Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

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Umschlag des Briefes des Kriegsgefangenen Kohl aus Kassel auf einem englischen Propaganda-Flugblatt, 1918

↑ Briefe hessischer Soldaten auf englischen Propaganda-Flugblättern, 1914-1918

Abschnitt 3: Brief des Gefr. Kohl als Propaganda-Flugblatt

Im Felde, den 4. März 1918. Meine liebe Freundin!

Heute komme ich endlich wieder einmal dazu mich ein wenig mit Ihnen zu unterhalten, Ihnen vor allem für das prächtige Buch zu danken, daß ich vorgestern mit noch einem Kartenbrief erhielt. Ihren Brief, in dem Sie mir ein Bild als Zigeunerin kostümiert versprechen, habe ich auch erhalten, aber ich war doch etwas enttäuscht, denn ich erwartete schon mit jenem Brief ein Bild von meiner Freundin. Ich freue mich ja nun riesig auf das Bild im Maskenkostüm, das Sie als eine Tochter der Pußta darstellt, aber trotzdem möchte ich sie um noch ein anderes Bild bitten, ein Bild, das Sie als blondes deutsches Mädel zeigt. Bitte, bitte erfüllen Sie doch auch diesen Wunsch eines Landsknechtes und bitte recht, recht bald. Nun zu Ihrem Buche; wenn sie wüßten, meine liebe Freundin, was für eine Freude Sie mir damit gemacht haben. Gar oft wenn wir da vorne in Flandern in den nassen kalten Granttrichtern hockten, wenn die Nacht heraufgezogen war und mitleidig alles, Freund u. Feind, Lebende und Tote, in ihren großen schwarzen Mantel hüllte, wenn das tiefe Dunkel nur durch die Leuchtkugeln zerrissen wurde, in solchen langen Nächten, die uns endlos lang deuchten, oder wenn wir an den Gräbern gefallener Kameraden standen, die und mehr gewesen waren als viele andere, dann sprang uns gar oft eine Frage an, eine Frage, die sich wütend in unser Gehirn krallte und Antwort heischte. Und nur immer die selbe eine Frage: Warum? „Warum liegst Du hier in diesen Löchern?“, „Warum? Warum?, Für wen?“, „Warum mußtest Du sterben? Warum Du gerade, Heinz Wortberg mein liebster Freund?“, „Warum mußte Dich gerade beim Sturm auf die Schaper-Sappe die tödliche Kugel ereilen?“, „Für wen bist Du gefallen ?“ Ich grüble und grüble und ich weiß mir keine Antwort. Ich denke an das Gelernte in der Schule zurück, was man mich gelehrt hat von Vaterland u. Freiheit, ich denke, denke daran wie begeistert ich Soldat geworden bin und wie müde, ach so müde ich jetzt das Kriegshandwerk bin. Aber man kann es auch müde werden dieses Leben hier, wenn man all die Ungerechtigkeit hier draußen sieht und man darf dazu nichts sagen.


[Umschlag:] Feldpostbrief
[Adresse:] Fräulein Else Reichenbach, in Cassel, Schlachthofstraße 31
[Absender:] Gefreiter Kohl, 1/466


Erläuterungen: Der Gefreite Kohl, vielleicht aus Kassel, war Kriegsgefangener in England. Sein Brief wurde vermutlich seit April 1918 zu Propagandazwecken genutzt. Der Faltbrief hat eine Größe von 19 x 31 cm und trägt den Brieftext auf der Rückseite des abgebildeten Umschlags (der Innenseite). Das Flugblatt mit dem Brief wurde vermutlich in einer Auflage von 10.000 Exemplaren gedruckt.
Druck des Textes und der Abbildung bei: Kirchner, Flugblätter aus England 1914-1918, S. 190.


Keywords: Feldpost · Feldpostbriefe
Recommended Citation: „Briefe hessischer Soldaten auf englischen Propaganda-Flugblättern, 1914-1918, Abschnitt 3: Brief des Gefr. Kohl als Propaganda-Flugblatt“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/77-3> (aufgerufen am 20.04.2024)