Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Erlebnisse des August Heep aus Biebrich in russischer Gefangenschaft, 1914-1918

Abschnitt 1: Gefangennahme zu Kriegsbeginn in Warschau

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Erlebnisse aus russischer Gefangenschaft von August Heep

[handschriftlich eingefügt: seit 1.8.1908 als Laborant b. Firma Kalle u. Co Warschau (Rußland)]


Am 1. August 1914 nach Ausbruch des Krieges begab ich mich morgens früh (Sonntag) auf das Deutsche Consulat um mich zu erkundigen, wie ich mich zu verhalten hätte; dort wurde mir gesagt, dass ich am Nachmittag wieder vorsprechen sollte. Ich ging nun durch verschiedene Strassen, um mir die Bilder, welche sich abspielten, anzusehen. Herzzerreisend war es, wie alte Mütter und Greise, Kinder und Frauen um ihre Angehörigen tobten, denn soviel ich sah, waren sämtliche Soldaten sehr niedergedrückt und betrübt, fröhliche Kriegsgesichter bekam ich nicht zu sehen. Auf dem Marktplatz, wo des Sonntags sonst ein sehr reger Verkehr herrschte, war alles still; verschiedene Judenfrauen waren zu sehen. Ich erkundigte mich bei ihnen, weshalb sie nicht ihre Läden aufmachten; darauf bekam ich zur Antwort: wir haben Angst, der Preusse kommt, und dann wird uns alles abgenommen.

Des Nachmittags begab ich wieder zum Consulat, natürlich war es jetzt das amerikanische1 und erhielt einen Ausweis, dass mir keine Gelegenheit geboten ist, über die Grenze zu kommen. Bis dahin hatte ich noch den Trost nach Deutschland zurückzukommen, aber nun war alles aus. Ich begab mich nun zu meiner Wohnung und wartete der Dinge, die da kommen sollten. 8 Tage harrte ich nun aus, und las die schrecklichsten Gerüchte der Russen, Sieg auf Sieg und Beute auf Beute. Am Montag den 8. August morgens früh um 8 Uhr erschien plötzlich (d.h. ich war seit Freitag vorbereitet) unser Revieraufseher, und bat mich mit auf das Revier zu kommen; ich leistete sofort Folge und ging mit ihm. Als ich auf das Revier kam, wurde mir gesagt, dass ich Gefangener sei, und mich als solcher zu benehmen hätte. Da ich aber kein Gepäck bei mir hatte, bat ich in meine Wohnung telefonieren zu dürfen, welches mir dreimal verweigert wurde; erst das vierte Mal gelang es mir, und nach kaum einer viertel Stunde erschien meine Schwägerin und brachte das Gepäck sowie Esswaren. Ich bat nun, da ich sehr grossen Hunger hatte, mir etwas Brod zu geben, und hielt es mir sehr schwer solches zu erhalten; ferner [S. 2] bat ich um ein Glas Wasser, wofür ich 30 Kopeken = 60 Pfg zahlen musste. Ich sass nun in dieser ganzen Zeit (etwa 2 Stunden) in einem kleinen Raum mit Gitter. (Löwenkäfig). Um ½ 11 Uhr erschienen nun 7 bewaffnete Schutzleute, welche mich, meinen Schwager und dessen Bruder, die mit mir dasselbe Los teilten, gefesselt nach dem Rathaus brachten, natürlich auf grossen Umwegen, um dem Volk die grosse Beute, welche sie an uns drei harmlosen Menschen gemacht hatten, zu zeigen. Auf dem Rathaus angekommen wurden wir als Revolutionäre eingetragen, und gesammelt. Als ich unterschreiben sollte, äusserte ich mich, dass ich doch kein solcher sei; darauf bekam ich zur Antwort, das macht nichts, die Scheine sind eben mal so gedruckt. Um 6 Uhr abends kamen wir in das neue Zuchthaus; dort wurden wir eingetragen, einer Leibesvisitation unterzogen, und inhaftiert. Zum Glück kam mein Schwager, dessen Bruder und ich in eine Zelle woselbst aber bereits schon 20 Mann lagen. Als wir eintraten stockte mir das Herz, denn ich glaubte mich unter lauter Verbrechern zu befinden, bis einer uns zurief: " Seid ihr auch Deutsche ? “da atmete ich wieder auf. Wir bekamen nun für 3 Mann 2 Strohsäcke, und machten unser Lager auf der Erde, denn wir waren sehr müde von dem vielen laufen.


  1. D.h. das Konsulat der Vereinigten Staaten in Warschau hatte die konsularische Vertretung von deutschen Staatsbürgern übernommen.

Personen: Heep, August
Orte: Biebrich · Warschau · Polen · Russland
Sachbegriffe: Kriegsbeginn · Kalle & Co. · Konsulate · Soldaten · Juden · Kriegsangst · Preußen · Russen · Zivilgefangene · Zuchthäuser
Empfohlene Zitierweise: „Erlebnisse des August Heep aus Biebrich in russischer Gefangenschaft, 1914-1918, Abschnitt 1: Gefangennahme zu Kriegsbeginn in Warschau“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/122-1> (aufgerufen am 28.03.2024)