Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources


Contents

  1. Freiwillige Hilfsschwester im Lazarett in Schlüchtern
  2. Hilfsschwester in der zweiten Kriegshälfte

↑ Gussi Volkmar, Kriegserinnerungen einer Hilfsschwester aus Schlüchtern, 1914-1918

Abschnitt 2: Hilfsschwester in der zweiten Kriegshälfte

[54-55] Der Krieg brachte noch weitere Härten und Entbehrungen. Fleisch und Brot wurden durch die Länge des Krieges rationiert und waren nur auf Karten zu bekommen. Trotzdem scheute ich mich nicht, ab und zu für meine Schwerverwundeten bei der Köchin, Fräulein Gretel, eine kleine Zusatzration zu erbitten. (Sie heiratete späterhin einen Verwundeten unseres Lazaretts namens Rudzock.)

Da wir Hilfsschwestern ja freiwillig arbeiteten, bekamen wir weder Mittagessen noch Abendbrot. Hatten wir für unsere Soldaten das Mittagessen ausgeteilt und in den einzelnen Teeküchen das Spülen des Geschirrs erledigt, gingen wir nach Hause. Es war ein harter Dienst für uns, zumal wir ihn im ersten Jahr ohne Entgelt taten. Im folgenden Jahr erhielten wir wöchentlich ein kleines Taschengeld von 10 Mark, späterhin erhöhte es sich auf 20 Mark.

Als Schwester Charlotte aus Altersgründen ins Mutterhaus zurückkehrte, bekamen wir die neue, sehr nette Oberin Schwester Maria Bender, mit der ich mich ausgezeichnet verstand. Sie sorgte sogleich dafür, daß wir vom Waschen der eitrigen Binden befreit wurden, und somit war die Gefahr der Infektion gebannt. Waschmaschinen gab es zu jener Zeit noch nicht.

Bald wurde ein zweites Lazarett gegründet und zwar im früheren alten Krankenhaus an der Bahnhofstraße (jetzt Hotel Engler). Es unterstand Herrn Dr. Freudenthal und Hilfsschwester Johanna Orth.

In den letzten zwei Kriegsjahren häuften sich die Transporte, die direkt von der Front kamen und jetzt von Unteroffizier Wilhelm Gutermuth gemeldet wurden. Die Soldaten, die zum größten Teil schwer verwundet waren, kamen in einem Elendszustand an. Vor allem die Ungezieferplage war groß. Die Uniformen der Ärmsten wimmelten in den Nähten von Kleiderläusen, auch Flöhe und sogar Wanzen hafteten ihnen an. Ich selbst machte mit diesen „Tierchen“ Bekanntschaft. Es war der Schrecken aller Schrecken!

Nach all den furchtbaren Kriegsjahren lauteten endlich die Friedensglocken. Ein „Gott sei Dank" mag wohl ein jeder auf den Lippen gehabt haben. Die Lazarette wurden allmählich leer, und wir Hilfsschwestern schieden wieder aus. Ich selbst verblieb auf Bitten unserer Oberin noch ein halbes Jahr langer im Dienst und pflegte Zivilkranke.

Nun war die Zeit gekommen, daß endlich mein Verlobter aus französischer Gefangenschaft zurückkehrte. Da er Offizier war, wurde er schon vorzeitig über die Schweiz entlassen. Bereits einige Wochen nach seiner Heimkehr heirateten wir. Unser Hochzeitstag war ein Freudentag! Die sehr feierliche kirchliche Trauung wurde von dem Gesang meiner ehemaligen Schwestern-Kolleginnen umrahmt.

Gussi Volkmar, Schlüchtern


Persons: Volkmar, Gussi · Rudzock, Soldat · Bender, Marie · Freudenthal, Dr. · Orth, Johanna · Gutermuth, Wilhelm
Places: Schlüchtern
Keywords: Verwundete · Brot · Fleisch · Lebensmittelmangel · Lebensmittelkarten · Hilfsschwestern · Krankenschwestern · Waschmaschinen · Infektionen · Lazarette · Unteroffiziere · Läuse · Flöhe · Wanzen · Ungeziefer · Uniformen · Kriegsgefangene
Recommended Citation: „Gussi Volkmar, Kriegserinnerungen einer Hilfsschwester aus Schlüchtern, 1914-1918, Abschnitt 2: Hilfsschwester in der zweiten Kriegshälfte“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/129-2> (aufgerufen am 24.04.2024)