Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Rudolf Hoffmann, Briefe aus dem Weltkrieg 1914-1918

Abschnitt 12: 18.2.1915: Brief des Julius Elenau aus Hartenrod

[135-136]

Erläuterung:
Julius Elenau wurde am 27. Januar 1878 in Hartenrod (heute Gemeinde Bad Endbach, Landkreis Marburg-Biedenkopf) geboren. Er fiel am 7. September 1915 bei Soyécourt (Département Somme) in Frankreich.


Schützengraben bei La Boisselle1, 18. Februar 1915.

Habe vorgestern das erste, heute das zweite Paketchen von Euch erhalten. Sage Euch dafür von Herzen Dank. Alles war unversehrt. Gestern und heute habe ich gefrühstücktwie ein König, wenn ich auch dabei mit meinen vier Buchstaben im Schlamm sitze. Zu gleicher Zeit mit Eurem zweiten Paket kam ein solches aus dem Schwarzwald mit echtem Schwarzwälder Speck. Diesem wäre es bald schlecht gegangen. Als ich mit dem kostbaren Inhalt in mein Mauseloch kriechen wollte, muß wohl so ein neidischer Franzmann etwas gerochen haben, denn der Satan schießt mir mitten durch meinen Speck. Hätte er mir durch meinen eigenen Speck, der allerdings jetzt sehr durchwachsen ist, geschossen, so wäre das ein bißchen unangenehmer gewesen. Das Loch im Speck hat übrigens tadellos geschmeckt. Das Entsetzen kann ich mir gar nicht ausmalen, wenn mir der Spitzbube durch mein Cognakfläschchen geschossen hätte, denn ein solch köstlicher Tropfen aus der Heimat ist gar nicht zu ersetzen.

Ich habe einen Polen bei meinen Leuten, ein prächtiger, unerschrockener Kerl. Der arme Kerl bekommt nur selten etwas von zu Hause. Ich gebe ihm manchmal einen Bissen. Dafür tut er mir alles, was er mir an den Augen absehen kann. Als ich den ersten Schluck aus meinem Fläschchen nahm, grinste er mich mit seinen großen Augen an. Ich frage: «Warum grinst Du?» «Haben Unteroffizier einen guten Schnaps?» Er sah mir zu, wie ich am Frühstücken war und machte mir unwillkürlich alle Bewegungen mit dem Munde nach. Als ich ihn eine Zeitlang beobachtet hatte, rief ich ihn zu mir und reichte ihm das Fläschchen. Er putzte sich schon von weitem den Mund ab, nahm das Glas in seine Bärentatze und liebäugelte damit, wie in seiner Heimat mit einer Maruschka, dann grinste er mich an, schloß die Augen und mit einem tiefen Seufzer und mir einer nie gesehenen Andacht nahm er einen kleinen Schluck, setzte das Fläschchen ab, verdrehte vor Wohlbehagen die Augen, grinste mich dankbar an und reichte es mir zurück mit den Worten: «O Herr Unteroffizier, haben Sie aber einen guten Schwester! [S. 136] Jetzt können die Franzmann kommen, haben Janko jetzt aber fürchterliche Courage». Er geht und schießt wie wahnsinnig in die französischen Schützengräben.


  1. Heute Ovillers-la-Boiselle, Gemeinde im französischen Département Somme.

Personen: Elenau, Julius
Orte: Hartenrod · Soyécourt · La Boiselle · Ovillers-la-Boiselle · Schwarzwald
Sachbegriffe: Feldpost · Feldpostbriefe · Feldpostkarten · Schützengräben · Schwarzwälder Speck · Westfront · Franzosen · Cognak · Polen · Unteroffiziere
Empfohlene Zitierweise: „Rudolf Hoffmann, Briefe aus dem Weltkrieg 1914-1918, Abschnitt 12: 18.2.1915: Brief des Julius Elenau aus Hartenrod“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/173-12> (aufgerufen am 29.03.2024)