Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Crumstadt Karten-Symbol

Gemeinde Riedstadt, Landkreis Groß-Gerau — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1537

Location

64560 Riedstadt, Ortsteil Crumstadt, Walter-Rathenau-Straße | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Der älteste Hinweis auf einen Juden in Crumstadt stammt aus dem Jahr 1537, als Seligmann von Darmstadt nach dort verzog.1 Annähernd 100 Jahre später folgen weitere Hinweise auf steuerpflichtige Juden, so 1619, 1621 und 1623, als jeweils ein Jude aus Crumstadt Zollabgaben zu entrichten hatte. 1631 ist erstmals ein jüdischer Einwohner namens Gumpel nachweisbar. Ende des 17. Jahrhunderts werden in unterschiedlichen Rechnungen Jud Zadok, Jüdin Güthe und Jud Aron genannt. 1720 besaß ein Jude namens Baruch ein Haus und von 1723 bis 1752 lebte Mosche Crumstadt im Ort, der 1735 wichtige Aufgaben im Rahmen der Landjudentage in Groß-Gerau übernahm. 1794 waren es vier jüdische Familien2, deren Namen aber nicht überliefert sind. Ende des 18. Jahrhunderts konstituierte sich eine eigenständige Gemeinde, die bis 1828 einen Betsaal unterhielt und danach eine Synagoge einrichtete.3

Über die Zahl der jüdischen Bevölkerung in Crumstadt gibt es unterschiedliche Angaben. Sicher ist, dass sie um 1880 mit 84 Personen, was einen Anteil von 6,2 % der Gesamtbevölkerung ausmacht, den höchsten Strand erreichte.4 In den folgenden Jahrzehnten sank diese Zahl wieder. 1910 lag sie 60, 1933 bei 47 Personen. 15 von ihnen wurden deportiert und ermordet, als letzter der letzte Vorsteher, Isidor Heim.

Bis zu ihrer Auflösung gehörte die Gemeinde dem orthodoxen Rabbinat Darmstadt II. an.

Betsaal / Synagoge

Nachdem sich Ende des 18. Jahrhundert die Gemeinde Crumstadt gebildet hatte, nutzte sie – vermutlich in einem Privathaus – einen angemieteten Betsaal. 1826 erwarb der ledige Issachar ben Baruch, der sich später Zacharias Bruchfeld nennen sollte, die vormalige Zehntscheune in der heutigen Walter-Rathenau-Straße, etwa gegenüber der Einmündung Sandstraße. Er schenkte das Gebäude der Gemeinde, die es bis 1828 zu einer Synagoge umbauen ließ. Die Kosten wurden unter anderem durch eine Spendenaktion aufgebracht. Als Dank für die Stiftung erhielt Zacharias Bruchfeld, der allein rund 650 Gulden beigetragen hatte, das Recht, „sich einen Stand in der Schule zu wählen, der ihm am besten gefällt.”5 Das gleiche Recht erhielt auch seine zukünftige Frau in der Frauenschule und eines der möglicherweise aus dieser Ehe hervorgehenden Kinder.

1890 fanden umfangreiche Sanierungs- und Umbauarbeiten statt. Unter anderem wurde das Fachwerk der Synagoge verputzt, eine Ofenheizung eingebaut6 und die Mikwe erneuert. Beide müssen sich anschließend in einem guten Zustand befunden haben, denn die Synagoge wurde mit 4.600 Mark, die Mikwe mit 690 und die Abtritte mit 80 Mark in das Brandkataster eingetragen.7 Den überwiegenden Platz nahmen das Schulzimmer und der eigentliche Synagogenraum ein. Die südliche Dachfläche war weit heruntergezogen und bildete beinahe einen Niederlass, der vorne eine Amtsstube und hinten eine Wohnstube aufnahm.

