Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Egelsbach Karten-Symbol

Gemeinde Egelsbach, Landkreis Offenbach — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1619

Location

63329 Egelsbach, Rheinstraße 49 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Egelsbach wurde 1275 erstmals urkundlich erwähnt und gelangte 1486 in den Besitz des Hauses Isenburg, das es 1600 an den Landgrafen von Hessen-Darmstadt verkaufte.

Erste Nachrichten über Juden in Egelsbach liegen aus dem frühen 17. Jahrhundert vor, als 1619 und 1621 jeweils ein im Ort lebender Jude Abgaben an die landgräfliche Kammer zu entrichten hatte.1 Erst 100 Jahre später treten weitere Nachrichten ans Licht. 1734 sollen 17 jüdische Einwohner dort gelebt haben, allerdings bestätigte der örtliche Pfarrer, dass zwischen 1746 und 1765 keine Geburten in jüdischen Familien zu verzeichnen waren.2 Bis Anfang des 19. Jahrhunderts zählten die in Egelsbach lebenden Juden zur Synagogengemeinde Langen. Sie stellten erstmals 1829 den Antrag, eine eigenständige Gemeinde gründen zu können, der aber zunächst noch abgelehnt wurde. Daraufhin ließ sich der aus Egelsbach stammende Moses Grünebaum zum Vorsitzenden der Langener Gemeinde wählen und förderte von dieser Position aus die Teilungsbestrebungen. Erst 1847 konnte sich eine eigene Gemeinde etablieren, die noch im gleichen Jahr in der Langener Straße eine Hofreite zum Ausbau als Synagoge und Gemeindezentrum erwarb.3 An diesem Haus wurde 1992 eine Gedenktafel angebracht.

Bereits in den 1920er Jahren ging die Anzahl der Gemeindemitglieder zurück. Trotzdem feierte man 1928 das Jubiläum der Synagoge mit einem großen Fest.

1933 lebten etwa 20 jüdische Familien im Ort. Sie waren überwiegend als Freiberufler und Gewerbetreibende tätig, wie Lebensmittelhändler, Metzger, Schneider, Viehhändler und so fort. Zudem gab es einen Praktischen Arzt, einen Zahnarzt, einige wenige Angestellte.

Schon am 28. September 1938 wurden Privatwohnungen überfallen und die dort lebenden Menschen misshandelt. Auch nach der Schändung der Synagoge kam es zu ähnlichen Übergriffen. Noch im Dezember 1938 verzogen die beiden letzten in Egelsbach verbliebenen Juden nach Darmstadt.

1996 ließ die Gemeinde durch den Künstler Michael Hauck ein Denkmal entwerfen und vor dem Rathaus in der Freiherr-von-Stein-Straße aufbauen. Die polierten und ungeschliffenen Granitsteine tragen Gedenktafeln mit der Aufschrift „Ich habe euch vorgelegt Leben und Tod, Segen und Fluch. Wählt das Leben. (5. Mose 30,19). Im Gedenken an die jüdischen Bürgerinnen und Bürger Egelsbachs 1930-1938.“ Seitlich sind die Namen der 110 jüdischen Kinder, Frauen und Männer festgehalten, die 1932 noch in Egelsbach lebten.

Seit 2009 werden in Egelsbach Stolpersteine verlegt.

Betsaal / Synagoge

Seit 1703 verfügten die in Egelsbach lebenden Juden über einen eigenen Betsaal im Obergeschoss des Hauses Schulstraße 50, in dem sich auch eine Mikwe befand. Über dem Eingang soll sich ein Balken mit der in hebräischen Buchstaben ausgeführten Inschrift „gesegnet dein Kommen – 1703 – gesegnet dein Gehen“ befunden haben.4 Er wurde in den 1920er Jahren entfernt, als das Fachwerk durch Mauerwerk ersetzt wurde.

Mit Datum vom 16. Juni 1847 erwarb die israelitische Gemeinde das Anwesen Langener Straße 1, auf dem ein zweistöckiges Wohnhaus mit Metzgerei und Wirtschaft stand. Es verfügte über zwei Stuben, einen Tanzsaal und zwei Kabinette. Zudem standen auf der Hofreite ein Brennhaus mit Brunnen und Stallung.5 Im Wohnhaus wurde die neue Synagoge eingerichtet.

Die wachsende Zahl der Gemeindemitglieder veranlasste im ausgehenden 19. Jahrhundert die Gemeinde, eine neue Synagoge zu planen. Zwei Grundstücke in der heutigen Rheinstraße wurden erworben und zu dem Anwesen mit der Nummer 49 zusammengeführt. Die Grundsteinlegung erfolgte am 26. Juni 1902,6 die Einweihung wurde am 7. und 8. August 1903 mit einem großen Fest gefeiert. Den Einweihungsgottesdienst hielt der Darmstädter Rabbiner Dr. Marx.

