Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Frankenau Karten-Symbol

Gemeinde Frankenau, Landkreis Waldeck-Frankenberg — Von Horst Hecker
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1659

Location

35110 Frankenau, Rieschstraße 6 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

preserved

nein

Jahr des Verlusts

ca. 1938

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

In der von den Landgrafen von Thüringen im 13. Jahrhundert gegründeten Stadt Frankenau sind Juden erstmals nach dem Dreißigjährigen Krieg nachweisbar. Der früheste bisher bekannte Beleg stammt aus dem Jahr 1659. Damals lebte hier eine jüdische Familie mit insgesamt drei Personen1, zwei Jahrzehnte später, 1678, waren es zwei Familie mit zusammen 11 Personen.2 Zwischen dem Ende des 17. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts schwankte die Zahl der jüdischen Familien zwischen einer und drei. Im Laufe des 19. Jahrhunderts stieg die jüdische Bevölkerung stark an, von 22 Personen im Jahr 1827 (= 2,4 Prozent der Gesamtbevölkerung) auf 62 im Jahr 1880 (= 5,8 Prozent). Mit 70 Personen und einem Anteil von 7,1 Prozent an der Gesamteinwohnerschaft wurde 1905 der Höhepunkt der jüdischen Bevölkerungsentwicklung erreicht.

Die selbstständige israelitische Synagogengemeinde Frankenau gehörte zum Rabbinatsbezirk Oberhessen mit Sitz in Marburg. Die Standesbücher sind ab dem Jahr 1824 erhalten.3 Haupterwerbszweig der Frankenauer Juden war der Viehhandel. Daneben spielte der Handel mit Ellenwaren, Spezerei- und Manufakturwaren, namentlich mit Leder, eine nicht unbedeutende Rolle.

Im Januar 1933 lebten in Frankenau noch 56 Juden, von denen 33 bis zum Frühjahr 1937 auswanderten.4 Die meisten emigrierten in die USA, einige auch nach Palästina. Die letzte jüdische Familie verließ die Stadt im März 1939. Mindestens elf in Frankenau geborene Juden wurden in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten ermordet.

Betsaal / Synagoge

Vermutlich fand der jüdische Gottesdienst über Jahrhunderte in einer Privatwohnung statt. Eine Synagoge ist erstmals im Jahre 1835 belegt. Laut Bericht des Kreisvorstehers der israelitischen Gemeinden des Kreises Frankenberg vom 2. März 1835 besaß die Gemeinde Frankenau damals eine „Synnagoge oder Bethaus“, welches sich „an der Behausung“ der Witwe des Elias Blum befand.5 Nachdem die Zahl ihrer Mitglieder auf zehn angewachsen und infolge dessen der bisherige (angemietete?) Betsaal zu klein geworden war, erwarb die Gemeinde im Sommer 1862 eine alte Scheune in der Absicht, sie zu einer neuen Synagoge auszubauen. Wie fast die gesamte Stadt, so fiel auch dieses Gebäude dem großen Brand vom 22. April 1865 zum Opfer. Für den Neubau beantragte die Gemeinde, einen Teil der für den Wiederaufbau der Stadt eingegangenen Spendengelder zu verwenden. Dies wurde von der Regierung der Provinz Oberhessen in Marburg jedoch nicht genehmigt. Auch der Antrag auf eine zusätzliche Unterstützung wurde mit der Begründung abgewiesen, die Juden in Frankenau seien durchaus im Stande, die nötigen Kapitalien aufzunehmen und allmählich abzutragen. Von anderen kurhessischen Synagogengemeinden durchgeführte Kollekten erbrachten schließlich die Mittel zum Bau einer neuen Synagoge, welche dann im Jahr 1867 errichtet wurde.

Das Gebäude, das die Hausnummer 120 erhielt, lag in unmittelbarer Nähe der evangelischen Pfarrkirche. Mit seiner Vorderfront erstreckte es sich längs des Fußwegs zu derselben, während die südliche Giebelwand an die heutige Friedrich-Riesch-Straße grenzte. Eine aus der Erinnerung angefertigte Rekonstruktionszeichnung gibt einen ungefähren Eindruck über das Aussehen der Synagoge. Sie zeigt einen auf einem erhöhten Steinsockel ruhenden zweistöckigen Fachwerkbau mit zwei kleinen Zwerchgiebeln auf dem Satteldach. Nach Angabe des Brandversicherungskatasters betrugen seine Grundmaße 13,4 x 9,2 Meter.6 Über einen kleinen Vorbau mit Treppenaufgang gelangte man wohl zunächst in den Flur und von hier in die übrigen Räume. Nach der Rekonstruktionszeichnung lag der Gebetsraum im rechten (nördlichen) Teil des Gebäudes. An seiner Vorderfront befanden sich unten drei Rundbogen- und oben zwei Rechteckfenster. Die Inneneinrichtung bestand aus 20 lfd. Metern Sitzbänken für die Männer, der Kanzel, einem Schrank, Altar und 17,5 lfd. Metern Emporbühne mit Sitzbänken für die Frauen.7

