Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Feldpostbriefe und -karten des Einjährig Freiwilligen Richard Weber aus Wächtersbach

Abschnitt 9: 23.9.1914: Feldpostbrief aus Condé an die Schwester

[4]

Condé1, 23.9.1914

Liebe Schwester!

Heute am Todestag unseres Vaters erhalte ich Dein Paket mit dem komischen Inhalt: 1 Waschlappen und 1 Stück Seife. Was soll ich damit? Ich sehe doch wie töricht Ihr Euch einen Weltkrieg von daheim vorstellt. Offiziere sowohl wie Mannschaften denken doch gar nicht an waschen. Ich habe mich zum letzen Mal in Remich2 am 16. August an meines Vaters Geburtstag, also vor fünf Wochen, gewaschen. Hier hat alles ganz kurz geschorenes Haar, einen äußerst struppigen Backenbart und ganz dreckiges Gesicht, so feldgrau wie die Uniform selbst. So sehen wir äußerlich aus. Und sonst? Jetzt komme ich auf den anderen Punkt, der Deinem Waschlappen weit entfernt ist. Sonst haben wir nichts wie Haut und Knochen und krumme Haltung vom schweren Tornister und eins noch, was ich Euch gar nicht schreiben wollte: Einen solchen Durchfall oft in der ganzen Armee, daß wir oft stundenlang auf dem Bauche liegen mit solchen Schmerzen und solch dünnem Ausfluß aus Mund und After, daß einem die Tränen in den Augen stehen. Ich habe es auch einen Tag gehabt und Gott sei Dank nie wieder. Woher kommt das? Von der Verpflegung. Wir erhalten abends warme Suppe, die aus Bachwasser und ganz warmem, frischem Rindfleisch hergestellt ist. Wenn Gefechte sind, kann die Küche nicht beifahren und die alte Suppe wird noch bei Tag spazieren gefahren, und wir essen das am anderen Abend. Und jedesmal nur Suppe und ein Stück Brot und ein Säckchen Zwieback verdaut der Magen schlecht, daher das schlechte Aussehen und die große Schwäche in den Gliedern. Und was schickst Du? Waschlappen und Seife! Also, hoffentlich weißt Du jetzt, woran es fehlt. Der Schokolade war bis jetzt das einzige, was der dünnen Brühe etwas Bindung gab. Von dem Schokolade habe ich aber von Dir nur erst ein Paket erhalten, von Mutter noch keins. Das muß alles unterwegs sein. Hoffentlich kommt‘s noch. Ich habe in den letzten Wochen ein Mädel vom Roten Kreuz kennengelernt, die mich Gott sei Dank täglich unterstützte, mir neue selbstgestrickte Strümpfe, Leibbinden, Keks, Schokolade, Bonbons, Zeitungen, kurz alles mögliche beschaffte und zwar in einer Zeit, wo ich von Euch noch kein Paket hatte, sie so meinen Gesundheitszustand einigermaßen aufrecht erhielt. Also schickt jetzt endlich einmal was zur Stärkung, sonst stirbt man nicht im Kugelregen, sondern vor Schwäche. Schickt Leberwurst oder Schinken (geschnitten, 250 g), Schweineschmalz in Blechschachteln. Kurz: Heinrich, mein Bruder, soll doch aus Offenbach oder Frankfurt Sachen mitbringen, man kann doch viel schicken, wenn man nur überlegt.
Euer Richard


  1. Condé-lès-Autry, Département Ardennes, etwa 5 km nördlich von Servon.
  2. Gemeinde an der Mosel im Großherzogtum Luxemburg.

Persons: Weber, Richard · Weber, Emilie
Places: Remich · Offenbach · Frankfurt
Keywords: Feldpost · Feldpostbriefe · Infanterie-Regiment Nr. 168 · Offiziere · Reinlichkeit · Waschen · Bärte · Feldgrau · Uniformen · Tornister · Durchfall · Krankheiten · Hunger · Feldküchen · Schokolade · Rotes Kreuz · Zeitungen · Schmalz · Wurst
Recommended Citation: „Feldpostbriefe und -karten des Einjährig Freiwilligen Richard Weber aus Wächtersbach, Abschnitt 9: 23.9.1914: Feldpostbrief aus Condé an die Schwester“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/175-9> (aufgerufen am 26.04.2024)