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Verurteilung Rosa Luxemburgs in Frankfurt wegen Aufrufs zur Wehrdienstverweigerung, 20. Februar 1914

Das Frankfurter Landgericht verurteilt die Linksintellektuelle und Dozentin an der Parteischule der SPD in Berlin, Rosa Luxemburg (1871–1919), wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu einem Jahr Haft. Luxemburg hatte am 25. und 26. September 1913 auf zwei Friedenskundgebungen gemahnt, nicht die Mordwaffe gegen unsere französischen Brüder zu erheben und zur Wehrdienstverweigerung aufgerufen.

Der sozialdemokratische „Vorwärts“ findet das Urteil ungeheuerlich und unverständlich und schreibt dazu: Die Verurteilung war nur möglich durch die völlige politische Verständnislosigkeit für die sozialdemokratischen Anschauungen. Dem Gericht will nicht in den Kopf, daß das Volk darüber zu entscheiden habe, ob Mordwaffen gegen die Brüder jenseits der Grenzen zu erheben sind. Es ist platterdings unverständlich, daß die energische Abwehr gegen die Kriegshetze, daß der Krieg gegen den Krieg etwas Erlaubtes und im Interesse der Kultur Notwendiges ist. Das Kolleg, das die Angeklagte dem Gericht gelesen hat, fiel auf steinigen Boden. Der Staatsanwalt sah in der Angeklagten die politische Gegnerin. Sein Plädoyer war das Plädoyer der Furcht vor der Agitation der Angeklagten. Verstieg er sich doch sogar zu einem Haftantrag gegen die zu ihren Worten stehende Angeklagte. Der Militarismus in dem Sinne des blindesten Kadavergehorsams glaubt der Staatsanwalt durch die Angeklagte gefährdet. Ihm ist unverständlich, wie das Volk die durchaus gesetzliche Macht hat, einem Krieg entgegenzutreten. Ein Bravo der Angeklagten und zu Unrecht Verurteilten, die tapfer und unerschütterlich zu ihrer Ansicht stand und leider vergeblich sich bemühte, den engen Horizont des Gerichts zu erweitern. Völliges Nichtverstehen der Ursachen der weltgeschichtlichen Zusammenhänge machen allein das Fehlurteil erklärlich. Das Gericht hat formell die tapfere Streiterin verurteilt, in der Tat die bestehende Gesellschaftsordnung, der es zu dienen glaubte, die aber nach dem Urteil nicht einmal eine Propaganda für den Völkerfrieden vertragen kann. Die Verurteilung zeigt deutlicher als viele Reden, wie notwendig die Agitation gegen die Kriegshetzer, und wie notwendig die Erfüllung der Losung ist: Krieg dem Kriege ! Sie zeigt aber auch die bestehende Rechtsunsicherheit.
(OV)

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„Verurteilung Rosa Luxemburgs in Frankfurt wegen Aufrufs zur Wehrdienstverweigerung, 20. Februar 1914“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/446> (Stand: 26.11.2022)
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