Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Gladenbach Karten-Symbol

Gemeinde Gladenbach, Landkreis Marburg-Biedenkopf — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

um 1607

Location

35075 Gladenbach, Burgstraße | → Lage anzeigen

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1939

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Gladenbach zählte zum Amt Blankenstein der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt.

Aufgrund der judenfreundlichen Ansiedlungspolitik der Blankensteiner Amtsleute zu Beginn des 17. Jahrhunderts gab es für Juden kaum Hindernisse im Ort zu siedeln. Die Amtmänner versprachen sich ökonomische Vorteile für ihre Region und ließen mehr Juden zu, als es ihnen durch die Ansiedlungsverordnung des Landgrafen zugestanden war.1

Um 1607 ist die Anwesenheit einer Jüdin in Gladenbach als früheste Erwähnung belegbar.2 Von 1610 bis 1940 lebten ununterbrochen Juden am Ort. 1650 gab es zwei jüdische Familien. Im Jahr 1770 besaß jede der 15 jüdischen Familien ein eigenes Haus.3 1846 lebten 135 Juden in Gladenbach (Anteil von 13,5 Prozent), um 1900 etwa 180 und 1933 noch 109.4

Eine inoffizielle Gründung der jüdischen Gemeinde erfolgte vermutlich um 1730, die offizielle Gründung lag um 1840.5 Im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts bestand bereits ein eigener Betraum, zudem hatte die Gladenbacher Judenschaft für den Religionsunterricht ihrer Kinder einen jüdischen Lehrer engagiert.6 Um 1814 war Ignatz Lederer Vorsitzender der jüdischen Gemeinde.7 Um 1933 war es Hermann Jonas, Beisitzer war Siegfried Stern. Der letzte Vorsitzende der Synagogengemeinde war 1938 Liebmann Levi.8 Eine Thorarolle der jüdischen Gemeinde, die nach dem Zweiten Weltkrieg wiedergefunden wurde, wird heute im jüdischen Museum in Michelstadt aufbewahrt.9 Die jüdische Gemeinde hatte um die Mitte der 1920er Jahre zwei Unterstützungsvereine gegründet, von denen der eine hilfsbedürftige Männer, der andere hilfsbedürftige Frauen unterstützen sollte.10 Die Gladenbacher Juden waren in das gesellschaftliche Leben Gladenbachs intensiv eingebunden. Es gab jüdische Mitglieder im Turnverein und der Freiwilligen Feuerwehr, einige waren Mitglieder im Gemeindeparlament.11

Bis ins 19. Jahrhundert arbeiteten die meisten Gladenbacher Juden hauptsächlich als Händler; ferner gab es einen Seifensieder, der auch Lichterzieher war, und einen Schuster. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert verdienten die jüdischen Gladenbacher überwiegend als Kaufleute, vor allem als Viehhändler, ihren Lebensunterhalt. Zudem gab es jüdische Metzger, einen Gastwirt, eine Öle- und Fettehandlung, eine Bank, Landwarenhändler, ein Geschäft für Baumaterial sowie Häute- und Felle-Händler. Einige Frauen arbeiteten als Putzmacherinnen.12

Seit 1935 zogen die meisten jüdischen Gladenbacher aufgrund anhaltender antisemitischer Schikanen seitens der Bevölkerung aus ihrem Heimatort fort. 1939 lebten nur noch drei Juden am Ort, 1940 wohnten keine Juden mehr dort.13 Viele ehemalige Gladenbacher konnten ihr Leben retten, indem sie ins Ausland emigrierten. Viele verzogen innerhalb Deutschlands, mehrheitlich nach Frankfurt am Main und Marburg. Der erzwungene Verkauf der Synagoge 1938 bzw. der Wegzug der letzten jüdischen Gladenbacher zwei Jahre später bedeutete das Ende der jüdischen Gemeinde.

Betsaal / Synagoge

Bereits 1730 verfügte die Gladenbacher Judenschaft über einen Betraum, der sich im privaten Wohnhaus von Salomon David befand.14 Laut Brandkataster befand sich dieses Haus mindestens seit 1770 im Besitz der jüdischen Gemeinde. Um 1800 wurde das Haus als baufällig und als zu klein bezeichnet.15

Im Jahr 1814 erbaute die jüdische Gemeinde am östlichen Ende der Burgstraße, heute zwischen den Hausnummern 9 und 11, ehemals Judengasse, eine neue Synagoge. Der Bau kostete rund 2.464 Gulden, die zu einem kleinen Teil von einer 1809 hierfür gegründeten Stiftung finanziert wurden.16

Die längsrechteckige Synagoge war über einer Grundfläche von ca. 11,90 x 7,10 Metern gebaut.17 Das zweigeschossige Fachwerkgebäude bestand aus einem Gottesdienstraum sowie einem an diesen angebauten Raum für Religionsunterricht im Untergeschoss und einem Raum für Vorbeter und Lehrer im Obergeschoss. An das Haus waren im Westen Toiletten angebaut.18 Wegen Baufälligkeit wurde diese Synagoge um 1891 niedergelegt und ein neues Gebäude errichtet, in das die ehemals als Schule dienenden Räume des Vorgängerbaus mit einbezogen wurden.19

