Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Grabdenkmäler

Übersichtskarte Hessen
  • Vorschaubild
  • Vorschaubild
  • Vorschaubild
  • Vorschaubild

Unbekannte Person um 1200, Ziegenhain

Ziegenhain · Gem. Schwalmstadt · Schwalm-Eder-Kreis | Historisches Ortslexikon
Standort | Merkmale | Beschreibung | Inschrift | Nachweise | Zitierweise
Standort

Standort:

Ziegenhain

Heutiger Aufbewahrungsort:

Der Stein ist heute (nicht achsengerecht) in die Südwand der Schlosskirche eingelassen. Einst saß er im Erker der abgebrochenen ehemaligen Renterei hinter der Kirche (16. Jh.) und wurde später in die Mauer rechts der Kirche eingesetzt. Die Stadtkirche befindet sich an der Stelle des spätmittelalterlichen Friedhofs von Ziegenhain.

Merkmale

Datierung:

um 1200

Typ:

Scheibenkreuz-Grabstein

Material:

Sandstein

Erhaltung:

teilweise erhalten

Größe:

35.5 x 35.5 cm (B x H)

Beschreibung

Beschreibung:

Weitere Maße (in cm):

Scheibendurchmesser 35,5; Längsbalken: in der Mitte 5, oben 6,2 breit;

Querbalken: in der Mitte 5, außen 6 breit; Länge der Balken 27; Länge der Arme je 10,5, des Kopfes 10; Abstand der Querbalkenarme von der Peripherie der Scheibe rechts und links 4, des Kopfes oben 3; Tiefe der Ausarbeitung 4,5 bis 5.

Mit der Ausweitung des Verbreitungsgebietes mittelalterlicher Scheibenkreuz-Grabsteine in Hessen trat in Ziegenhain ein Stein in den Blickpunkt des Interesses, der in die Mauer eingelassen ist, welche die Kirche mit dem Schloß verbindet und den Renthof gegen den Paradeplatz abschließt. Das kaum beachtete Bruchstück wurde gelegentlich als Schlußstein der ehemaligen mittelalterlichen Kirche der Stadt angesprochen. Da die Ergebnisse der Arbeiten über mittelalterliche Scheibenkreuz-Grabsteine diese Auffassung infrage stellten, schien eine klärende Untersuchung des Steins erforderlich. Hierzu mußte das Stück der Mauer entnommen werden. Nach Ende der Untersuchung wurde der Stein - der denkmalpflegerischen Auflage folgend - wieder an der gleichen Stelle in die Mauer eingesetzt.

Leider ist die Rückseite des inschriftlosen Steins vollständig zerstört, weshalb sich die Hoffnung nicht erfüllte, durch den Nachweis einer Zweiseitigkeit auf einen mittelalterlichen Scheibenkreuz-Grabstein zweifelsfrei schließen zu dürfen. Dafür erbrachte die Untersuchung andere, nicht minder wesentliche Anhaltspunkte, die diesen Nachweis dennoch ermöglichen.

Hierzu gehören folgende Gesichtspunkte:

1) Die Längsorientierung des Kreuzes

Der Stein zeigt auf seiner erhaltenen Seite das vertraute Bild eines Scheibenkreuzes. Allerdings ist das Kreuz nicht streng punktsymmetrisch gegliedert; vielmehr ist der Querbalken um zwei Zentimeter nach oben verschoben. Die damit verbundene Verkürzung des Kopfes tritt jedoch nicht augenfällig in Erscheinung, da auch die beiden Arme des Querbalkens verkürzt sind. Wie die photographische Aufnahme, überzeugender die zeichnerische Rekonstruktion zeigen, ist der Abstand der beiden Querbalkenenden von der Peripherie der Scheibe größer als der des Kopfes. Hierdurch sind die Arme und der Kopf untereinander nahezu gleichlang, doch kürzer als der Stamm des Kreuzes. Es erscheint deshalb berechtigt, auf eine gewollte Längsorientierung zu schließen. Im Gegensatz hierzu weisen die Strahlen in den drei noch erhaltenen, muschelförmig vertieften Sektoren auf den Scheibenmittelpunkt hin und ergeben zusammen einen punktsymmetrischen Strahlenkranz.

2) Merkmale unterschiedlicher Verwitterung

Ein wichtiges Kriterium für im Freien aufgestellte und somit der Witterung ausgesetzte Scheibenkreuz-Grabsteine ist die oft starke Verwitterung ihrer runden Oberseite, während die anderen Flächen vergleichsweise gut erhalten sind und Einzelheiten ihrer Bearbeitung erkennen lassen. Auch der vorliegende Ziegenhainer Stein zeigt deutlich Unterschiede im Erhaltungszustand seiner ursprünglichen Oberflächenbearbeitung, obgleich der verwendete Sandstein sehr hart und witterungsbeständig ist. Hieraus darf man folgern, daß der Stein einst lange im Freien aufrecht stand.

