Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Albert Schorn, Kriegs-Chronik der Stadt Camberg, 1914-1921

Abschnitt 18: Günstige Ernteergebnisse, Folgen der Seeblockade

1917.

Leise Hoffnung regte sich während der ersten Tage des neuen Jahres in aller Herzen. Die deutsche Regierung hatte den Feinden ein Friedensangebot gemacht. Ob sie es annehmen würden? Der 3. Januar brachte die Antwort auf diese bange Frage: das deutsche Volk war um eine schwere Enttäuschung reicher.

Rauher Winter legte sich drückend auf die allgemeine Stimmung. Am 20. Januar stand das Thermometer 21° C unter Null. Die ältesten Leute konnten sich einer solchen Kälte kaum erinnern. Der Frühling schien ausbleiben zu wollen. Die Bittprozession am 25. April bewegte sich durch kahle Fluren. Sorgenvolle Blicke schweiften über die zurückgebliebene Winterfrucht. Inbrünstiger als je erscholl das alte Lied: „Lasset, Christen, Gott nur walten!" Wenige Tage später zog mit all seiner Herrlichkeit der Lenz ins Land. Der 1. Mai des Jahres 1917 wird uns unvergeßlich sein. Das war aus einmal ein Blühn und Sprießen, als wollte die Natur alles nachholen, was sie in allzu langer Winterzeit versäumt hatte. Groß und Klein strömte, die hehre Maienkönigin zu grüßen, zur Maiandacht. In Feld und Garten regten sich die Hände in fieberhaftem Fleiß. Die Heeresverwaltung stellte der Stadt 4 Pferde für die Feldarbeit zur Verfügung. Der Mai hielt, was er versprochen hatte. Selbst die gefürchteten Eisheiligen hatten diesmal ein Einsehen und bescherten uns statt verderblicher Nachtfröste eine fast drückende Schwüle. Ein guter Sommer folgte und eine zwar nicht reichliche, aber doch befriedigende Ernte. Die Winterfrucht hatte zu sehr gelitten. Aber was an Kartoffeln und Obst eingebracht wurde, überstieg die kühnsten Erwartungen. Allein an Aepfeln wurden von Camberg und Umgebung 240 Waggons a 200 Zentner verladen. Die Preise beliefen sich bei Tafelobst auf 45 Mk., bei gewöhnlichem Obst auf 35 Mk. für den Zentner. Auch die Beeren- und Bucheckernsammler hatten leichte und lohnende Arbeit.

Die gute Ernte war ein Segen für unser Volk. Von draußen kam kaum noch was ins Land. Die feindliche Blockade sperrte die meisten Zufuhrwege ab. Der Mangel an Rohstoffen für die Industrie und an Lebensmitteln ward immer fühlbarer. Am die Blockade zu durchbrechen, eröffnete die deutsche Regierung am 1. Februar 1917 den unbeschränkten A-Bootkrieg. Hatte sie sich bisher mit Rücksicht auf die Neutralen, besonders auf Amerika, Beschränkungen auferlegt in der Anwendung ihrer Kampfmittel zur See, so war sie nunmehr entschlossen, den Kampf ums Dasein unterm vollen Einsatz aller Waffen durchzuführen. In genau bezeichnten Sperrgebieten um Großbritannien, Frankreich und Italien herum sowie im östlichen Mittelmeer wurde jeder Seeverkehr rücksichtslos bekämpft. Nur für die regelmäßigen amerikanischen Passagierdampfer wurden beschränkte Ausnahmen zugelassen. Gespannt verfolgter: wir Tag für Tag und Woche für Woche die Ziffern der A-Bootsiege. Ob das große Werk gelingen würde? Eine verhängnisvolle Wirkung zeitigte es bald: Amerika trat in die Reihe unserer Feinde. Dafür kam im März frohe Kunde aus dem Osten. In Rußland brach die Revolution aus. Ihre Folge war der militärische Zusammenbruch dieses Gegners. Rumänien folgte bald. Nun es den Rücken bald frei hatte, konnte Deutschland fast seine ganze Macht gegen Westen richten. Wir warteten aus den entscheidenden Schlag.


Empfohlene Zitierweise: „Albert Schorn, Kriegs-Chronik der Stadt Camberg, 1914-1921, Abschnitt 18: Günstige Ernteergebnisse, Folgen der Seeblockade“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/34-18> (aufgerufen am 16.05.2024)