Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

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5020 Gilserberg
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Kurfürstentum Hessen 1840-1861 – 51. Gilserberg

Gilserberg Karten-Symbol

Gemeinde Gilserberg, Schwalm-Eder-Kreis — Von Bernd Raubert
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

17. Jahrhundert

Location

34630 Gilserberg, Bahnhofstraße 13 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Marburg

preserved

nein

Jahr des Verlusts

ca. 1965

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Gilserberg ist das Zentrum bzw. der Mittelpunkt des überwiegend landwirtschaftlich strukturierten „Gilserberger Hochlandes“. Der Ort liegt an der Frankfurter bzw. Kasseler Straße, einer bedeutenden alten Fernhandels- und Poststraße (heute B 3). Er bildet die Nahtstelle zwischen der Kulturlandschaft „Schwalm“ und dem „Kellerwald“. Diese regionale Zentralfunktion war sicherlich einer der wichtigsten Gründe für die ersten Niederlassungen jüdischer Familien. Dass diese schon sehr früh erfolgten, belegt eine Aufstellung aus dem Jahre 1769 über die von den Juden im Amt Schönstein zu leistenden Schutzgelder.1 In diesem Verzeichnis wurden vier in Gilserberg lebende Familien aufgeführt. Darüber hinaus belegen die Ergebnisse der Familienforschung von Herrn Prof. Dr. Norbert Isenberg im Jahre 1704 die Geburt einer seiner Vorfahren in Gilserberg.2 Dieses genealogische Forschungsergebnis deutet erste jüdische Ansiedelungen im 17. Jahrhundert an. Ähnlich wie in anderen Dörfern und Städten der Landgrafschaft Hessen-Kassel versuchte man die empfindlichen Bevölkerungsverluste, die der Dreißigjährige Krieg hinterlassen hatte, durch eine gezielte Ansiedlungspolitik ausgleichen zu können. Hugenotten aus Frankreich und jüdische Familien aus Osteuropa wurden angeworben und siedelten in den Ortschaften, die ihnen zugewiesen wurden.

Der Gründungszeitpunkt der Synagogengemeinde in Gilserberg ist uns zwar nicht bekannt, aber die vorhandene Quellenlage deutet bereits im 18. Jahrhundert auf eine bemerkenswerte Größe hin. Darüber hinaus wird in der oben erwähnten Liste des Jahres 1769 neben den ortsansässigen jüdischen Familien auch ein Rabbi erwähnt. Eine andere Quelle berichtet, dass das Amt des Gemeindeältesten bereits im Jahre 1822 besetzt war.3 Dieser aus den Reihen der Gemeinde gewählte Vorsteher vertrat die Interessen der Synagogengemeinde in religiösen und verwaltungstechnischen Angelegenheiten. Zu den Aufgaben des Gemeinwesens gehörten die Synagoge, die eigene Schule, das Frauenbad, das Friedhofswesen und sogar die Organisation und Koordination der Fahrten zum jüdischen Matzenbäcker in das benachbarte Josbach.

Die Gemeinde gehörte zum Provinz-Rabbinat in Marburg. Die Aufsichts- und Genehmigungsbehörde in Verwaltungsangelegenheiten war das kurfürstliche und später königlich-preußische Landratsamt. Ihre Blütezeit erreichte die Synagogengemeinde in der Übergangsphase vom 19. zum 20. Jahrhundert. Mit 71 Gemeindemitgliedern erreichte sie nicht nur ihren höchsten Bevölkerungsanteil, sondern erwarb während dieser Zeit das Synagogen- und Schulgebäude und wenige Jahre danach konnte sogar ein eigener Friedhof angelegt werden.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entsandte die jüdische Bevölkerungsminderheit eigene, gewählte Vertreter in das örtliche Gemeindeparlament. Entsprechend dem Bevölkerungsanteil waren es zeitweise sogar zwei Vertreter jüdischen Glaubens. In den Jahren 1932 bis 1934 war der parteilose Jakob Stern mit der Interessenvertretung betraut.4

Das gewaltsame Ende der kleinen, ländlich geprägten Synagogengemeinde wird durch die folgende, kurze Zeitungsnotiz vom 27./28.5.1939 im „Schwalm Kreis“, der damaligen Kreiszeitung markiert: „Gilserberg. (Unser Ort ist judenfrei). Von früher 11 hier ansässigen jüdischen Familien hat am Donnerstag dieser Woche die letzte unseren Ort verlassen. Gilserberg ist also judenfrei“.