3) Der Fundort

Wie eine Aufnahme, wohl aus den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, zeigt, saß der Stein einst im Erker der (vor 1972) abgerissenen ehemaligen Renterei hinter der Kirche, ein schlichter Bau des 16. Jahrhunderts. Soweit heute noch feststellbar, wurde der Stein entfernt, als man ein Fenster erweiterte und dazu ein Teil der Erkermauer herausgebrochen werden mußte. Anschließend setzte man den Stein in die kleine Mauer rechts der Kirche ein. Da sich der mittelalterliche Friedhof Ziegenhains einst da befand, wo heute der Neubau der evangelischen Stadtkirche der Jahre 1665/68 steht, könnte der Stein bei Errichtung der ehemaligen Renterei als erhaltenswertes Werkstück wiederverwandt worden sein.

4) Spuren farbiger Fassung

Mittelalterliche Grabsteine waren oft farbig gefaßt. Als Beispiele seien hier der spätmittelalterliche Grab-Kreuzstein im Dommuseum zu Fulda (vgl. Ludwig Pralle, Das Dom-Museum zu Fulda, Fulda 1965, S. 10, Nr. 21) und ein Scheibenkreuz-Grabstein aus Butzbach genannt. Auch der Ziegenhainer Stein trägt im linken, unteren Sektor kräftige rote Farbreste auf einer Kalkunterlage. Diese Reste farbiger Fassung waren durch Mörtel verdeckt und traten erst nach seiner Entfernung zutage.

5) Die Datierung

Schwierig gestaltet sich die Datierung des in seiner Art bisher einmaligen, inschriftlosen Scheibenkreuzes. Eine Diskussion kann sich nur auf seine auffallend reiche, künstlerische Gestaltung stützen. Die sich zu einem Strahlenkranz vereinigenden muschelartigen Vertiefungen der vier Sektoren sowie die perlschnurartige Fassung der Kreuzbalken weisen bemerkenswerte Parallelen mit Nimben der romanischen Kleinkunst und Großplastik auf. Hier sei insbesondere auf die romanischen Reliefplatten in der ehemaligen Probsteikirche St. Peter auf dem Petersberg bei Fulda aus der Zeit um 1170 hingewiesen (vgl. Erwin Sturm: Die Bau- und Kunstdenkmale des Fuldaer Landes I, Fulda 1962, S. 424-425). Wesentlich erscheint vor allem der Nimbus der Platte, die Christus als Weltenlehrer zeigt (Sturm, loc. cit., Abb. auf S. 421). Das Ziegenhainer Scheibenkreuz dürfte aufgrund anzunehmender Tradierung jünger als die Reliefplatten vom Petersberg sein. Man geht wohl in der Annahme nicht fehl, es einem weiter zu fassenden Zeitraum um 1200 zuzuordnen, wobei die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts wahrscheinlicher ist als die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts.

Faßt man die fünf diskutierten besonderen Merkmale des Ziegenhainer Scheibenkreuzes zusammen, die Längsorientierung des Kreuzes, die stelenartige Aufstellung im Freien, den Fundort in unmittelbarer Nachbarschaft eines mittelalterlichen Friedhofs, die Reste farbiger Fassung und die Datierung, so darf man zweifelsfrei auf einen spätromanischen Scheibenkreuz-Grabstein aus einem weiter zu fassenden Zeitraum um 1200 schließen.

Dargestellte Personen:

Unbekannte Person, gestorben um 1200.

Nachweise

Literatur:

  • Azzola, Juliane und Friedrich Karl: Mittelalterliche Scheibenkreuz-Grabsteine in Hessen (= Hessische Forschungen zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde Heft 10), Kassel 1972, S. 15-17 (Text) und 66-71 (Abb.)

Orte:

Butzbach · Fulda · Petersberg · Ziegenhain

Sachbegriffe:

Romanik · Farbfassungen

Bearbeitung:

Azzola, Juliane und Friedrich Karl: Mittelalterliche Scheibenkreuz-Grabsteine in Hessen (= Hessische Forschungen zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde Heft 10), Kassel 1972 [danach Otto Volk und Andreas Schmidt, HLGL].

Zitierweise
„Unbekannte Person um 1200, Ziegenhain“, in: Grabdenkmäler <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/gdm/id/1185> (Stand: 5.10.2022)