Am 7. Februar 1928 feierte die Gemeinde ihr 100jähriges Bestehen, die Festpredigt hielt der Rabbiner Dr. Merzbach aus Darmstadt

Trotz Protestes des Bürgermeisters drangen in der Pogromnacht SA-Leute in die Synagoge ein. Diese verfügte seinerzeit über 72 Sitzplätze mit Pulten für Männer und 32 Sitzplätze für Frauen sowie eine entsprechende Garderobenvorrichtung. Zur Ausstattung zählten unter anderem ein Thoraschrein mit Altaraufbau, ein Almemor mit Vorlesepult und Wickelbank, ein Vorbeterpult, ein großer, vielflammiger Kristalllüster, zwölf größere Seitenleuchter, sechs Leuchter am Thoraschrein, ein großer Perserteppich, ein Schrank für Kultgeräte sowie zwei Uhren.8 Die Einrichtung wurde zerschlagen, die Gebäude weitgehend zerstört. Einzig eine Hängeleuchte aus Messing wurde geborgen.9 Der Gesamtschaden wurde mit 129.244 Mark beziffert. Der Landrat ordnete zunächst an, die Schäden durch Verschluss der Hofreite unsichtbar zu machen. Später hatten die Gemeindemitglieder die Reste der Synagoge selbst niederzulegen. Da dies den verblieben vier alten Männern nicht möglich war, mussten sie einen Handwerker damit beauftragen. Die beiden Nachbarn konnten anschließend das Grundstück zu einem deutlich reduzierten Preis erwerben und mussten dafür nach dem Krieg zusammen 750 Mark nachzahlen.10

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Es ist davon auszugehen, dass diese Synagoge zunächst keine Mikwe enthielt. Tatsächlich hatte Zacharias Bruchfeld geheiratet und stellte bis 1852 „sein eigenes Frauenbad in seinem Haus den sämmtlichen hiesigen Israeliten zur Benutzung“11 zur Verfügung, wodurch eine Mikwe für die Gemeinde nicht notwendig war. Nach Bruchfelds Tod wollte seine Witwe das Haus verkaufen und verweigerte die weitere quasi öffentliche Nutzung. Bis 1856 ließ sich daher die Gemeinde für 536 Gulden auf dem Synagogengrundstück rechts zwischen Straße und Synagoge eine Mikwe einbauen. Differenzen über die Finanzierung verhinderten einen früheren Abschluss. Bereits 1875 mussten schon wieder Sanierungsarbeiten durchgeführt werden, weil „das Frauenbad nicht mehr, wie das Gesetz besagt, im Stande ist”.12 Weitere Sanierungen sind für 1890 belegt.

Schule

Die 1828 erbaute Synagoge beinhaltete neben dem eigentlichen Synagogengebäude auch ein Schulzimmer.

Cemetery

Die Verstorbenen der Gemeinde wurden sowohl in Alsbach, als auch in Groß-Gerau bestattet. Bei den älteren Beisetzungen in Alsbach findet man mehrheitlich Gräber der Familie Bruchfeld, während die meisten Gräber in Groß-Gerau in die Familie Mayerfeld gehören. Das älteste Crumstädter Grab in Alsbach von 1745 gehört Bunle, der Tochter des Abraham.13

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Groß-Gerau, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Seligmann · Gumpel · Zadok · Güthe · Aron · Baruch · Mowsche Crumstadt · Heim, Isidor · Issachar ben Baruch · Bruchfeld, Zacharias · Merzbach, Dr. · Bruchfeld, Familie · Mayerfeld, Familie · Bunle, Tochter des Abraham

Places

Darmstadt

Sachbegriffe Geschichte

Landjudentage

Sachbegriffe Ausstattung

Thoraschreine · Almemore · Vorlesepulte · Wickelbänke · Kristalllüster · Leuchter · Teppiche · Uhren

Sachbegriffe Architektur

Öfen · Niederlässe

Fußnoten
  1. HStAD O 61 Müller, in 2.
  2. Walter: Heimatbuch Crumstadt, S. 295.
  3. Schleindl: Verschwundene Nachbarn, S. 220.
  4. Heinemann: Jüdischer Friedhof Alsbach, S. 50.
  5. Heyl: Synagoge Crumstadt.
  6. Kowalski: Die Schäden sollte niemand sehen.
  7. HHStAW 503, 7385.
  8. HHStAW 518, 1404.
  9. Kowalski: Die Schäden sollte niemand sehen.
  10. HHStAW 518, 1404.
  11. HStAD G 15 Groß-Gerau, L 7.
  12. HStAD G 15 Groß-Gerau, L 7.
  13. Heinemann: Jüdischer Friedhof Alsbach, S. 51.
Recommended Citation
„Crumstadt (Landkreis Groß-Gerau)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/30> (Stand: 11.8.2022)