Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

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Kurfürstentum Hessen 1840-1861 – 31. Felsberg

Felsberg Karten-Symbol

Gemeinde Felsberg, Schwalm-Eder-Kreis — Von Dieter Vaupel
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1592

Location

34587 Felsberg, Ritterstraße 3 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Niederhessen (Kassel)

religiöse Ausrichtung

orthodox, jetzt: liberal

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

In Felsberg lebten bereits im Jahr 1575 die ersten Juden.1 Für das Jahr 1592 ist in Gerichtsakten die Niederlassung des Juden Loewe zu Felsberg belegt. Eine ganze Anzahl von Juden wohnte in den Dörfern der Umgebung, vor allem in Altenburg, Neuenbrunslar und Gensungen. Für die Jahre 1614 und 1622 wurde in Dokumenten erwähnt, dass die jüdischen Familien Isaac und Jacob in Felsberg lebten. 1622 gab es in der Stadt drei jüdische Familien, bis 1773 stieg die Zahl auf neun an. Die Anzahl der Juden in der Stadt blieb jedoch bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts auf wenige begrenzt. Von 1807 bis 1813 gehörte Felsberg zum Königreich Westfalen. Die Rechtslage der Juden veränderte sich in dieser Zeit unter der französischen Herrschaft erheblich. Die Juden wurden der übrigen Bevölkerung gleichgestellt, alle speziell auf sie ausgerichteten Beschränkungen entfielen. Das betraf auch die Einschränkungen in der Berufs- und Niederlassungsfreiheit. Dies trug wesentlich zum Emanzipationsprozess bei. Mit der Rückkehr von Kurfürst Wilhelm I. wurden der jüdischen Bevölkerung wieder Rechte entzogen, die erst 1866 durch Preußen erneuert wurden.

Im 19. Jahrhundert erlebte die jüdische Religionsgemeinschaft in Felsberg ihre größte Blüte. Viele Juden kamen zu Ansehen und Wohlstand. Durch die Niederlassungsfreiheit nahm die jüdische Bevölkerung in der Stadt zu. Häufig kamen die Juden aus den Dörfern der Umgebung. 1842 gab es in Felsberg 201 Juden, 16,7 Prozent der örtlichen Bevölkerung. Bis 1880 war die Einwohnerzahl in Felsberg insgesamt rückläufig, aber der Anteil der Juden stieg 1885 auf 19 Prozent (179 Personen). Danach ging der jüdische Bevölkerungsanteil kontinuierlich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. 1905 lebten in Felsberg 117 Juden.2

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Felsberger Juden überwiegend Vieh-, Textil- und Manufakturwarenhändler. Fast alle waren Hausbesitzer und ihre wirtschaftliche Lage war gut. Es gab einen großen Bau- und Landwirtschaftshandel der Familie Löwenstein, der bis zu 100 Mitarbeiter beschäftigte.3 Die jüdische Bevölkerung lebte Seite an Seite mit den Christen und die Beziehungen zwischen ihnen verliefen weitgehend konfliktfrei. Die Juden waren in das gesellschaftliche Leben integriert, nahmen an öffentlichen Veranstaltungen, an den Aktivitäten der Sportvereine, des Roten Kreuzes und der Feuerwehr teil. Einige Mitglieder der Gemeinde waren politisch aktiv und gehörten dem Stadtparlament an. Gleichzeitig beschränkte die orthodoxe Lebensweise ihre sozialen Kontakte zu den christlichen Nachbarn.

Als es Anfang der 1930er Jahre zum Wiederaufleben des Antisemitismus kam, nahm die Zahl der jüdischen Einwohner allmählich ab. 1933 lebten noch 105 Juden in Felsberg. Nach dem Aufstieg der Nationalsozialisten verließen die meisten nach und nach den Ort. Bereits im März 1933 wurden die Fenster der Synagoge eingeworfen und es gab in der Folgezeit neben dem Boykott jüdischer Geschäfte weitere Übergriffe. Eine besondere Rolle als „Aufpeitscher“ spielte der antisemitische NSDAP-Ortsgruppenleiter Dr. Berthold Korte.4 Bereits ein Jahr vor der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze erließ das Felsberger Stadtparlament eine eigene Judenordnung.5 Diese wurde allerdings nicht offiziell genehmigt, da sie die Grenzen der Zuständigkeit des Stadtrats überschritt. Immer mehr Juden waren gezwungen die Stadt zu verlassen und mussten Haus und Hof weit unter dem eigentlichen Wert verkaufen. Im Juli 1938 gab es in der Stadt bereits kein einziges jüdisches Geschäft mehr. Viele Juden flüchteten zunächst in die Anonymität der Großstädte, den meisten gelang die Flucht ins Ausland, vor allem in die USA (35), in die Staaten Südamerikas (22) und nach Palästina (9).

