigene Faust hier regieren. Es war unterdessen telegrafisch ein Erlaß des Oberpräsidenten Schwander2 eingegangen, der zur Verfassungstreue aufforderte. Ich schrieb darunter: Der Kreisausschuß wird nach den Anweisungen des Oberpräsidenten auf dem Boden der Verfassung verfahren.3

Die Kreisausschuß-Mitglieder wurden herangeholt oder telefonisch ins Bild gesetzt. Sie gaben alle ihre Unterschrift; nur jener Sozialdemokrat verlangte [S. 157] vorher eine Erklärung, daß die Verfassung von 1919 und nicht etwa die von 1871 gemeint sei! Ich gab sie ihm, und auch er war zufrieden. Gegen Mittag war unsere Erklärung überall angeschlagen, und der Tag verlief völlig ruhig. Am folgenden Tage waren der Landrat und ich froh, daß wir den Kopf nicht verloren hatten.


  1. Max von Loewenstein zu Loewenstein (1870—1949).
  2. Rudolf Schwander (1868—1950), 1919—1930 Oberpräs, der Provinz Hessen-Nassau, der DDP nahestehend.
  3. „Der unterzeichnete Kreisausschuß steht [verbessert: wird] auf dem Boden der von der Nationalversammlung gegebenen Verfassung und erkennt nur eine Regierung an, die auf verfassungsmäßigem Wege zustande kommt. Er hat die vollziehende Gewalt für Stadt und Land an sich gezogen.Seinen Anordnungen ist Folge zu leisten.“ Undatierter Entwurf von Bredt, in: Hess. Staatsarchiv Marburg: 180 L. A. Marburg 1937/47 Nr. 36.

Personen: Bredt, Johannes Victor · Löwenstein zu Löwenstein, Max von · Kapp, Wolfgang · Schwander, Rudolf
Orte: Marburg · Kassel
Sachbegriffe: Kapp-Putsch · Landräte · SPD · Reichswehr
Empfohlene Zitierweise: „Johann Victor Bredt, Erinnerungen des Marburger Rechtsprofessors und Politikers, 1914-1921, Abschnitt 7: Kapp-Putsch in Marburg, 1920“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/62-7> (aufgerufen am 19.04.2024)