Zum Teil schon viele Monate zuvor hatte ein Großteil der Familien die sich zuspitzende und bedrohliche Lage erkannt. Unter Einsatz ihrer gesamten Habe und zum Teil über abenteuerliche Wege gelang es vielen Familien in der Zeit zwischen 1936 und 1939 aus dem Machtbereich des Nazi-Deutschlands zu fliehen. Den beiden ledigen Schwestern Hedwig und Metha Heimenrath war dies nicht möglich. Sie wurden nachweislich am 15. März 1939 aus Gilserberg deportiert und sind im Gedenkbuch für die „Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945“ verzeichnet. Der letzte Aufenthaltsort von Hedwig Heimenrath war Majdanek/Lublin.5

Betsaal / Synagoge

Annähernd über die gesamte Zeitspanne des neunzehnten Jahrhunderts war die Synagoge in gemieteten Räumen untergebracht. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erwarb der Kaufmann Gutkind Stern das zentral in der Nähe der evangelischen Kirche gelegene Anwesen der späteren Synagoge von den Erben des Schreiners Johannes Langkamm mit einigen dazugehörenden Ländereien. Dieses Gebäude überließ Gutkind Stern der israelitischen Gemeinde, die aber erst im Jahre 1912 rechtmäßige Eigentümerin des Gebäudes wurde.6

Nach einer grundlegenden Renovierung und Umgestaltung des Gebäudes lud der Gemeindeälteste Stahl die Ehrengäste für den 12. Januar 1898 zur Einweihungsfeier des „neuerrichteten Synagogen- Unterrichtslokales“ ein.HStAM 180 Ziegenhain, 2859 Nach dem Umbau war das Gebäude mit einem Synagogenraum, einem Schulraum, einer Lehrerwohnung und Kellerräumen ausgestattet. Das dreigeschossige Fachwerkhaus war 15,10 Meter lang und 8,30 Meter breit.

Da die Lehrerstelle nach dem Ersten Weltkrieg wegen der zu geringen Schülerzahl nicht mehr besetzt war, vermietete die Synagogengemeinde im Jahre 1930 die leerstehende Lehrerwohnung der alteingesessenen Familie Heimenrath. Sie war durch ein Konkursverfahren mittellos geworden und bewohnte bis zur Auswanderung nach Argentinien im Jahre 1935 diese Räume. Die amerikanische Rothschildstiftung hatte dieser Familie die Auswanderung ermöglicht.8

Die Ereignisse in der so genannten Reichskristallnacht vom 9. auf den 10. Nov. 1938 verliefen in Gilserberg anders als in vergleichbaren Landgemeinden. An diesem Tag kam eine SA-Abteilung aus Oberbeisheim nach Gilserberg. Ihr Gruppenführer hatte den Auftrag, die Synagoge als religiöses und kulturelles Zentrum der jüdischen Gemeinde zu vernichten. Durch das überzeugende Einreden eines Gilserberger Bürgers (christlichen Glaubens) konnte dieses Vorhaben verhindert werden. Die Gruppe zog unverrichteter Dinge ab.9 Zu dieser Zeit wohnten nur noch zwei jüdische Familien und einige Einzelpersonen im Dorf, der größere Teil der jüdischen Bevölkerung hatte die Heimat bereits verlassen.

Die Thorarolle soll durch Gilserberger Kinder und Jugendliche einige Zeit nach der Pogromnacht des Jahres 1938 auf der Hauptstraße abgerollt worden sein.10 Das Deutsche Reich wurde im Jahre 1942 (kraft Gesetz) Eigentümerin aller Besitzungen der Synagogengemeinde.

