Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources


Contents

  1. Freiwillige Hilfsschwester im Lazarett in Schlüchtern
  2. Hilfsschwester in der zweiten Kriegshälfte

Illustrations

Details

Ärzte, Schwestern und Patienten des Lazaretts im Alten Krankenhaus in Schlüchtern, um 1915/16

↑ Gussi Volkmar, Kriegserinnerungen einer Hilfsschwester aus Schlüchtern, 1914-1918

Abschnitt 1: Freiwillige Hilfsschwester im Lazarett in Schlüchtern

[53-54]
Aus den Kriegserinnerungen einer Schlüchterner HiIfsschwester

August 1914. Weltkriegsanfang!

Alles strömte freiwillig zu den Stellen, wo man sich im Dienst für Volk und Vaterland einsetzen konnte, besonders die jungen Leute, ohne sich der Tragweite des ganzen Geschehens bewußt zu sein. Das „Rote Kreuz" rief auf, um Hilfsschwestern auszubilden. Auch ich folgte, wie noch viele, dem dringenden Ruf. Es waren wohl 17 hiesige Mädchen, außerdem zwei aus Steinau, namens Ries und Stern. Frau Landrat Valentiner1 bot sich damals auch fur kurze Zeit als Pflegerin an.

Herr Sanitätsrat Dr. Stern bildete uns in einem Kursus als Rote-Kreuz-Schwestern aus. Das damalige neue Krankenhaus, das durch die großzügige Stiftung der Freifrau von Stumm2 erstellt worden war und über eine größere Anzahl Betten verfügte, wurde sofort für die Aufnahme verwundeter Soldaten vorbereitet. Herr Sanitätsrat Dr. Stern war der leitende Arzt des Lazaretts, außerdem assistierte noch der jüdische Arzt Dr. Freudenthal.

Wir Hilfsschwestern wurden auf die verschiedenen Stationen verteilt und mehreren Diakonissen, die dem Kasseler Mutterhaus angehörten, unterstellt. Wir waren in Alarmbereitschaft, als von Unteroffizier Wiegand die Ankunft des ersten Lazarettzuges gemeldet wurde. Er lief ein, und die Verwundeten, teils leicht-, teils schwerverletzt, wurden ausgeladen und auf Bahren ins Krankenhaus gebracht. Der Anblick dieser Kriegsopfer mag für uns im ersten Augenblick [S. 54] herzzerreißend gewesen sein, doch späterhin mußte man alles Mitleid überwinden. Man war bereit, Hand anzulegen, um auf diese Weise den verwundeten Soldaten zu helfen.

Gar bald wurden wir mit den armen Feldgrauen vertraut. Unsere Stationsschwestern waren vorwiegend Diakonissen; zwei Schwestern, Anna Auffarth aus Weichersbach und Schwester Magda gehörten einem anderen Orden an. Beide waren bei uns wie auch bei den Soldaten wegen ihrer Tüchtigkeit sehr beliebt. Ich selbst war der sehr lieben Schwester Katharina unterstellt. Wir beide arbeiteten in bestem Einvernehmen auf den zwei unteren Stationen.

Unsere Tagesarbeit fing im ersten Jahr schon morgens um sechs Uhr an und begann mit dem Messen der Temperaturen und Zählen des Pulses. Wer aufstehen konnte, begab sich in die Waschräume. Bettlägerige wurden von uns betreut. Nach dem Fruhstück fand eine Andacht statt, die die Oberin abhielt. Gegen 11 Uhr war zumeist Arztvisite. Wir erhielten dabei unsere Anweisungen und legten dann die Verbande selbständig an, die wir in aller Gewissenhaftigkeit auszuführen versuchten.

Es herrschte zumeist zwischen uns Schwestern und den Soldaten ein sehr gutes Klima. Im Gedächtnis blieb mir ein in Mottgers3 beheimateter Unteroffizier, mit Namen Sperzel, der ein amputiertes Bein hatte. Er war lange Zeit an das Bett gefesselt und stets geduldig. Auf den beiden unteren Stationen hatten wir zumeist Einzelzimmer, die aber mit je zwei Mann belegt waren. Später kam noch ein Sechsbettzimmer hinzu. Ich denke dabei an jene nur leicht verwundeten Feldgrauen, die aus Hamburg stammten. Sie waren stets guter Dinge und wollten vergessen, was hinter ihnen lag.


  1. Landrat des Kreises Schlüchtern von 1906-1916 war Justus Theodor Valentiner.
  2. Freifrau Ludowika Emilie Antonie von Stumm war nach Tod Tod ihres Mannes Freiherr Hugo Rudolf von Stumm 1910 Eigentümerin von Schloss Ramholz in Vollmerz (heute Schlüchtern-Vollmerz).
  3. Mottgers, heute Gemeinde Sinntal, Main-Kinzig-Kreis.

Persons: Volkmar, Gussi · Valentiner, Justus Theodor · Stern, Dr., Sanitätsrat · Stumm, Ludowika Emilie Antonie Freifrau von · Stumm, Hugo Rudolf Freiherr von · Freudenthal, Dr. Arzt · Wiegand, Unteroffizier · Auffarth, Anna · Sperzel, Unteroffizier
Places: Schlüchtern · Steinau · Weichersbach · Mottgers · Hamburg · Ramholz · Vollmerz
Keywords: Kriegsbeginn · Kriegsfreiwillige · Rotes Kreuz · Krankenschwestern · Hilfsschwestern · Lazarette · Diakonissen · Lazarettzüge · Krankenpflege · Unteroffiziere · Feldgrau · Amputationen
Recommended Citation: „Gussi Volkmar, Kriegserinnerungen einer Hilfsschwester aus Schlüchtern, 1914-1918, Abschnitt 1: Freiwillige Hilfsschwester im Lazarett in Schlüchtern“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/129-1> (aufgerufen am 25.04.2024)