In Felsberg fand die sogenannt „Reichskristallnacht“ bereits am 8. November 1938, einen Tag früher als in den anderen Teilen Deutschlands, statt. Es kam zu Übergriffen gegen die zu diesem Zeitpunkt noch im Ort verbliebenen 18 Juden. Nicht nur ihre Wohnungen, sondern auch das Innere der Synagoge wurden verwüstet. Der kranke Robert Weinstein war das erste Opfer der Novemberpogrome in Deutschland. Die durch den Ort ziehenden Nazihorden zerrten ihn auf die Straße, wo er an Herzversagen verstarb.6 Die restlichen Juden verließen nach diesen Vorfällen die Stadt in Richtung Kassel. Wem die Flucht von dort nicht noch gelang, der wurde in die Vernichtungslager des Ostens deportiert. Mindestens 53 Juden, die ehemals in Felsberg wohnten oder dort geboren worden waren, wurden dort ermordet. Nach Kriegsende kehrte kein Jude nach Felsberg zurück.

Betsaal / Synagoge

Bereits im Jahr 1830 hatte die Felsberger jüdische Gemeinde die Absicht, eine Synagoge mit Schulraum, Lehrerwohnung und Mikwe zu erbauen.7 Dass sich die Pläne änderten und es dann erst mehr als zehn Jahre später zum Bau einer Synagoge kam, hängt mit den pogromartigen Ausschreitungen gegen die Juden des Ortes vom Herbst 1830 zusammen.8 Aus den Unterlagen des Staatsarchivs Marburg ist zu entnehmen: „Es fehle der Gemeinde nach der im vorigen März erlittenen Beraubung an Geldmitteln zum Kaufen und Bauen. Wären diese auch wirklich vorhanden, so würde die Judenschaft sich doch wohl vor einem Unternehmen hüten, bei dessen Ausführung sie die gröblichste Störung zu befürchten habe. Die Vorgänge im letzten Herbst hätten sie nur zu stark überzeugt, daß für die Judenschaft in Felsberg keine Sicherheit und kein Schutz bestehe.“9

Man hielt den Gottesdienst in der Folgezeit in gemieteten Räumen im Wohnhaus von Itzig Schloß ab.10 Der Plan zum Synagogenbau wurde Anfang der 1840er Jahre wieder aufgegriffen und im Jahr 1842 wurden erste Anträge für den Bau gestellt, die dann genehmigt wurden.11 Es entstand in den Folgejahren eine Synagoge mit insgesamt 218 Plätzen (126 für Männer und 92 für Frauen).12 Landbaumeister Augener aus Melsungen war für die Bauausführung zuständig. Der Standort lag östlich der Rittergasse. Durch das vorhandene Gefälle war es nicht möglich, im selben Gebäude auch die Schule und die Lehrerwohnung oder gar noch die Mikwe unterzubringen.

Über die Einweihungsfeier im Jahr 1847 berichtete die Zeitschrift „Der treue Zionswächter“ ausführlich.13 Es ist dort zu lesen, dass die Einweihung „unter dem Andrange einer großen Masse Menschen, aus der Nähe und Ferne und von allen Konfessionen zusammengesetzt, stattfand. Circa 500 Billette waren ausgegeben und wohl 1.000 Menschen mussten zurückgewiesen werden. Sämtliche Beamte und Honoratioren nahmen einen lebhaften Anteil an dieser Feier, die ihrem ganzen Umfange nach allen an sie gestellten Erwartungen entsprach.“14 Beschrieben wird in dem Artikel dann ausführlich „der letzte Gottesdienst im ‚bisherigen Betlokal‘, der feierliche Umzug der Torarollen unter einem Baldachin zur neuen Synagoge, der erste Gottesdienst in der neuen Synagoge mit Einbringung der Torarollen und den dabei üblichen sieben Umzügen um das Almemor sowie dem Weihegebet und der Predigt des Kreisrabbiners.“15