Die politische Gemeinde nutzte in den folgenden Jahren das Synagogengebäude. Sie richtete darin den Gemeindekindergarten und einen Geräteraum für die Freiwillige Feuerwehr des Ortes ein. Erst im Jahre 1950 wurde sie auch Eigentümerin des großen Gebäudes.11 Sie erwirkte im Jahre 1951 eine Baugenehmigung zum Umbau des Synagogenraumes. Es wurde eine Zwischendecke eingezogen und in dem neu entstandenen großen Raum im Untergeschoss richtete man eine Apotheke ein. Darüber hinaus errichtete man in dem darüber liegenden 1. Obergeschoss zwei Wohnräume.12 Im gleichen Jahr wurde das Gebäude an einen privaten Interessenten verkauft. In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde es schließlich abgebrochen. Auf dem Platz der ehemaligen Synagoge und in deren Außenmaßen entstand ein zweigeschossiger massiver Neubau mit Walmdach. Das Haus dient heute gewerblichen und wohnlichen Zwecken. Nur seine zentrale Lage und die Größe erinnern noch entfernt an die ehemalige Synagoge.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Wegen seiner religiös-rituellen Bedeutung musste das jüdische Frauenbad in der Nähe eines "lebendigen Gewässers" (Quelle, Bach usw.) angelegt sein. Das Gilserberger Badehaus befand sich nordöstlich des Dorfes, an der Gilsa. Erste Quellen berichten bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts von dieser Gemeinschaftseinrichtung.

Das Ende des Frauenbades wurde durch die Einrichtung der modernen Druckwasserversorgungsanlage eingeleitet. Das Gebäude wurde nicht mehr genutzt und war dadurch dem allmählichen Verfall preisgegeben. Im Jahre 1929 war es bereits gänzlich verfallen und wurde im Jahre 1938 an einen nicht jüdischen Anlieger veräußert. Das eingeschossige Fachwerkgebäude ist im Jahre 1955 abgebrochen worden.13

Schule

Die Genehmigung zur Einrichtung einer eigenen Elementarschule wurde der jüdischen Gemeinde im Jahre 1841 erteilt.14 Neben dem Unterricht in vergleichbaren christlichen Schulen unterwies der Lehrer die jüdischen Schülerinnen und Schüler auch in den Lehren und Gesetzen der jüdischen Religion. Der Zustand der Schule und das Leistungsniveau ihrer Schüler wurden durch die Schulbehörde des kurfürstlichen Landratsamtes kontrolliert.15

Bis zum Erwerb und Bezug des Synagogengebäudes im Jahre 1898 war die israelitische Schule bzw. der Schulraum in gemieteten Räumen untergebracht. Zunächst im Hause des Nehm Stahl und ab dem Jahre 1857 im Haus von Herz Stern.16

Die Unterhaltung der "Minischule" oblag der jüdischen Gemeinde. Sie war nur durch die Zahlung eines nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Familie gestaffelten Schulgeldes möglich. Die Beiträge des Jahres 190817 wurden von zehn Familien erbracht und verdeutlichen die sozialen Unterschiede innerhalb der Gemeinde. Die finanziell schwierige Lage wird ein Grund dafür gewesen sein, dass die Lehrerstelle im 19. Jahrhundert häufig für längere Zeit unbesetzt blieb.

Im Jahre 1893 wurden in der Synagogengemeinde noch 23 Kinder gezählt, von denen zehn Kinder schulpflichtig waren.18 Nach dem Ersten Weltkrieg gingen die Kinderzahlen allgemein zurück. Die Gemeinden und Städte unterbreiteten ihren jüdischen Gemeinden darum Vorschläge zur Übernahme der jüdischen Schulkinder in die christlichen Schulen. So wurden die jüdische Schule und einige Zeit danach auch die Lehrerstelle in Gilserberg aufgelöst.