Die neue Synagoge war ein weitgehend freistehendes Fachwerkgebäude mit zu einem späteren Zeitpunkt verputzten, ausgemauerten Gefachen auf einem Bruchsteinsockel.20 Sie hatte eine Grundfläche von ca. 8,50 x 6 Metern und war mit einem Satteldach mit Schopfwalm nach Osten und Thoraerker im Osten versehen. Von Norden her führte eine Treppe mit 25 Stufen von der Judengasse aus zum Haupteingang der etwa sechs Meter oberhalb der Straße liegenden Synagoge. Der Thoraerker, dessen Firstpunkt unterhalb des Satteldachs des Hauptbaus lag, dominierte die Mittelachse des Ostgiebels und war zu beiden Seiten von einem kleinen, rechteckigen Fenster flankiert. Die Südseite des Gebäudes hatte drei Fensterachsen, in die im Erdgeschoss große, und im Obergeschoss kleine hochrechteckige Rundbogenfenster eingebaut waren. Die Fensterscheiben waren möglicherweise mit farbigem Glas versehen. Die Wetterseite und das Satteldach waren mit Schiefer verkleidet bzw. gedeckt. Im Süden, auf der Rückseite des Gebäudes, befand sich der alte jüdische Friedhof Gladenbachs. Über das Innere des Gebäudes ist nur bekannt, dass es eine Frauenempore gab, zur der eine vermutlich in den frühen 1930er Jahren bereits wackelige Holztreppe führte. Der Innenraum war farbig ausgemalt.21

Noch vor der Pogromnacht 1938 brachten die Verantwortlichen der Synagogengemeinde ihre Kultgegenstände aus dem Gotteshaus nach Marburg in Sicherheit.22

Bereits 1935 waren Anschläge auf die Synagoge erste Zeichen des danach immer unerträglicher werdenden täglichen Lebens für die jüdische Bevölkerung Gladenbachs. Vom 5. zum 6. Mai 1935 wurden in der Synagoge drei Fenster eingeworfen. In der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 wurde die Synagoge innen völlig demoliert, die Fenster zerschlagen, das Mobiliar herausgeworfen und zerstört. Brandstiftung konnte wegen einer Gefährdung der Nachbarbebauung verhindert werden. Schon am 14. November 1938 wurde das Gebäude zwangsweise an die politische Gemeinde verkauft. Der bauliche Zustand des Gebäudes war nach 1938 offenbar eher schlecht. Der ältere Schulraum war baufällig, die jüngeren Teile, z.B. das Dach, schadhaft. 1939 wurde das Haus abgerissen.23

Seit 1982 erinnert ein Gedenkstein an der Stelle der ehemaligen Treppe an das abgebrochene Sakralgebäude und deren Nutzer.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Es war eine Mikwe vorhanden. Über Lage und Beschaffenheit ist bisher nichts bekannt.24

Cemetery

Der alte Friedhof, der vermutlich seit dem 17. Jahrhundert bis etwa 1814 benutzt wurde, liegt an der Burgstraße, südwestlich nahe des früheren Synagogenstandortes. Der jüngere Friedhof, seit etwa 1814 am Klotzwald in Benutzung, wurde um 1895 erweitert und umfasst eine Fläche ca. 4.156 Quadratmetern.25 Dieser Friedhof liegt fast 1.000 Meter westlich des alten Ortskerns.

Gladenbach, Alter Jüdischer Friedhof (Burgstraße): Datensatz anzeigen
Gladenbach, Neuer Jüdischer Friedhof (Klotzwald): Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Lederer, Ignatz · Jonas, Hermann · Stern, Siegfried · Levi, Liebmann · Salomon David

Places

Michelstadt · Frankfurt am Main · Marburg

Sachbegriffe Geschichte

Zweiter Weltkrieg · Pogromnacht

Sachbegriffe Ausstattung

Thorarollen

Sachbegriffe Architektur

Fachwerkbauten · Bruchsteinsockel · Satteldächer · Schopfwalme · Erker · Frauenemporen

Fußnoten
  1. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 1, S. 31 f.
  2. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 11
  3. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 12
  4. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 1, S. 31, 36, 57
  5. Eine landgräfliche Verordnung von 1716 verbot die Gründung jüdischer Gemeinden. Vgl. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 17, 223. Juden wurde jedoch zugestanden, ihren Gottesdienst innerhalb eines geschlossenen Raumes, unbemerkt von der christlichen Umgebung abzuhalten und diese nicht durch ihre Religionsausübung zu belästigen. Daher liegt es nahe, bei ausreichender Größe der Judenschaft eine selbständige jüdische Gemeinde am Ort zu vermuten.
  6. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 1, S. 31
  7. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 15
  8. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 1, S. 36
  9. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 220
  10. Ortsartikel Gladenbach auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  11. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 1, S. 33
  12. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 1, S. 36
  13. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 1, S. 56
  14. Möglicherweise bestanden weitere Beträume bzw. wechselte der Ort des zentralen Betraumes.
  15. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 225
  16. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 226
  17. Lageplan der Synagoge um 1860, in Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 225
  18. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 1, S. 36; Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 226
  19. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 228
  20. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 228
  21. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 228
  22. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 220
  23. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 1, S. 48; Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 220
  24. Ortsartikel Gladenbach auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  25. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 231, 265
Recommended Citation
„Gladenbach (Landkreis Marburg-Biedenkopf)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/116> (Stand: 22.7.2022)