Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Erfelden Karten-Symbol

Gemeinde Riedstadt, Landkreis Groß-Gerau — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1619

Location

64560 Riedstadt, Ortsteil Erfelden, Neugasse 43 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Der bislang älteste archivalische Hinweis auf einen in Erfelden lebenden Juden stammt aus dem Jahr 1619 und zeigt an, dass dieser in besagtem Jahr den Judenzoll entrichtet habe.1 1631 erhielt Süßkind aus Erfelden freies Geleit durch die Besatzungstruppen.2 Dieses nützte ihm nicht viel, denn bereits ein Jahr später berichtete er dem Präsidenten von Karsgach, die schwedische Soldateska hätte ihm bei ihrem Übertritt über den Rhein Vieh und Hausrat gestohlen.

100 Jahre später gab es abermals einen Hinweis auf eine jüdische Familie, als Itzig 1731 eine Hofreite bebaute. Er gilt als der Stammvater der bis 1938 in Erfelden lebenden Familien Sternfels. Auch Ende des 18. Jahrhunderts wohnte, so die Kirchenchronik, nur eine jüdische Familie im Ort.3

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stieg diese Zahl langsam an. So beantragte 1817 Mayer Sternfels die Aufnahme in den Schutz und den Erwerb eines Hauses in Erfelden. Dieses Gesuch wurde durch den damaligen Vorsteher Aron Hirsch im Namen der Gemeinde gegengezeichnet.4 Dabei kann es sich nur um die Gemeinde gehandelt haben, zu der sich die jüdischen Bewohner Wolfskehlens, Goddelau und Erfelden zusammengeschlossen hatten.

Noch bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts besuchten auch die Erfelder Juden den Betraum in Wolfskehlen. Zu dieser Zeit lebten drei jüdische Familien im Ort. Als 1846 Anstrengungen unternommen wurden, die Mikwe in Wolfskehlen erneuern zu lassen, scheiterte dies nicht zuletzt am Widerstand der Gemeindemitglieder aus Goddelau und Erfelden. In Erfelden hatte man bereits 1840 den Beschluss gefasst, ein eigenes, den Vorschriften entsprechendes Bad einzurichten. Dies war aber zumindest bis Oktober 1853 nicht realisiert worden.5

Wenig später, ab 1860, begannen Bestrebungen, eine eigenständige Gemeinde zu bilden und eine Synagoge zu erbauen. Dies konnte aber erst 1875-1877 realisiert werden. Bis dahin war die Anzahl der jüdischen Familien auf acht gestiegen.

1880 war mit 5,8 % der Anteil der jüdischen Einwohner Erfeldens am größten (50 von 866). Danach ging die Zahl langsam wieder zurück, 1924 hatte Erfelden noch 26 jüdische Einwohner.

Nach 1933 verließen die jüdischen Gemeindemitglieder Erfelden oder wurden deportiert.

Betsaal / Synagoge

Am 6. August 1862 stellte Heinrich Maul den Antrag, in der damals am Ortsrand gelegenen Neugasse ein Backhaus auf seine Hofreite stellen zu dürfen. Den Bauplan dafür hatte Michael Kabey, Zimmermeister aus Stockstadt, angefertigt. Es war ein eingeschossiges giebelständiges Gebäude, das sich durch seinen rechteckigen Grundriss, Trauf- und Firsthöhe sowie seiner Größe der Nachbarbebauung anpasste. Im Erdgeschoss befanden sich Backstube, Mehlstube und Backofen.

Dieses Backhaus erwarb 1875 die jüdische Gemeinde Erfelden und baute es zur Synagoge um. Dafür wurden Türen verschlossen und in der Ostwand Rundfenster eingebaut.

Das Dachgeschoss wurde nutzbar gemacht und durch eine Treppe erschlossen. In die Westwand wurden eine Tür und ein Fenster eingefügt. Der Südgiebel erhielt einen Stufengiebel aufgesetzt und die Fenster Spitzbogenabschlüsse. Die Innenwände mussten größtenteils weichen, um einen Saal zu erhalten. Sie wurden durch einen Träger über einer Rundstütze ersetzt. Da die lichte Höhe des Synagogensaales nur etwa 3,2 Meter betrug, war der Einbau einer Frauenempore unmöglich. Wahrscheinlich befand sich das Frauenabteil im nördlichen Raumbereich und verfügte über einen eigenen Zugang über die Nordwand.6

Mit der architektonischen Ausgestaltung spiegelt dieses Gebäude auch die gesellschaftliche Stellung der Gemeinde wider: Auf der einen Seite passt es sich durch die Giebelständigkeit und die Größe des Grundrisses der Nachbarbebauung an, auf der anderen Seite betont der Stufengiebel und der Giebelaufsatz das neue Selbstbewusstsein der noch jungen Gemeinde. Gerade hierbei und bei den Spitzbogenfenstern handelte es sich um Elemente, die bei Landsynagogen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eher selten anzutreffen sind.