Cemetery

Bis zum Jahre 1901 mussten die Toten der jüdischen Gemeinde Gilserbergs auf dem israelitischen Friedhof der 15 Kilometer entfernten Gemeinde Hatzbach beerdigt werden. Beigesetzt wurden dort u.a. Verstorbene aus den Gemeinden Allendorf (Stadtallendorf), Niederklein und Gilserberg. Die älteren Grabsteine sind einseitig mit hebräischer Schrift versehen. Einige später errichtete Grabsteine sind auf beiden Seiten beschriftet. Auf der Rückseite dieser Grabmale wurden die Angaben zu den Toten in deutscher Druckschrift eingemeißelt. Insgesamt gibt es noch sechs Steine, die auf Verstorbene aus Gilserberg hinweisen.

Durch einen Initiativantrag des Kaufmannes Gutkind Stern vom 24.8.190119 wurde das Verfahren zur Einrichtung eines eigenen Friedhofes in der Gilserberger Gemarkung eingeleitet. Unter anderen erwähnt er in seinem Schreiben, dass die Synagogengemeinde zusammen mit dem Synagogengebäude einen Grundbesitz erworben habe, der zur Anlage des Friedhofes geeignet sei.

Auf Grundlage eines Gutachtens genehmigte das königlich-preußische Landratsamt schließlich die Anlage des Friedhofes auf dem 1,5 Kilometer südwestlich der Ortslage gelegenen Grundstück.20 In den Jahren zwischen 1902 bis 1934 wurden dort insgesamt 17 Gemeindeglieder beigesetzt. Da das Flurstück nur zu einem geringen Teil seinem ursprünglichen Zweck diente, eine weitere Belegung nach Ende der Naziherrschaft und des "Dritten Reiches" ausgeschlossen war, wurde die Genehmigung zur Beschränkung des Flurstücks auf 767 Quadratmeter von der damaligen jüdischen Treuhandgesellschaft (JRSO) gegeben. Der Landesverband der jüdischen Gemeinden in Hessen mit Sitz in Frankfurt ist jetzt Eigentümerin dieses Flurstücks und die Pflege des Friedhofs obliegt der Gemeinde Gilserberg.

Hatzbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Gilserberg, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. HStAM, Designatio derer Juden Familien in Stadt Treysa und Amt Schönstein de Anno 1769
  2. Isenberg, The Family of Falk Isenberg, Part 3, Racine/Wisconsin/USA, 15.11.1984 (unveröffentlicht)
  3. Sieburg, Repertorien LA Ziegenhain, S. 325
  4. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 263
  5. Gedenkbuch des Bundesarchivs, siehe Weblink
  6. Katasteramt Schwalmstadt, Gebäudebuch der Gemarkung Gilserberg ab dem Jahr 1910 und Flurbuch der Gemarkung Gilserberg ab dem Jahr 1899
  7. Gesprächsaufzeichnung mit Bürgermeister a. D. Hans Drescher, Gilserberg, im Frühjahr 1988
  8. Gesprächsaufzeichnung mit Ernst Pfeffer sen., Gilserberg, im Frühjahr 1990
  9. Gesprächsaufzeichnung mit Ernst Pfeffer sen., Gilserberg, im Frühjahr 1990
  10. Katasteramt Schwalmstadt, Gebäudebuch der Gemarkung Gilserberg ab dem Jahr 1910
  11. GemeindeA Gilserberg, Baugenehmigungen, Bauschein Nr. 3/1950
  12. Katasteramt Schwalmstadt, Gebäudebuch der Gemarkung Gilserberg ab dem Jahr 1910
  13. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 263
  14. HStAM 180 Ziegenhain, 2859
  15. HSTAM 180 Ziegenhain, 2859
  16. GemeindeA Gilserberg, Brief des Provinzialrabbinats Marburg vom 31. Januar 1908 (lose Beilage in der Censur- und Grundliste der israelitischen Schule in Gilserberg der Jahre1844-1861)
  17. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 1, S. 263
  18. HStAM 180 Ziegenhain, 3442
  19. HStAM 180 Ziegenhain, 3442
Recommended Citation
„Gilserberg (Schwalm-Eder-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/562> (Stand: 22.7.2022)