Von solider Bauweise zeugen die 75 Zentimeter starken Wände des Erdgeschosses. Das Dach war mit Schiefer gedeckt, die Decke holzgetäfelt und die Fenster hatten bunte Bleiverglasungen. Auch die Inneneinrichtung war liebevoll und sorgfältig ausgebaut worden. Die Sitzplätze waren aus geschnitztem Eichenholz, aus dem gleichen Holz waren die Pulte für den Rabbiner und den Vorbeter gedrechselt. Die Kultgegenstände bestanden aus Messing und Silber, die verschiedenen Decken und Thoraschreinvorhänge aus Samt, Seide und Brokat, die gold- und silberbestickt waren. Die Gemeinde besaß 15 Schriftrollen, die fast alle von ehemaligen jüdischen Einwohnern Felsbergs, die in anderen Städten bedeutende wirtschaftliche Erfolge hatten, gestiftet worden waren.

Thea Altaras beschreibt die baulichen Details der Synagoge folgendermaßen: „In der Mittelachse der Schauseite das Eingangsportal, von zwei Lisenen eingerahmt, Ecklisenen, die vom Boden beginnend, durch den Sockel aufsteigend im Dachgesims enden. Zweigeschossig. Steiles Walmdach, Schiefereindeckung, mit Dreiecksgiebel über dem Eingang. In Mauerwerksfläche hohe, vom Sockel an durch beide Geschosse laufende Rundbogen-Gewände mit Querverbindungen in Höhe der Sohlbänke und Stürze. Symmetrisch, in deren Nische, die Fenster der Empore beziehungsweise des oberen und unteren Geschosses angeordnet. Breites Korbbogengewände, den Eingang umrahmend, in dessen Nische sich wiederum eine rechteckige Türe und ein Rundbogen-Oberlicht befinden, darüber große ovale Öffnung mit Steinfassung und vermutlich Rosette. Auf der Rückseite im Obergeschoß kleinere Rundbogenfenster mit Steingewände. Zur Straße niedriger Sockel, dagegen an der Rückseite doppelt so hoch. Das Kellergeschoß, an der Hangseite als Gewölbe ausgeführt, nimmt entlang der Längsseite nur die halbe Tiefe des Gebäudes ein. Der beinahe quadratische Grundriß umschloß den Vorraum mit Treppenauf und -abgang, zwei bis drei Kammern. … Gewölbe über dem Freiraum, verziertes Emporen-Geländer, tragende Säulen mit dorischen Kapitellen, Thora-Schrein in Form eines geschnitzten Portals, flankiert von Pilastern auf Postamenten mit Gebälkstück, auf dem in der Mitte die Gesetzestafeln standen, und zu dessen beiden Seiten, die Krone tragend, je ein Löwe saß, all dies zeugt von einer bemerkenswerten Innenausstattung, sowohl in der Wahl der Werkstoffe als auch in der Ausführung, was vorwiegend Ergebnis von Stiftungen war.“16

Im Jahr 1903 wurde eine gründliche Renovierung des Innenraums der Synagoge nötig. Ein Teil der Lehmdecke war heruntergefallen, wodurch die Inneneinrichtung auf der Empore beschädigt worden war. Ein Artikel im „Frankfurter Israelitischen Familienblatt“ berichtete darüber: „Die hiesige Synagoge, in welcher im Herbst ein Teil der schweren Lehmdecke über der Empore herabfiel, sodass Pulte und Sitzplätze beschädigt wurden, wird jetzt vollständig renoviert. Die etwa 180 Quadratmeter umfassende Lehmdecke, die auch an mehreren anderen Stellen gefahrdrohende Risse zeigte, ist gänzlich abgenommen und an deren Stelle eine Dielenbedeckung getreten, mit deren Fertigstellung man gegenwärtig beschäftigt ist.“17

