Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ J. H. Döbrich / Bickel, Mobilmachung und Ausmarsch des Feldartillerie-Regiments Nr. 25, 1914

Abschnitt 1: Kriegsbereitschaft des Artillerie-Regiments Nr. 25

[9-10]
Mobilmachung und Aufmarsch

Das Großherzogliche Artilleriekorps stand 1914 in Bezug auf Ausbildung in der Blüte seiner Kraft. Die verflossenen Jahre angestrengter Arbeit in alle vielseitigen Dienstzweigen hatten ein Offizier- und Unteroffizierkorps herangebildet, das seiner Führeraufgabe gewachsen und zu höchsten Leistungen geeignet war. Der Mannschaftsstand, zum weitaus überwiegenden Teile rein landsmannschaftlich zusammengesetzt, war in bester Verfassung und gab den Batterien des Regimentes eine große Gleichmäßigkeit.

Die jährlichen Schießübungen hatten gezeigt, daß die Batterien einen vorzüglichen Ausbildungsstand erreicht hatten, und daß Bedienung, Material und Bespannung eine kriegsbrauchbare Waffe in der Hand ihrer Führer waren.

Das Regiment stand kurz vor seinem Ausrücken zu den Regiments- und Brigadeübungen, die gerade in diesem Jahre von einem großangelegten Kaisermanöver zwischen Main und Neckar gekrönt werden sollten, als der politische Horizont durch die fluchwürdige Mordtat in Serajewo verdunkelt wurde.

Wohl niemand ahnte, daß diese feige Tat der Auftakt zu einem Weltkriege sein sollte, daß das eintreten sollte, was Generalfeldmarschall v. Moltke vorahnend am 14. Mai 1890 bereits ausgesprochen hatte1: „Wenn der Krieg, der schon mehr als 10 Jahre lang als ein Damoklesschwert über unseren Häuptern schwebt, wenn dieser Krieg zum Ausbruch kommt, so ist seine Dauer nicht abzusehen. Es sind die größten Mächte Europas, welche, gerüstet wie nie zuvor, gegeneinander [S. 10] in den Kampf treten; keine kann in einem oder in zwei Feldzügen so vollständig niedergeworfen werden, daß sie sich für überwunden erklärte, daß sie auf harte Bedingungen hin Frieden schließen müßte, daß sie sich nicht wieder aufrichten sollte, wenn auch erst nach Jahresfrist, um den Kampf zu erneuern. Es kann ein siebenjähriger, es kann ein dreißigjähriger Krieg werden …“.

Wir Soldaten, erzogen zu ernstem Waffenhandwerk, waren aber bereit, die Probe zu bestehen, wenn unsere Feinde es nicht anders wollten. Unsere unvergeßliche Armee war unbestritten die erste der Welt; es galt als eine Auszeichnung, Soldat zu sein. Führer und Truppe erfüllten die harten Anforderungen eines anstrengenden Dienstes mit Opferwilligkeit und im Stolz auf die Zugehörigkeit zu dem mächtigsten deutschen Volksheere.

Wochen banger Erwartung folgten, bis zu erkennen war, daß nur das Schwert eine Sprengung des um Deutschland geschmiedeten Ringes bringen konnte. So war es geradezu einer Erlösung aus banger Erwartung und dumpfer Ungewißheit, als am 31. Juli 1914 die „drohende Kriegsgefahr“ erklärt wurde. S.M. der Kaiser zögerte immer noch, das Äußerste zu tun, damit das deutsche Volk vor der Weltgeschichte nicht als Angreifer dastehen sollte. An den Zar Nikolaus von Rußland telegraphierte er an jenem Tage in banger Sorge, da bei ihm die Hauptentscheidung lag: „Nicht ich trage die Verantwortung für das Unheil, das jetzt der ganzen zivilisierten Welt droht“.

Das war eine letzte Warnung an die Welt, es nicht zum äußersten kommen zu lassen. Heute wissen wir, daß unsere Feinde zu jener Stunde den Krieg schon fest beschlossen hatten, daß es für sie kein Zurück mehr gab. Deutschland mußte nun handeln, denn es galt Sein oder Nichtsein!


  1. Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke d.Ä. (1800-1891). Siehe Reichstagsprotokolle 1890/92, 1 S. 76.

Persons: Moltke, Helmuth d.Ä. von · Wilhelm II., Deutsches Reich, Kaiser · Nikolaj II., Russland, Zar
Places: Main · Neckar · Sarajevo
Keywords: Artillerie · Artillerie-Regiment Nr. 25 · Artilleriekorps · Großherzogtum Hessen · Offizierskorps · Unteroffizierskorps · Kaisermanöver · Manöver · Attentat von Sarajewo · Nationalismus · Militarismus
Recommended Citation: „J. H. Döbrich / Bickel, Mobilmachung und Ausmarsch des Feldartillerie-Regiments Nr. 25, 1914, Abschnitt 1: Kriegsbereitschaft des Artillerie-Regiments Nr. 25“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/42-1> (aufgerufen am 30.03.2024)