Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Düdelsheim Karten-Symbol

Gemeinde Büdingen, Wetteraukreis — Von Werner Wagner
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1625

Location

63654 Büdingen, Ortsteil Düdelsheim, Hauptstraße 21 | → Lage anzeigen

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1950

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Düdelsheim kam 1601 an die Grafschaft Büdingen, zusammen mit den Dörfern Rohrbach und Stockheim sowie mit bestimmten Hälften von Aulendiebach, Calbach und Orleshausen. Kurz darauf wurde aus diesen Orten und Ortsteilen ein Verwaltungsbezirk gebildet, das Gericht Düdelsheim.1

Der neue Bezirk gehörte ehedem zu dem 1601 aufgeteilten Landgericht Ortenberg, das im 12. Jahrhundert aus der Cent Glauberg hervorgegangen war.2

Obrigkeitliche Gewalt in dem landgerichtlichen Territorium übten Gemeinschaftsherren aus, zuletzt die Grafen von Büdingen, Hanau und Stolberg. In der benachbarten Herrschaft Büdingen, 14423 zur Grafschaft erhoben, verfügten ihre Machthaber über das 13304 erteilte Judenregal. Es gestattete die Aufnahme von 12 Schutzjuden.

Mit dem 1601 erfolgten Erwerb und der Bildung des Gerichts Düdelsheim konnten die Grafen von Büdingen nun auch in diesem neuen Bezirk das alte Judenregal in seinen Nutzen, Diensten und Rechten anwenden.

So erlaubten sie um 1621 einem gewissen Koschel, jüdischer Beisasse in Hainchen, sich in Düdelsheim als Schutzjude niederzulassen. Eine Supplik Koschels von 1625 ist der älteste Beleg für einen in Düdelsheim wohnenden Juden.5

1725 gab es in Düdelsheim 14 jüdische Haushalte, 1753 waren es 12 (mit 39 Kindern). 1803 lebten in Düdelsheim 111 Juden, davon 17 als schutzgeldzahlende Beisassen. Bei insgesamt 1.071 Einwohnern betrug der jüdische Anteil also zu diesem Zeitpunkt rund 10 Prozent.6

1849 wohnten in Düdelsheim 144 Juden (Einwohner insgesamt 1.292); 1860 waren es 167 (Einwohner insgesamt 1.319); 1900 belief sich die Anzahl auf 99 (Einwohner insgesamt 1.206).7

Wirtschaftlich betätigten sich die Düdelsheimer Juden bis in das 20. Jahrhundert hinein mit Viehhandel, An- und Verkauf landwirtschaftlicher Produkte, Schlachterei, Schuhreparatur, Stoffverarbeitung und Kurzwarenvertrieb.8 Als Darlehensgeber trat im 18. Jahrhundert ein Seeligmann in Erscheinung,9 Vorfahre der späteren Marburg-Familie, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Mitglied der Familie Frank.10

Spätestens seit 171811 war Düdelsheim Sitz einer Synagogengemeinde, zu der Rohrbach und Stockheim bis in den Anfang des 18. Jahrhunderts gehörten.

Zum Jahr 1816 ist für Düdelsheim die Filmkopie eines jüdischen Familienregisters überliefert,12 das Namen mit Personenstandsdaten bis um die Mitte des 18. Jahrhunderts enthält. Ab dem Jahr 1824 (bis 1875) sind Personenstandsregister zu den Düdelsheimer Juden vorhanden.13

In der NS-Zeit betrug im Januar 1936 der jüdische Bevölkerungsanteil in Düdelsheim noch 49 Personen. Von diesen verstarben drei vor dem Juli 1938, 24 gelang vor dem 4. November 1938 die Auswanderung nach den USA, drei konnten einen Tag vor diesem Termin nach Südafrika emigrieren, vier weitere im April 1939 dorthin. Eine Person wurde 1941 Opfer des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms, 14 Gemeindemitglieder starben in Ghettos oder wurden in den Vernichtungslagern ermordet.14

Betsaal / Synagoge

1718 ist zum ersten Mal schriftlich zu Düdelsheimer Juden bezeugt, dass sie „Schul hielten“,15 d. h. sich zu ihren Gemeindegottesdiensten trafen. 1724 taucht der Begriff „Judenschule“ auf.16 Aus einer Schulordnung von 1734 ist ersichtlich,17 dass die Düdelsheimer Judenschaft noch kein eigenes Synagogengebäude besaß. Sie hatte nämlich von ihrem Mitglied Herz „ein Zimmer, zur Schul zu gebrauchen“, angemietet. Diese Einrichtung auf privater Basis blieb bis 1861 bestehen (vielleicht bei wechselnden Räumlichkeiten).

1860 kam es in Düdelsheim zum Bau einer Synagoge.18 Eingeweiht wurde sie am 16. August 186119 durch den Provinzial-Rabbiner Dr. Levi aus Gießen. Die Kosten für den Bau und die Finanzierung sind nicht bekannt. In der evangelischen Pfarrchronik steht zum Jahr 1860: „Weil die Israeliten bei Reparatur unsrer Kirche sich so eiflig [!] gezeigt hatten, so erboten sich die mit Fuhrwerk versehenen Einwohner Düdelsheims, ihnen die Baumaterialien unentgeltlich bei zu fahren, wodurch ihnen, da der ganze Bau von Steinen ausgeführt wird, ihr Unternehmen sehr erleichtert wurde.“

Architekt des Gebäudes und Bauleiter war der Fürstlich Ysenburgische Baurat Victor Melior (1820–1910).20 Sein Bauplan hat sich erhalten,21 die Synagoge nicht: Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen.