Das Gebäude ist ein zweistöckiger massiver Bau aus gebranntem Ziegelmauerwerk, der – etwas zurückversetzt – traufständig zur Straße steht. Straßenseitig tritt ein Mittelrisalit hervor, über dessen Stufengiebel sich früher die Gesetzestafeln befanden. Die teilweise gekoppelten Rundbogenfenster befinden sich in Sandsteingewänden. Die Traufseiten werden durch jeweils drei Strebepfeiler in gleiche Bauabschnitte geteilt. Der Synagogensaal ist von außen durch dreiteilige Fenstergruppen erkennbar.7 Im westlichen Gebäudeteil lag die Mikwe samt einem Vorzimmer, die Garderobe, eine Toilette sowie der Zugang zur Empore im Obergeschoss. Hier befand sich auch eine kleine Wohnung.

Zur Einrichtung gehörten 73 Sitzplätze mit Pulten für Männer, 42 ebensolche für Frauen, eine Garderobe mit 115 Einheiten, ein Thoraschrein, dessen Altaraufbau mit geschnitzten Ornamenten verziert war, ein handgeschnitzter Almemor mit Vorlesepult und Wickelband, eine Gedenktafel aus Marmor, ein großer vielflammiger Kronleuchter, acht Seitenleuchter, zwei Leuchter am Thoraschrein, ein guter Teppich, 20 Meter Läufer, ein Schrank für die Kultgegenstände, eine Wanduhr und ein großer Kachelofen. Zu den Kultgegenständen zählten fünf Thorarollen, zwei Thorakronen aus Silber, zwei Paar silberne Thoraaufsätze mit Schellen, zwei silberne Thoraschilder, ein silberner Lesefinger, ein weiterer aus Elfenbein, 25 mit Gold und Silber bestickte Thoramäntel, 200 handbestickte und bemalte Wimpel, acht Thoraschreinvorhänge mit Übervorhängen aus Plüsch, Seide, Samt und Brokat, ebenfalls goldbestickt, acht Decken für das kombinierte Pult, eine Ewige Lampe aus Messing, zwei siebenarmige Leuchter aus Bronze, ein Channukahleuchter aus Silber, zwei silberne Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, zwei Schofarhörner, ein Gebetmantel mit Silberborte, 14 weitere Gebetmäntel, 15 Paar Phylakterien, 20 Gebetbücher, 20 Sätze Festgebetbücher, 15 Bände Pentateuche, zwei Sätze Aufrufplatten, ein zinnernes antikes Priesterwaschbecken mit Kanne, ein Ethrogbecher, 10 Trauergebetbücher, zehn Trauertafeln. Inneneinrichtung und Kultgegenstände wurden im Zuge der Restitutionsverhandlungen auf einen Wert von fast 71.000 DM taxiert.8

In der Pogromnacht wurden die Gesetzestafeln vom Giebel heruntergerissen und die Innenräume verwüstet. Das Mobiliar warf man in den Vorgarten und auf die Straße, von wo aus es unter der Leitung eines Lehrers von Schulkindern auf eine Wiese gebracht und dort verbrannt wurde.9

1941 erwarb die politische Gemeinde Egelsbach das Gebäude für 5.000 Mark. Es diente zunächst als Magazin und Unterkunft für Kriegsgefangene. Um 1960 ging es in Privatbesitz über und wurde zu einem Wohnhaus umgebaut.

Unmittelbar nach dem Krieg wurden die in den Garten gefallenen Gesetzestafeln auf den Giebel zurück versetzt, von wo sie aber bald wieder herunter fielen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem nachdem Überlebende des Holocausts wieder nach Egelsbach kamen, erinnerte man sich wieder der Tafeln. Heute steht im Vorgarten der ehemaligen Synagoge eine Kopie der Gesetzestafeln, die Originale befinden sich im Leo Baeck Museum in Miami, Florida, USA.10

Weitere Einrichtungen

Mikwe

1827 bestand im Keller des Hauses von Wolf Simon in der Schulstraße 50 eine Privatmikwe.11 In der seit etwa 1850 genutzten Alten Synagoge in der Langener Straße 1 wurde 1854 eine Gemeindemikwe eingebaut. Die 1903 eingeweihte Synagoge in der Rheinstraße verfügte ebenfalls über eine derartige Einrichtung. Sie wurde aus einem Regenwasserbassin gespeist. Mit der wenige Jahre später erfolgten Eröffnung einer öffentlichen Badeeinrichtung wurde sie aber kaum noch genutzt.12

Schule

Seit 1847 beschäftigte die neu gegründete Gemeinde einen eigenen Lehrer.

Cemetery

Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden die in Egelsbach verstorbenen Juden auf dem Verbandsfriedhof in Groß-Gerau bestattet. 1892/93 belegte die Gemeinde unmittelbar westlich des Egelsbacher Gemeindefriedhofs eine eigene Begräbnisstätte an und ließ sie von einer Mauer einfassen. Die letzte Bestattung fand 1936 statt.13

Groß-Gerau, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Egelsbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. HStAD O 61 Müller in 5
  2. HStAD E 9, 6912
  3. Thomin, 2000, S. 115
  4. Thomin, 2000, S. 123
  5. Großmann, 1995, S. 43
  6. Thomin, 2000, S. 118
  7. Altaras, 2007, S. 360
  8. HHStAW 518, 1465
  9. Thomin, 2000, S. 120
  10. Thomin, 2003, S. 79
  11. Thomin, 2000, S. 115
  12. Thomin, 2000, S. 138
  13. Thomin, 2000, S. 13
Recommended Citation
„Egelsbach (Landkreis Offenbach)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/125> (Stand: 22.7.2022)