Beim Felsberger Pogrom am 8. November 193818 wurde das Inventar der Synagoge fast vollständig zerstört und später auf der Burgwiese unterhalb der Felsburg verbrannt. Am Gebäude der Synagoge selbst entstanden nur geringe Schäden. Einige wertvolle Kultgegenstände waren bereits vor 1938 nach Kassel ausgelagert worden, wo sie allerdings im November 1938 vernichtet wurden. Der letzte jüdische Gemeindeälteste, Siegfried Mansbach, hatte die Aufgabe, nachdem kein Jude mehr in Felsberg wohnte, den Gemeindebesitz zu verkaufen. Ursprünglich wollte Bürgermeister Zimmermann die Synagoge geschenkt bekommen. zunächst bot er 50 RM, später 1.500 und schließlich 2.000 RM an. Da der berechnete Einheitswert der Synagoge bei 6.100 RM lag, kam der Verkauf nicht zustande. Im Jahr 1942 fiel die Synagoge dann durch Enteignung an den Reichsfiskus, der sie an die Stadt Felsberg verpachtete.19 Sie diente zunächst als Feuerwehrgerätehaus und später als Turnhalle.

Das Gebäude befand sich nach Kriegsende im Besitz der Jewish Restituion Sucsessor Organisation (JRSO). Anfang November 1949 bot sie es zum Kauf und zur Nutzung für städtische Zwecke an.20 Kurz darauf offerierte die Stadt der Matratzenfabrik Preuss das Gebäude, an dem sie selbst kein Interesse hatte: „Die Synagoge ist ein massives Gebäude, deren Räumlichkeiten sich nicht nur durch das Einziehen einer Decke erheblich vergrössern lassen, sondern auch die Möglichkeit bietet, zusätzlich Wohnraum zu schaffen.“21 Der Verkauf an die Firma kam jedoch nicht zustande. Schließlich kaufte die Hütt-Brauerei das Gebäude, die das Gasthaus „Burgschänke“ dort einrichtete sowie ein Teil des Gebäudes zu Wohnzwecken vermietete.

Am 8. November 1988, 50 Jahre nach dem Pogrom, wurde auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung an der Mauer gegenüber der Synagoge eine Gedenktafel angebracht. Der Kernsatz lautet: „Zur Erinnerung an unsere jüdischen Mitbürger, die während des Nationalsozialismus gedemütigt, entrechtet, vertrieben, verschleppt und ermordet wurden.“

Seit 2010 gibt es wieder eine jüdische Gemeinde in Felsberg, 2012 wurde ein Verein zur Rettung der Synagoge gegründet. Zwei Jahre später erklärte sich die Stadt Felsberg bereit, das Gebäude mit Hilfe von Fördergeldern des Landes anzukaufen, und sie erreichte die Förderung dieses Projektes im Rahmen des Konzepts „Stadtumbau“. Nach dem Ankauf und der anschließenden Verpachtung an den „Verein zur Rettung der Synagoge“ im Jahr 2016 wurde der bis dahin als Gaststätte genutzte Raum zunächst in Eigenleistung so weit renoviert, dass er wieder für Veranstaltungen nutzbar gemacht werden konnte.22 Seit September 2016 wird das Gebäude – 78 Jahre nach der Zerstörung der Inneneinrichtung – wieder offiziell als Synagoge der Jüdischen Liberalen Gemeinde genutzt. Für die inzwischen begonnene Sanierung des Gebäudes sind Kosten in Höhe von 1,15 Millionen Euro veranschlagt, die aus öffentlichen Geldern, Eigenmitteln sowie durch Unterstützung von regionalen Unternehmen finanziert werden sollen.23

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Für die Felsberger jüdische Gemeinde lassen sich drei rituelle Tauchbäder nachweisen.24 Eine der Mikwen lag auf dem Grundstück von Leopold Dannenberg hinter dem Haus in der Untergasse 19, direkt an der Stadtmauer. Sie wurde 1820 erbaut, aber vermutlich seit den 1920er Jahren nicht mehr genutzt und später abgebrochen. Das Tauchbecken wurde mit dem Mauerwerk des darüber liegenden Mikwengebäudes verfüllt. Entdeckt wurde das rituelle Bad zufällig. Der Grundstückseigentümer hatte in seinem Garten einen Baum pflanzen wollen, war auf die Sandsteine gestoßen und legte die Mikwe in mühevoller Arbeit frei. Eine weitere Mikwe befand sich hinter einem Privathaus in der Obergasse 5, ganz in der Nähe der Synagoge. Sie stammt vermutlich bereits aus dem 18. Jahrhundert. Das sich in einem Gewölbekeller befindende rituelle Tauchbad hat einen separaten Eingang, ist über eine überdachte Außentreppe zu erreichen und liegt teilweise unter dem davorstehenden Fachwerkhaus. Eine dritte Mikwe fand man erst vor wenigen Jahren in einem Hauskeller in der Obergasse 11. Das Vorhandensein gleich mehrerer Mikwen zeugt von einer entsprechenden Größe und Bedeutung der früheren jüdischen Gemeinde.

