Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessian World War I Primary Sources

↑ Louis Betschart, Evakuierte Elsässer in Hünfeld, Fulda und der Rhön, 1916-1918

Abschnitt 6: Rückkehr in das zerstörte Dorf Illfurth

[118-119] Zunächst fielen uns die Zementbunker auf, die überall in die Strasse hineinstanden. Es waren doch mehr Häuser zerschossen als wir geglaubt hatten. Schmerbers Schlüssle stand wie eine Ruine da, die Ziegelei abgebrannt, der Bahnhof versplittert von den Granaten und Schrapnell, die Gärten und Felder überall von Gräben durchfurcht und von Einschlägen verlochert.

Unvergesslich bleibt mir unser Häuschen. Leer stand es da, ausgeplündert. Von allem, was wir zurückgelassen, fanden wir noch das Küchenkänsterlein, natürlich ohne Türen. Die Fenster zerschlagen und mit Dachpappe geflickt oder mit Holz vermacht, auf dem geschrieben stand : Amme gesucht! Das Elektrische war herausgerissen; Stroh und Dreck lagen einen halben Meter hoch. Und da und dort stand eine [S. 119] «Eierkiste», ein Art Bettgestellt. Die Wände verlottert und misshandelt. Da packte mich eine unsagbare Wut. Ich suchte nach einem Bengel und hätte den ersten besten erschlagen, der mir in diesem Augenblick in die Hände gekommen wäre. Alles war fort. Vom schönen Tafelservice, das die Mutter für ihre treuen Dienste beim Abschied erhalten und das wir nur einmal bei meiner ersten hl. Kommunion gebraucht hatten, lag gerade noch der Suppenschüsseldeckel auf dem Misthaufen... Und so sah es in den Nachbarshäusern aus und weitherum. Man hätte glauben können, die Vandalen wären auf Besuch gewesen.

Nach dieser Enttäuschung trafen wir uns Junge und suchten den Pionierpark und die Baracken auf, um das Notwendigste zu holen. Selbstgezimmerte Bänke und Tische fanden wir, kleine Holzöfen und sonst brauchbare Notgeräte. Auch einige Bretter nahmen wir mit, um die Luftlöcher einigermassen abzuschirmen, denn der Winter stand vor der Türe. Nun ging es ans Putzen und Waschen und Bürsten, bis das Häuschen einigermassen bewohnbar war.

Unser Dorf hatte gelitten, aber im Vergleich zu den Nachbardörfern war Illfurth trotz allen Schäden gut weggekommen. Die Mutter Gottes von Burnkirch und vom Britzgyberg war selbst mitten im schweren Feuer gestanden, hatte aber das Dorf doch gut beschützt. Das kam auch in der ersten Predigt von Herrn Pfarrer Arnold selig schön zum Ausdruck, obwohl « Mamsel Pauline » noch lange jammerte über das übel hergerichtete Pfarrhaus und den verwachsenen Pfarrgarten.

Schliesslich traf doch der «grosse Schub» ein. Es war ein herzliches Wiedersehen. Not schweisst immer zusammen. Das Leid der letzten Jahre war vergessen. Jeder half jedem... bis es wieder zu gut ging, bis der Eigennutz und die Habsucht, und der Vergunst sich auch wieder zu Wort meldeten. Ja, wir hatten die Folgen der Erbsünde auch wieder nach Illfurth zurückgebracht. Diese Armseligkeit sei nur erwähnt, weil sie viel Bitterkeit schuf, die nicht notwendig gewesen wäre. Aber es geschah auch viel Gutes. Lehrer und Gemeinschreiber Bach gab sich alle Mühe, den vielen Ansprüchen im Rahmen des Möglichen gerecht zu werden. Es mussten ja so viele Dinge auf einmal angefasst werden.

Auch aus den andern Dörfern kehrten unsere Leute heim. Vielleicht haben wir Weihnachten nie so arm gefeiert in den zur Not hergerichteten Wohnungen. Und doch war es für das ganze Dorf eines der schönsten Weihnachtsfeste des ganzen Lebens. Denn, wir feierten Weihnachten wieder ... daheim !

Und mit dem neuen Jahr begann ein neues Leben in unserem lieben Illfurth. Die alten Häuser bekamen langsam ein wohnliches Gesicht. Die Ställe füllten sich mit Vieh. Die alten Strassen wechselten zwar ihre Namen, behielten aber ihre alten Linien. Nur die Menschen waren älter geworden, zumal die Kriegsjahre doppelt und dreifach zählten. Und viele, allzu viele sind nicht mehr zurückgekehrt. Gott der Herr hat sie heimgeführt in die ewige Heimat. Aber das ausgestorbene Dorf blühte neu auf. Auch geistig erstand es neu. Doch das steht in einem andern Kapitel geschrieben.


Persons: Betschart, Louis
Places: Illfurth · Burnkirch
Keywords: Kriegsschäden · Ziegeleien · Bahnhöfe · Granaten · Schrapnells · Plünderungen · Pfarrer · Evakuierung · Weihnachten
Recommended Citation: „Louis Betschart, Evakuierte Elsässer in Hünfeld, Fulda und der Rhön, 1916-1918, Abschnitt 6: Rückkehr in das zerstörte Dorf Illfurth“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/qhg/id/115-6> (aufgerufen am 28.03.2024)