Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Julius Reuch / Heinrich Weber, Kirchenchronik von Groß-Felda

Abschnitt 2: Kriegsgottesdienste und Ausrücken der Soldaten

[615-616] Dem Kriegsgottesdienst (Sonntag, 2. August, der Mobilmachungstag), an dessen Schluß sich die Kriegsteilnehmer mit Handschlag von ihrem Seelsorger verabschiedeten, folgte am 4. August die erste Kriegsbetstunde mit dem Abendmahl der Landwehrleute und ihrer Frauen. Von dieser Woche ab wurden bis zur Erkrankung des Pfarrers im März 1915 wöchentlich 3 Betstunden, und zwar je eine in Groß-Felda, Kestrich und Windhausen gehalten. Diese Betstunden waren auch in der arbeitsreichsten Erntezeit trotz des Leutemangels sehr stark besucht. In der ersten Kriegswoche herrschte in Stadt und Land ungeheuere Aufregung über vermeintliche Fliegerangriffe und Spionengefahr. Die wildesten Gerüchte gingen und wurden geglaubt. Bald war ein feindlicher Flieger im nahen Wald niedergegangen, bald hatte man verdächtige Personen im Feld gesehen. Tag und Nacht waren die Ortseingänge durch quer über den Weg gestellte Wagen und Wachtposten gesichert. Wehe einem fremden Automobilfahrer, der es versucht hätte, in diesen ersten Kriegstagen eine Reise durch Oberhessen anzutreten. Er wäre mit der besten Legitimation nicht lebendig durch unsere Dörfer gekommen. Besondere Fürsorge wurde auf die Bewachung der Bahnen gewandt. Zur Sicherung der Truppen- und Munitionstransporte gingen mehrere Abende hintereinander junge und ältere Männer, z. Teil mit Gewehren bewaffnet, auf Wunsch des Kreisamtes an die Bahnstrecke zwischen Ehringshausen und Zell, um dort Wachdienst zu versehen.

Schon am ersten Mobilmachungstag verließen uns einzelne Vaterlandsverteidiger. Vom 2ten Mobilmachungstag (Montag) an steigerte sich dann die Zahl der Ausziehenden von Tag zu Tag. Morgens in aller Frühe wurden die Krieger auf Leiterwagen nach Ehringshausen zur Bahn gefahren. Da gab es noch manch herzhaftes Händedrücken von treuesten Wünschen begleitet und um die Ecke manch letztes Winken mit nassen Augen auf Nimmerwiedersehen.

Auffallend war die niedrige Zahl der im aktiven Heer dienenden Groß-Feldaer. Bei Kriegsausbruch stand bei der Infanterie des aktiven Heeres kein einziger Mann. Die Heeresverwaltung hat diesen Mangel durch starke Heranziehung der Ersatzreserve und jungen Landsturmrekruten sehr bald beseitigt. Auch die Reservisten waren spärlich vertreten. Um so zahlreicher rückte die Landwehr ins Feld.

Als Kriegsfreiwillige meldeten sich aus dem Kirchspiel: Willi Koch von Windhausen, zuerst Seminarist, dann Kaufmann und Otto Scharmann aus Kestrich, Dienstknecht daselbst. Die Liste der Kriegsteilnehmer hat im Frühjahr 1916 der Landwirt Kaspar Schneider zu Groß-Felda, seit Juni ds. Jahres Kirchenvorsteher von Groß-Felda im Auftrag des Chronikschreibers dankenswerter Weise aufgestellt. Seine Mitarbeiter sind gewesen von Windhausen Kirchendiener Joh. Reinhard daselbst und für Kestrich der dort ansässige Kirchendiener Ludwig Mohr.


Personen: Reuch, Julius · Koch, Willi · Scharmann, Otto · Schneider, Kaspar · Reinhard, Ludwig · Mohr, Ludwig
Orte: Groß-Felda · Kestrich · Windhausen · Ehringshausen · Zell
Sachbegriffe: Kriegsgottesdienste · Pfarrer · Landwehr · Kriegsbetstunden · Erntearbeiten · Fliegerangriffe · Spione · Spionenfurcht · Straßensperren · Bahnwachen · Truppentransporte · Munitionstransporte · Mobilmachung · Infanterie · Landsturm · Reservisten · Kriegsfreiwillige
Empfohlene Zitierweise: „Julius Reuch / Heinrich Weber, Kirchenchronik von Groß-Felda, Abschnitt 2: Kriegsgottesdienste und Ausrücken der Soldaten“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/28-2> (aufgerufen am 16.04.2024)