Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Julius Reuch / Heinrich Weber, Kirchenchronik von Groß-Felda

Abschnitt 8: Kriegsmüdigkeit und Waffenstillstand

[620-622] Das Jahr 1918 ist für das gesamte Vaterland sowohl, wie für unsere Gemeinden in besonderem Sinne ein Jahr der Trauer. Dieses letzte Kriegsjahr brachte unseren Gemeinden schwere, tiefbeklagenswerte Opfer an jungen Männern. Schon gegen Ende des Jahres 1917 nahm die Kriegsmüdigkeit immer mehr zu. Einen Hoffnungsschimmer gewährte der Waffenstillstand mit Rußland am 14. 1. 1918. Nachdem man es [S. 621] nur noch mit einer Front zu tun hatte, hoffte man auf ein rascheres und günstigeres Ende des Krieges. Am Anfang des Jahres kam eine Verordnung der Behörde heraus, daß die Schweine, auch die Ferkel bis auf die Zuchttiere abgeschlachtet werden müßten, um die Getreidebestände zu schonen. Diese Verordnung hatte später einen empfindlichen Mangel an Fleisch zur Folge. Gleichzeitig wurden während des Winters 1917/18 die Hausschlachtungen genau kontrolliert. Die geschlachteten Schweine wurden im Beisein des Polizeidieners gewogen. Darauf wurde berechnet, wie lange die betreffende Familie mit dem Vorrat auskommen müßte. Dabei war es den Familienvätern erwünscht, wenn das Gewicht möglichst gering angegeben wurde. Man hatte auf ein baldiges Kriegsende gehofft, da man es nur mit einer Front zu tun hatte, da hörte man gegen Januar wieder den Geschützdonner von der Westfront in unserer Gegend ähnlich wie im Februar 1916 von Verdun aus. Die beurlaubten Krieger brachten wenig trostreiche Nachrichten mit. Man hörte, daß es in den Kompagnien immer lichter würde. Das war auch kein Wunder. Der Grund lag nicht allein darin, daß es so viele Tote gab, sondern noch in einer anderen Tatsache: Auf den Dörfern wurden viele Bauernsöhne beurlaubt, weil die Väter Holzfuhren für die Heeresverwaltung übernommen hatten.

Da nun auch zum Auffüllen des Heeres immer mehr und neue Reserven herausgezogen wurden, so kamen auch verheiratete Landwehrmänner an die Front und es häuften sich die Todesnachrichten von Familienvätern. Dadurch wuchs der Widerwille gegen die Fortführung des Krieges im Dorfe und es wurden Stimmen laut, die von Schwindel und kapitalistischem Unternehmen sprachen. Im Oktober 1918, als der Waffenstillstand bekannt wurde, atmeten die meisten erleichtert auf, weil sie des Krieges müde waren. Die Einsichtigen erkannten bereits, daß der Krieg verloren war. Wie richtig diese Ansicht war, zeigte sich sehr bald. Schon nach wenigen Tagen kehrten die Urlauber, die wieder zur Front fahren wollten, zurück. Man hatte ihnen in Giessen die Waffen abgenommen und ihnen die Achselstücke von den Uniformen abgerissen.


Personen: Weber, Heinrich
Orte: Groß-Felda · Russland · Verdun · Gießen
Sachbegriffe: Kriegsmüdigkeit · Brest-Litowsk / Frieden · Schweine · Fleisch · Kanonendonner · Landwehr · Waffenstillstand
Empfohlene Zitierweise: „Julius Reuch / Heinrich Weber, Kirchenchronik von Groß-Felda, Abschnitt 8: Kriegsmüdigkeit und Waffenstillstand“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/28-8> (aufgerufen am 19.04.2024)