Schule

Eine jüdische Schule25 in Felsberg ist seit 1826 nachweisbar. Bis zum Jahr 1845 fand der Unterricht in der Wohnung des Lehrers statt. Die ersten Lehrer hießen Süskind Silberberg (1824-1829), Abraham Levisohn (1829-1834) und Aron Rothschild (1835-1852). Als die Schülerzahl auf über 30 anstieg, erwarb die Gemeinde 1845 ein Gebäude aus dem 17. Jahrhundert in der Obergasse, in dem Schulsaal und Lehrerwohnung untergebracht wurden. Das als Wohnhaus errichtete Gebäude war nicht für die Belastung von bis zu 50 Kindern geeignet. Hinzu kam, dass es sich um ein sehr heruntergewirtschaftetes Gebäude handelte. Lehrer Rothschild schreibt: „Noch ist von der Verdingung der Arbeiten am hiesigen Schulhause keine Rede gewesen, obzwar dasselbe in einem fast unbewohnbaren Zustande sich befindet, so daß ich mich schäme, wenn ein anständiger Mensch zu mir kommt. Wohl dürfte ich mit Recht behaupten, daß kein Schäfershaus in der ganzen Stadt in einem solchen Stande ist wie dieses Schulhaus. Dabei sind die Schulkinder sowohl, wie ich und meine Familie, bei jedem Auf- und Absteigen der Treppen der größten Gefahr ausgesetzt. Hinzu kommt noch der Umstand, daß nunmehr das Hintergebäude abgebrochen ist, wodurch meine Habe – da eine verschlossene Hinterthüre nicht am Hause ist – sehr unsicher ist.“26

Der Verschleiß am Gebäude durch die große Anzahl der zu beschulenden Kinder – 1862 erreichte die Schülerzahl mit 62 den höchsten Stand – war groß, ständig waren Reparaturen und Renovierungen nötig. Immer wieder wurde der Bau eines neuen Schulgebäudes in Erwägung gezogen. Als es 1914 schließlich Konsens darüber gab, konnte der Plan angesichts des Ersten Weltkrieges nicht realisiert werden. Nach Kriegsende scheiterte ein Neubau an sinkenden Schülerzahlen. Konnte Mitte des 19. Jahrhunderts der Lehrer Lißhauer (1852-1872) noch zufrieden feststellen, dass die Schülerzahl an der Felsberger jüdischen Schule „eine der Zahlreichsten in der Provinz Niederhessen“27 war, so hatte sich diese seit den 1890er Jahren kontinuierlich von 49 (1891) auf 34 (1896) und schließlich auf 17 (1925) zurückentwickelt. Die Schließung der Schule war eigentlich bereits für Juni 1925, als Sussmann Dannenberg (1900-1925) in Pension ging, vorgesehen. Doch die Eltern kämpften um den Erhalt. Die Lehrerstelle wurde dann neu mit Baruch Kleeblatt (1925-1931) besetzt. Das Ende der Schule war jedoch zum 3. Juli 1931 endgültig besiegelt. Kleeblatt wurde nach Kassel versetzt, die jüdischen Kinder gingen zur öffentlichen Schule in Felsberg oder Gensungen. Den Religionsunterricht übernahm bis 1936 der in Felsberg als Kantor tätige Hans Bodenheimer.