Da wegen der zunehmenden Repressalien in der nationalsozialistischen Diktatur zahlreiche Juden ab- und auswanderten, was die Abhaltung der Gottesdienste immer mehr erschwerte und bald gänzlich unmöglich zu machen drohte, entschloss sich die Gemeinde im Frühjahr 1938 zum Verkauf des Synagogengebäudes einschließlich des Synagogengrundstücks. Käufer war ein in unmittelbarer Nachbarschaft wohnendes christliches Ehepaar. Am 14. April 1938 genehmigte der Regierungspräsident in Kassel die Veräußerung mit der Maßgabe, dass der Erlös in erster Linie zur Unterhaltung des jüdischen Friedhofs verwendet wurde. Einen Monat später, am 12. Mai 1938, beantragte der neue Eigentümer den Abbruch der „Juden Sinago“. Zur Begründung gab er an, dass sie schon mehrere Jahre wegen Baufälligkeit polizeilich gesperrt sei und er das Gebäude nur deshalb gekauft habe, um es abzubrechen, damit sein jetziges Haus mehr Luft und Licht bekomme. Die Lehrerwohnung hingegen wolle er umbauen und darüber später eine Zeichnung einreichen. Offenbar war die Synagoge auch vom Schwamm befallen. Nachdem das Staatshochbauamt in Marburg keine Einwände erhoben hatte, erteilte der Landrat in Frankenberg am 31. Mai 1938 die Abbruchgenehmigung.8 Im Jahr 1949 soll der Sockel mit dem Kellerraum noch vorhanden gewesen sein9; heute findet sich von dem Gebäude keine Spur mehr. Auf dem Grundstück wurde später ein Neubau erstellt. Anlässlich der 750-Jahr-Feier 1992 ließ die Stadt Frankenau in unmittelbarer Nähe des Standorts der ehemaligen Synagoge einen Gedenkstein errichten, der an das Schicksal der jüdischen Gemeinde während des Nationalsozialismus erinnert.

Zwei Thorarollen aus der Synagoge, die von einem in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts nach Amerika ausgewanderten Frankenauer Juden im Jahr 1920 gestiftet worden waren, konnten 1938 in die USA gerettet werden, wo sie einer Synagoge im New Yorker Stadtteil Queens übergeben wurden.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Mikwe

Über die Mikwe ist bislang nur sehr wenig bekannt. In einem Bericht des Frankenberger Kreisphysikus vom 28. August 1825 heißt es, dass die Israeliten in Frankenau im Sommer in einem Teich vor der Stadt und während der kälteren Jahreszeit in zwei Brunnenbädern badeten, von denen das eine einem Juden, das andere offenbar einem christlichen Einwohner gehörte.10 Die Jahresrechnung der Gemeinde von 1912 enthält eine Ausgabe von 10 Mark für „Wassergeld für das Bad“.11 Wo sich dasselbe damals befand, ist unbekannt; möglicherweise war es im Keller der Synagoge eingerichtet.

Schule

Schon 1704 wird ein Judenschulmeister „aus der Schleußing“ erwähnt.12 Lange Zeit bestand am Ort nur eine Religionsschule mit befristet angestellten Privatschullehrern. Für den Elementarunterricht besuchten die jüdischen Kinder die christliche Schule. Am 9. Dezember 1862 genehmigte die Regierung in Marburg die Errichtung einer vollständigen öffentlichen Schule für die Synagogengemeinde Frankenau. Nachdem der damalige Lehrer nach Breitenbach am Herzberg versetzt worden war, wurde die Schule im Jahr 1898 wieder aufgelöst, die fünf jüdischen Schulkinder wurden der christlichen Volksschule zugewiesen. Im April 1904 gestattete die Regierung in Kassel die Errichtung einer „Privatvolksschule“ für die jüdischen Kinder. Auf Antrag der Gemeinde genehmigte sie 1907 die Wiedererrichtung einer israelitischen Volksschule zum 1. April 1908. Nach der Versetzung des letzten Lehrers nach Witzenhausen zum 1. Juli 1922 galt die Schule von diesem Zeitpunkt ab als aufgehoben.13

Cemetery

Der möglicherweise schon im 17. Jahrhundert angelegte jüdische Friedhof an der heutigen Wildunger Straße diente ursprünglich als Sammelfriedhof für die Juden in Frankenberg, Frankenau, Altenlotheim, Geismar, Röddenau und Vöhl. Nach der Schließung im Frühjahr 1941 im Zuge der nationalsozialistischen Bestrebungen zur „Säkularisation“ der jüdischen Friedhöfe scheinen zahlreiche Grabsteine abgeräumt und fortgeschafft worden zu sein. Ihr Schicksal ist noch nicht geklärt.

Frankenau, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. HStAM 19 b, 1157
  2. HStAM 19 b, 1226
  3. HHStAW 365, 174–176
  4. HStAM 180 Frankenberg, 1530
  5. HStAM 180 Frankenberg, 2320
  6. HStAM 224, 176
  7. HStAM 224, 176
  8. HStAM 180 Frankenberg, 1847
  9. Zum Geburtstag, S. 28
  10. HStAM, 19 h, 608.
  11. HStAM, 180 Frankenberg, 1715.
  12. HStAM, 40a XVI Marburg.
  13. HStAM, 166, 4023 und 166, 6918; HStAM, 180 Frankenberg, 2039.
Recommended Citation
„Frankenau (Landkreis Waldeck-Frankenberg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/118> (Stand: 22.7.2022)