Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Topografie des Nationalsozialismus in Hessen

Übersichtskarte Hessen

Haina (Kloster), Landesheilanstalt

Haina (Kloster), Gemeinde Haina (Kloster), Landkreis Waldeck-Frankenberg
Klassifikation | Nutzungsgeschichte | Indizes | Nachweise | Abbildungen | Zitierweise
Klassifikation

Kategorie:

Verfolgung

Subkategorie:

Euthanasie 

Nutzungsgeschichte

Beschreibung:

Die kommunale Selbstverwaltung der Landesheilanstalt Haina des Bezirksverbandes Kassel wurde im Mai 1933 aufgehoben. Neuer Träger war der Bezirksverband Hessen-Nassau. 1937 folgte die Unterstellung kirchlicher Pflegeeinrichtungen in die staatliche Verwaltung und ab 1938 kam es zu Verlegungen von Patientinnen und Patienten aus der katholischen Anstalt St. Antoniusheim in Fulda, Bethel und der evangelischen Anstalt Hephata in Treysa nach Haina, wo es zur kontinuierlichen Kürzung der Pflege- und Verköstigungssätze kam.

Durch die Erhöhung der Belegungszahlen kam es zu einer immer weiteren Verschlechterung der allgemeinen Lebensbedingungen in der Anstalt. Befanden sich 1937 noch 800 Patientinnen und Patienten in der Einrichtung, waren es während der Kriegsphase etwa 1.200. Unter ihnen befanden sich ab 1937 Patientinnen aus Merxhausen, die in Haina auch als hauswirtschaftliche Arbeitskräfte eingesetzt wurden. Zur selben Zeit kamen männliche Häftlinge aus der Korrigenden- und Landarmenanstalt Breitenau nach Haina, die zur Arbeit eingesetzt wurden. 1939 kamen 91 weitere Männer aus der grenznahen saarländischen Landesheilanstalt Merzig und wurden nach Haina verlegt. Mit der Errichtung eines Reservelazaretts verstärkte sich die Vernachlässigung der Patientinnen und Patienten weiter. 562 Betten waren für Angehörige der Wehrmacht vorgesehen. Im selben Jahr folgten etwa 500 französische und später russische Kriegsgefangene inkl. einer Wachmannschaft. Die Folge dieser Verdrängungsmaßnahmen war, dass zur Unterbringung der Patientinnen und Patienten nur noch sehr begrenzter Raum zur Verfügung stand und viele von ihnen in Doppelstockbetten und auf Strohsäcken liegen mussten. Die daraus resultierende Verschlechterung der Versorgungs- und Hygienezustände sorgte wie in vielen anderen Einrichtungen auch in Haina für die Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes der Patientinnen und Patienten und einer Erhöhung der Sterblichkeitsrate. Kalte Winter sorgten für ertragsarme Ernten und Ernährungsengpässe, was zeitlich mit einem Anstieg an Infektionserkrankungen korrelierte. Während das Durchschnittsgewicht von 62,5 kg in 1937 auf 58,1 in 1943 sank, stieg die durchschnittliche Todesrate von 4 % vor Kriegsbeginn auf 13,8 % in 1940, 11,3 % in 1944 und 17 % in 1945 an. Erst in den 1950er Jahren sank die Sterblichkeit unter den Patientinnen und Patienten merklich.

Wie in vielen anderen Einrichtungen gehörten jüdische Patientinnen und Patienten auch in Haina zu den ersten Opfern der zentralisierten Mordphase. Im Herbst 1940 wurden 30 von ihnen aus Haina erst nach Gießen und von dort mit weiteren acht aus Marburg und 13 aus Merxhausen in die Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel transportiert und ermordet. Ab 1941 erfolgten die Transporte der nichtjüdischen Patientinnen und Patienten aus Haina in die hessischen „Zwischenanstalten“ und in Folge in die Tötungsanstalt Hadamar, wo mehr als 700 Personen aus Haina meist am gleichen Tag ermordet wurden.

Im Rahmen der Entnazifizierung wurde der ärztliche Direktor Dr. Erich Zeiß entlastet. 1947 wurde er aus der Haft entlassen und war von 1948 bis 1952 erneut mit der Anstaltsleitung bedacht. Bemerkenswert ist die vergleichsweise hohe Rückstellungsquote von etwa 30 % (mindestens 233 Patientinnen und Patienten). Arbeitsfähigkeit in Verbindung mit Produktivität wurde im Lichte zweckrationaler Motive der Anstaltsökonomie entscheidendes Selektionskriterium der NS-"Euthanasie". Auch Zeiß begründete die vielen Rückstellungen später so. Der Bericht des Betriebsarztes der „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten“, der im Sommer 1944 vor Ort war, kritisierte, dass man in Haina nicht an der Ermordung der Patientinnen und Patienten mitwirken wolle. Vielmehr „päppele“ man sogar völlig „verblödete Kinder“. Die Anstalt Haina unterscheidet sich damit von anderen Einrichtungen des Bezirksverbandes, in denen systematischer gemordet wurde. Von einer Mitschuld am weitgehend reibungslosen Ablauf der „Euthanasie“ kann man die Anstalt und ihre Akteurinnen und Akteure nicht freisprechen.

Die LHA war auch an der Durchführung von Zwangssterilisationen auf Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN) beteiligt. Nach Inkrafttreten am 1.1.1934 erfolgte in den kommenden zwei Jahren die Zwangssterilisation zahlreicher Patienten. Die Eingriffe erfolgten in der Chirurgischen Universitätsklinik Marburg.

Nutzungsanfang (früheste Erwähnung):

1937

Nutzungsende (späteste Erwähnung):

1945

Weitere Nutzungen des Objekts:

Nutzung vor NS-Zeit:

Im 19. Jahrhundert wurde das ehemalige Zisterzienserkloster in eine Heil- und Pfleganstalt für psychisch Kranke umgewandelt.

Indizes

Orte:

Haina (Kloster)

Sachbegriffe:

Euthanasie · Gesundheitswesen · Verfolgung · Zwangssterilisation

Nachweise

Literatur:

Gedruckte Quellen:

Zitierweise
„Haina (Kloster), Landesheilanstalt“, in: Topographie des Nationalsozialismus in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/nstopo/id/99> (Stand: 18.2.2024)