Cemetery

Ein wichtiger Ort jüdischer Tradition ist der Friedhof. Er liegt auf einem Grundstück am Obertor, dort fanden im Jahr 1866 die ersten Bestattungen statt. Bis dahin wurden die Toten auf dem sieben Kilometer entfernten jüdischen Friedhof in Obervorschütz bestattet.28 Der Gründer des Friedhofes war Joseph Plaut Stern, gest. 20.10.1884.29 Die letzte Beerdigung fand 1936, 1938 oder sogar erst 1939 statt.30 Die Belegung der Gräber ist meist fortlaufend erfolgt, teilweise ließen sich Ehepartner oder Geschwister die benachbarte Grabstelle reservieren. Der Friedhof diente sowohl der Jüdischen Gemeinde Felsberg-Gensungen als auch den Juden aus Altenburg und Neuenbrunslar als Bestattungsort. Er umfasste bis Juli 1940 ursprünglich 51 ar, heute sind es nur noch 10,06 ar, also lediglich 20 Prozent der ursprünglichen Fläche.31 Bis 1941 reichte das Grundstück bis zur Niedervorschützer Straße, wo sich damals der Eingang befand. Im Februar 1941wurde der Friedhof an den Stellmacher Matthäus Ebert verkauft, der auf dem unteren Teil des Geländes ein Haus baute.

In einem Verzeichnis vom 5.9.1938, aufgestellt durch Wolf und Goldschmidt, sind 164 Grabsteine verzeichnet.32 Insgesamt fanden laut Sterbe- und Beerdigungsregister185 Bestattungen statt. Heute stehen inklusive des Gedenksteines 127 Steine. 82 (49 Prozent) stehen unversehrt auf dem richtigen Platz. 22 (14 Prozent) sind noch als Stele ohne Inschrift vorhanden. 22 (14 Prozent) Steine stehen auf dem falschen Platz. 38 (23 Prozent) Steine wurden entwendet. Eine ganze Anzahl von Steinen wurden in der NS-Zeit u. a. von einem Homberger Steinmetzunternehmen mit Unterstützung durch die SA abtransportiert und der Wiederverwertung zugeführt. Einige der Steine wurden auf Drängen ausgewanderter Juden und durch Initiative der Stadtverwaltung wieder aufgestellt.33 Auch die umgeworfenen Grabsteine wurden auf Anordnung von Bürgermeister Richard Bockemühl wieder aufgestellt.34 Bockemühl hatte sich für die Wiederherstellungsarbeiten auf dem Friedhof einen besonderen Kreis von Arbeitskräften ausgesucht: „In Ermangelung von Arbeitskräften war ich gezwungen, ehemalige Mitglieder der NSDAP und Personen zu diesen Arbeiten zu bestimmen, die im Zusammenhang mit der Judenaktion im Jahre 1938 genannt wurden.“35 Seit 1968 befindet sich auf dem jüdischen Friedhof ein Gedenkstein mit dem Text: „Zum ewigen Andenken an unsere jüd. Bürger, die Opfer der Gewalt wurden“.

Obervorschütz, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Felsberg, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Obervorschütz, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Loewe · Isaac, Familie · Jacob, Familie · Wilhelm I., Kurfürst · Löwenstein, Familie · Korte, Berthold · Weinstein, Robert · Schloß, Itzig · Augener, Landbaumeister · Mansbach, Siegfried · Zimmermann, Bürgermeister · Dannenberg, Leopold · Silberberg, Süskind · Levisohn, Abraham · Rothschild, Aron · Lißhauer · Dannenberg, Sussmann · Kleeblatt, Baruch · Bodenheimer, Hans · Stern, Joseph Plaut · Weinstein, Julius · Ebert, Matthäus · Bockemühl, Richard

Places

Altenburg · Neuenbrunslar · Gensungen · USA · Südamerika · Palästina · Kassel · Melsungen · Obervorschütz

Sachbegriffe Geschichte

Westphalen, Königreich · Preußen · Niederlassungsfreiheit · Antisemitismus · Nationalsozialisten · Nürnberger Gesetze · Judenordnungen · Reichskristallnacht · Novemberpogrome · Vernichtungslager · Reichsfiskus · Jewish Restitution Successor Organisation · Jewish Restitution Successor Organisation · Matratzenfabrik Preuss · Brauerei Hütt · Felsberg, Verein zur Rettung der Synagoge · Erster Weltkrieg · NSDAP

