Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources


Contents

  1. Ausflug nach Marburg, die Stadt als Heerlager
  2. Ausflug nach Marburg, Truppentransporte als Attraktion

↑ Gustav Lehr, Besuch in Marburg in den ersten Kriegswochen, 1914

Abschnitt 2: Ausflug nach Marburg, Truppentransporte als Attraktion

[Nr. 2]
Sogleich hatte ich aber einen anderen Reisegefährten an meiner Seite. Ein ebenfalls groß gewachsener junger Mensch war es, aber er sah blaß und schwächlich aus. Kein Wunder. Der Mann war, wie er mit erzählte 5/4 Jahre in der französischen Fremdenlegion in Afrika gewesen. Auf meine Frage, wie er denn von dort habe fliehen können, erzählte er, es sei ihm gelungen, auf ein englisches Schiff in Alexandrien zu kommen. Glücklicher Weise war dies noch vor Ausbruch des Krieges, sonst würden sich die Engländer seiner wohl nicht angenommen haben. Nach Deutschland zurückgekehrt, stellte sich der Ausreißer der Behörde und mußte zunächst eine kurze Gefängnisstrafe wegen Entziehung von der deutschen Wehrpflicht verbüßen. Er hatte seine Strafe in Marburg abgesessen und suchte nun nach Hanau zu kommen, wo er sich beim Landsturm melden mußte. Wie er zur Fremdenlegion gekommen war, darüber wollte er nicht reden, schilderte dieselbe aber, wir wir sie schon aus mannigfachen Schilderungen kennen, als einen Schandfleck der Menschheit.

Hatte ich vergeblich gehofft, in Marburg französische Kriegsgefangene zu sehen, so sollte ich wenigstens auf dem Rückwege von Marburg nach Niederwalgern einen deutschen Soldatenzug an mir vorbeifahren sehen. Der Zug brachte deutsche Krieger, die aus Belgien kamen, auf den Kriegsschauplatz im Osten. Die Leute waren voller Begeisterung. Wir winkten ihnen und sie uns Grüße zu. Gott mit euch, ihr tapferen Streiter! Der Eisenbahnzug bot ein buntes Bild. Die Türen der Wagen standen auf. Zum Teil stellten die Soldaten ihre Beine auf die Trittbretter, manche saßen oder lagen auf dem Dache der Wagen. Letztere waren hier und da mit Grün geschmückt. Man sah es den Kriegern an, daß sie aus Feindesland kamen. Scherzweise hatten sich manche die fränzösische militärische Kopfbedeckung, das Käppi, aufgesetzt. Andere trugen grellrote Schärpen, die ebenfalls den Franzosen abgenommen waren. Mein Reisegefährte, der ehemalige Fremdenlegionär, erklärte mir diese Dinge näher. Doch bald mußten wir uns wieder trennen. Von Niederwalgern konnte ich nach Gladenbach wieder die Bahn benutzen.


Persons: Lehr, Gustav
Places: Marburg · Hanau · Niederwalgern · Belgien · Gladenbach · Alexandria (Ägypten)
Keywords: Fremdenlegion · Landsturm · Gefängnisse · Kriegsgefangene · Soldatenzüge · Uniformen
Recommended Citation: „Gustav Lehr, Besuch in Marburg in den ersten Kriegswochen, 1914, Abschnitt 2: Ausflug nach Marburg, Truppentransporte als Attraktion“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/25-2> (aufgerufen am 20.04.2024)