Die Synagoge stand zwischen den bebauten Grundstücken Hauptstraße 17 und 10 heutiger Zählung und nahm in der Flur 1 die jetzige Parzelle 230/1 ein.22

Bei dem Gebäude handelte es sich um einen rechteckigen Bau mit den Grundmaßen 11,23 x 13,66 Meter;23 die Synagoge besaß also eine Fläche von rund 153 Quadratmetern.

Die Mauern dieses Gebäudes erhoben sich auf einem niedrigen Steinsockel. An der Straßenseite ragte die östliche Giebelfront mit einem leicht vorstehenden Mittelteil ca. 14 Meter auf und übertraf mit ihm an Höhe das Satteldach. Gegliedert war die Wandfläche durch drei Spitzbogenfenster in maurischem Stil, ein größeres in der Mitte, symmetrisch dazu zwei tieferstehende von kleinerem Ausmaß. Wie ein Foto von 1940/4724 ausweist, war zumindest das Mittelfenster mit einem Maßwerk aus Holz oder Stein ausgefüllt. Weiter unterhalb von diesem Fenster befand sich eine vierteilige maurische Fensterblende.

In den Innenraum der Synagoge gelangte man durch ein Portal in der Südwand. Portal und zwei symmetrisch zu ihm höherstehende Fenster wiederholten die Stilelemente der Ostwand.

Links hinter dem Portal führte eine Treppe auf die Frauenempore. Über den Innenraum erstreckte sich eine gewölbte Decke. Die Farbfassung der Decke ist ebenso wenig bekannt wie die der Wände. Auch die Inneneinrichtung der Synagoge entzieht sich der Kenntnis. Vorhanden ist von dem sakralen Inventar noch eine Thorarolle, die 1961 im Keller des Düdelsheimer Rathauses aufgefunden wurde und heute im Besitz des Lichtigfeld-Museums in Michelstadt im Odenwald ist.25

In den Abendstunden des 9. November 1938 drangen SA-Leute aus Büdingen mit Düdelsheimer Gefolgschaft in die Synagoge ein, brachen Fenster heraus, setzten Vorhänge in Brand, demolierten das Inventar, luden es auf Karren, fuhren es zur Marktwiese und setzten es dort im Beisein einer großen Menschenmenge in Flammen.26

1947 wurde das verfallende Gebäude im Einvernehmen mit dem jüdischen Kreis-Treuhänder in Büdingen abgetragen.27 Heute kennzeichnet eine Gedenktafel den Standort der Synagoge.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

In Düdelsheim befand sich in der Marktstraße 3 ein „Judenbad“, ein Badehaus mit einem darin befindlichen Brunnen.28 Die Entstehungszeit des Badehauses ist nicht bekannt. Das betreffende Grundstück war schon 1823 im Eigentum der Judengemeinde und auch bebaut.29 1904 gelangte es durch Verkauf an einen christlichen Einwohner.30

Schule

An der Ecke Hauptstraße/Wingertsgasse gab es seit 1910 (?) das Gebäude einer Judenschule. Es diente dem Religionsunterricht und ist noch vorhanden.31

Cemetery

Düdelsheim, Alter jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Düdelsheim, Neuer jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Düdelsheim, Alter jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen
Düdelsheim, Neuer jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. Philippi, Territorialgeschichte, S. 141 f.
  2. Philippi, Territorialgeschichte, S. 134 ff.
  3. Philippi, Territorialgeschichte, S. 125
  4. Luh, Büdingen, S. 27
  5. Wagner, Peter Wilman, S. 510 ff.
  6. Decker, Frühzeit, S. 224, 229, 231
  7. GemA Düdelsheim II, 1, 11 u. 21; XV, 8, 4
  8. GemA Düdelsheim, passim
  9. Wagner, Seeligmann-Marburg, S. 204
  10. Wagner, Voranschlag, S. 198
  11. Decker, Frühzeit, S. 224
  12. HHStAW 365, 117
  13. GemA Düdelsheim XIII, 3, 9/10/11/14/15 u. XIII, 4, 1/3/4/5
  14. Wagner, Aufstellung, S. 193 ff.
  15. Decker, Frühzeit, S. 224
  16. Decker, Frühzeit, S. 224
  17. Decker, Frühzeit, S. 224 ff.
  18. Ev. Pfarramt Düdelsheim, Pfarrchronik, Eintrag zum Jahr 1860
  19. Ev. Pfarramt Düdelsheim, Pfarrchronik, Eintrag zum Jahr 1861
  20. Müller, Victor Melior, S. 271 ff. (biographische Skizze)
  21. GemA Düdelsheim XIII, 4, 9
  22. GemA Düdelsheim XIII, 4, 9: Situationsplan (1860) der Synagoge
  23. Im Bauplan von 1860 in alter Maßangabe 37’ x 45’ (Büdinger Fuß mit 30,35 cm)
  24. Zeitraum nach dem Firmenschild am Nachbarhaus, das nach dem Mai 1940 aus jüdischem Eigentum an den genannten Geschäftsmann gelangte, sowie nach dem Abrissjahr der Synagoge.
  25. Decker, Frühzeit, S. 225, mit Abbildung der Thorarolle
  26. Heß, Vergangenheit, S. 243, mit Abbildung der Synagoge
  27. GemA Düdelsheim XV, 2, 1
  28. Mündliche Mitteilung des heutigen Hauseigentümers
  29. GemA Düdelsheim XXI, 44, 1
  30. GemA Düdelsheim XXI, 24, 1
  31. Hauptstraße 43
Recommended Citation
„Düdelsheim (Wetteraukreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/640> (Stand: 5.9.2022)