Sachbegriffe Ausstattung

Thorarollen · Almemore · Pulte · Thoravorhänge · Schriftrollen · Thoraschreine · Gesetzestafeln · Kronen · Löwen

Sachbegriffe Architektur

Schiefer · Bleiglas · Eichenholz · Lisenen · Lisenen · Sockel · Schiefereindeckungen · Dreiecksgiebel · Walmdächer · Sohlbänke · Stürze · Nischen · Emporen · Korbbogengewände · Steinfassungen · Rundbogenfenster · Gewölbe · Rosetten · Säulen · Kapitelle · Portale · Pilaster · Postamente · Lehmdecken

Fußnoten
  1. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Felsberg ist ausführlich dokumentiert in Vaupel 2020. Bis zum Ende der Weimarer Republik siehe insb. S. 37-74; zu der Zeit ab 1933 s. S. 106-157.
  2. Zur Entwicklung der jüdischen Einwohnerschaft in Felsberg s. Vaupel 2020, S. 45
  3. Zur Firma Löwenstein s. HHStAW 519/3, 36774: Devisenakte Siegward und Erna Löwenstein; HHStAW 519/A, Ka 14: Rückerstattungsakte Firma Viktor Löwenstein; HHStAW 518, 1617: Entschädigungsakten Louis und Johanna Löwenstein; HHStAW 519/2, 757: Steuerakte Firma Viktor Löwenstein. Der Fall Löwenstein ist auch dokumentiert in Leder/Stengel 2018, S. 99-104 und Vaupel 2020, S. 325-328.
  4. HHStAW 520/22, 15452: Spruchkammerakte Dr. Berthold Korte; s.a. Vaupel 2020, S. 293-300
  5. Kurhessische Landeszeitung vom 5.9.1935
  6. Schilde 2016
  7. HStAM 180 Melsungen, 2005; s.a. Altaras 2007, S. 149
  8. HStAM 180 Melsungen, 2005
  9. Ebd.
  10. Altaras 2007, S. 149
  11. HStAM 180 Melsungen, 1772
  12. Prinz/Thal-Rüttger 1986, S. 85; Altaras spricht von 100 Plätzen für Männer und 80 Plätzen für Frauen: Altaras 2007, S. 149
  13. Der treue Zionswächter vom 2.11.1847 nach Ortsartikel Felsberg auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  14. Ebd.
  15. Ebd.
  16. Altaras 1989, S. 168
  17. Frankfurter Israelitisches Familienblatt vom 18.12.1903 nach Ortsartikel Felsberg auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  18. Zum Pogrom: Schilde 2016, S. 30 ff; Vaupel 2020, S. 134 ff.
  19. HHStAW 518, 1765
  20. StadtA Felsberg, Judenakte: Schreiben der JRSO an den Felsberger Bürgermeister vom 1.11.1949
  21. StadtA Felsberg, Judenakte: Schreiben an Firma Erich Preuss vom 18.11.1949
  22. Hessisch Niedersächsische Allgemeine (= HNA) Melsungen vom 5.8.2016
  23. HNA Melsungen vom 25.1.2020
  24. Vaupel 2020, S. 99-101
  25. Zur jüdischen Schule Felsberg: HStAM 17 h, 379; HStAM 17 h, 1812; HStAM 17 h, 1813; HStAM 166, 1026; HStAM 166, 3812; HStAM 180 Melsungen, 178; HStAM 180 Melsungen, 3880; HStAM 180 Melsungen, 3892
  26. Zit. n. Isenberg, Hans: Die öffentliche israelitische Schule in Felsberg (Vortragsmanuskript). Eschwege 2015
  27. HStAM 17 h, 1812
  28. Lehmann, Christian: Verzeichnis der Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof Felsberg-Gensungen. Helsa 2016
  29. HHStAW 365, 168
  30. HHStAW 365, 168; Vaupel 2021, S. 30-34
  31. Vaupel 2021, S. 30-34
  32. HHStAW 365, 168
  33. StadtA Felsberg, Judenakte: Schreiben an Bürgermeister Bockemühl und Antworten
  34. Lehmann, Verzeichnis
  35. HHStAW 520/22, 18341: Spruchkammerakte Christoph Schanze
Recommended Citation
„Felsberg (Schwalm-Eder-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/335> (Stand: 11.7.2023)