Die Einweihung der neuen Synagoge erfolgte am 21. Dezember 1877 in Anwesenheit des orthodoxen Rabbiners Dr. Marx aus Darmstadt.7

Über die Inneneinrichtung ist so gut wie nichts bekannt. Einzig aus dem Kostenvoranschlag für die 1875–1877 durchgeführten Arbeiten ergeben sich einige wenige Hinweise. So erhielt die Decke über dem Betsaal ein Deckensims aus Eichenholz. Die Sitzplätze aus Kiefernholz hatten bewegliche Sitzbretter zum Öffnen und Schließen, gestemmte Rückenlehnen, zwei Seitenlehnen, je ein Fuß- und Bücherbrett sowie eine Mittelstütze.8

Der letzte Vorsitzende der Gemeinde, Abraham Sternfels, verkaufte die Synagoge zum 24. September 1937 an den Nachbarn Philipp Glock III für 1.900 Mark.9 Mit dem Erlös konnte die Auswanderung ärmerer Familien mitfinanziert werden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs musste der Käufer 2.250 Mark nachzahlen.

Der Umbau in ein Wohnhaus verwischte fast alle Spuren jüdischer Nutzung am und im Gebäude. Mangels Unterhaltung geriet es immer mehr in Verfall. Erst nach der Gründung des „Fördervereins jüdische Geschichte und Kultus im Kreis Groß-Gerau” erwarb dieser 1989 die ehemalige Synagoge und restaurierte sie bis 1994 grundlegend. Bereits 1991 hatte der Förderverein dafür den Hessischen Denkmalschutzpreis erhalten.

Seit 1994 dient das ehemalige Synagogengebäude als Kultur- und Begegnungszentrum. An der Einweihungsfeier am 18. Mai nahmen der damalige hessische Ministerpräsident Hans Eichel und der Landesrabbiner Chaim Lipschitz teil.

Als Stätte der Erinnerung werden hier heute einige wenige Gegenstände aus anderen Synagogen des Kreises, ein Sabbatleuchter aus Crumstadt, einer von zwei Thoraschreinvorhängen, zwei Wandleuchter und ein Sabbatleuchter aus Biebesheim, aufbewahrt.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Neben der Synagoge bestanden eine Religionsschule und vermutlich eine Mikwe. Im hinteren Bereich des Grundstücks befindet sich ein scheunenartiger Bau, vermutlich vom Anfang des 20. Jahrhunderts. In seiner Nordostecke fanden Studenten bei den Arbeiten der 1990er Jahre eine rechteckige Grube von 2,17 mal 1,23 Meter, 84 Zentimeter tief im Boden und interpretierten diese als Mikwe. Da diese Grube aber in unmittelbarer Nähe des Hühnerstalls in einem für die Landwirtschaft genutzten Wirtschaftsgebäude lag, dürfte es sich um eine Fehlinterpretation handeln. Heute wird davon ausgegangen, dass sich ein einfaches Wannenbad im Bereich des Eingangs zum Frauenabteil an der Nordwand befand. Die hier stehende Schwengelpumpe erinnert an diese Einrichtung.

Cemetery

Die Toten der Gemeinde wurden auf dem jüdischen Friedhof in Groß-Gerau beigesetzt.

Groß-Gerau, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Süßkind, N.N. · Hirsch, Aron

Fußnoten
  1. HStAD O 61 Müller, 5
  2. HStAD E 8 A, 75/9
  3. Danker: Erfelden, S. 49
  4. HStAD E 3 A, 95/46
  5. HStAD G 15 Groß-Gerau, L 7
  6. Ehemalige Synagoge Erfelden, S. 8
  7. Vorndran/Ziegler: Juden in Groß-Gerau, S. 77
  8. HStAD G 15 Groß-Gerau, L 34
  9. HStAD G 15 Groß-Gerau, L 22
Recommended Citation
„Erfelden (Landkreis Groß-Gerau)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/35> (Stand: 22.7.2022)