Synagogen in Hessen
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- Großherzogtum Hessen 1823-1850 (Übersichtskarte mit handschriftlichen Ergänzungen) – 26. Worms
Bürstadt
- Gemeinde Bürstadt, Landkreis Bergstraße — Von Wolfgang Fritzsche
- Basic Data ↑
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Juden belegt seit
1435
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Location
68642 Bürstadt, Mainstraße 24 | → Lage anzeigen
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Rabbinat
bis 1926 Darmstadt II, ab 1926 Darmstadt I
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religiöse Ausrichtung
bis 1926 orthodox, danach liberal
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preserved
nein
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Art des Verlusts
Abbruch
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Gedenktafel vorhanden
ja
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Weitere Informationen zum Standort
- History ↑
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Der älteste Nachweis eines jüdischen Bewohners in Bürstadt stammt aus dem Jahr 1435, als der „Jude Helfrich vom Stein“ als Besitzer eines Hofes genannt wird.1 Eine Siedlungskontinuität lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Im Gegenteil: Für die Zeit, während der Bürstadt zu Kurpfalz gehörte, liegen keine Hinweise auf im Ort lebende Juden vor. Erst ab Ende des 17. Jahrhunderts verdichtet sich die archivalische Überlieferung. So lebte 1668 ein Jude im Ort. 1672 wird mit Löw erstmals ein Jude namentlich genannt. In den folgenden Jahren kamen 1680 Aaron Samuel, 1705 Moses und Sabel und 1720 Moiche, Anschel und Samuel hinzu.2 Im Laufe des 18. Jahrhunderts steigt die Zahl jüdischer Einwohner, so dass davon ausgegangen werden kann, dass sich um die Wende zum 19. Jahrhundert eine Gemeinde gründete.
Um diese Zeit tauchen erstmals die später geläufigen Familiennamen auf. Es sind dies zunächst Sinsheimer, Sondheimer (auch Sundheimer) und Strauß. Später kommen Brückmann und Vogel, aber auch Flörsheim, Hochstädter, Koch, Lösermann, Meyer oder Mehrl hinzu.
1806 erreichte die Gemeinde mit 27 Personen ihren prozentual höchsten Stand. Er betrug 2 % der Gesamtbevölkerung. 1867 war auch der absolut höchste Stand mit 50 Personen erreicht. Danach sank die Zahl wieder und lag 1925 bei 38.3
Ob, und wenn ja, wo die junge Gemeinde eine Betstube nutzte, ist nicht bekannt. Eine erste Synagoge wurde 1818 auf dem Grundstück mit der heutigen Bezeichnung Mainstraße 24 erbaut.
Im Gegensatz zu den meisten anderen jüdischen Gemeinden hatte die Gemeinde in Bürstadt einen Christen als Gemeinderechner bestellt.
Einer Vermögensaufstellung ist der Gemeindebesitz im Jahr 1901 zu entnehmen. Neben der Synagoge und dem Schulhaus besaß die Gemeinde vier auf Pergament geschriebene Thorarollen, einen ebenfalls auf Pergament geschriebenen Auszug aus den Büchern der Propheten, vier Vorhänge, einen Beschneidungsstuhl, fünf Subsilien, einen silberner Deuter, einen Messingleuchter, zwölf Mäntel um die Thora, einen Kessel in der Mikwe sowie verschiedene Schulgerätschaften.4
Schon vor dem Ersten Weltkrieg war es schwierig geworden, die für den Minjan erforderliche Anzahl an Männern aus der eigenen Gemeinde zu stellen. Deswegen kamen Männer aus den umliegenden Gemeinden. Sie sind teilweise noch namentlich in den Rechnungsbüchern nachweisbar und stammten aus Bensheim, Lampertheim, Biblis oder Lorsch.
Während des Ersten Weltkrieges, an dem unter anderem Oskar Sinsheim und Albert Meyer als Soldaten teilnahmen, fanden keine Gottesdienste statt.
Aufgrund zahlreicher Repressalien und Boykotte verließen viele jüdische Bürstädter den Ort. 1933 wurden rund 30 Bürstädter, darunter auch Moritz Hochstädter und Adolf Sondheimer, festgenommen und in das Außenlager Osthofen deportiert. Adolf Sondheimer verstarb nach seiner Entlassung im Juli 1933. In der Pogromnacht drangen Nazis in die Wohnung von Albert Meyer ein, verwüsteten sie und misshandelten seine 17-jährige Tochter schwer.
- Betsaal / Synagoge ↑
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Die jüdische Gemeinde Bürstadt errichtete 1818 eine erste Synagoge in der Mainstraße, heute Nr. 24. Ob vorher im Ort ein Betsaal bestand, ist nicht bekannt.
Die Synagoge wurde 1860 durch einen Neubau ersetzt, der 1.700 Gulden kostete. 200 davon stiftete die politische Gemeinde, weitere 200 die Sparkasse Lorsch.
Trotz sinkender Zahl der Gemeindemitglieder wurde noch zu Beginn der 1930er Jahre Gottesdienst gehalten. Da kein Minjan mehr erreicht wurde, lud man Männer aus benachbarten Ortschaften ein, die gegen ein geringes Entgelt teilnahmen.5
Am 28. November 1937 meldete Gustav Flörsheimer aus Bürstadt, dass dauerhaft kein Minjan mehr zustande käme und daher keine Gottesdienste mehr gehalten würden. Er bat um Auskunft, wie mit den Kultgegenständen zu verfahren sei. So hatten beispielsweise einzelne Mitglieder angefragt, ob der Erwerb bestimmter Gegenstände, wie Sephorim oder Silber, als Andenken möglich sei. Rabbiner Bienheim teilte daraufhin mit, alle Kultgegenstände „insbesondere Sephorim, Thoraschmuck, sind Eigentum der jüdischen Gesamtheit und dürfen deshalb nicht einzelnen Gemeindemitgliedern als Privatbesitz übergeben werden.“6 Daraufhin wurden die Kultgegenstände nach Heppenheim ausgelagert und das Synagogengrundstück an eine christliche Familie verkauft. Die neuen Besitzer ließen zunächst die Synagoge, später auch das Wohnhaus abbrechen.7
Seit 2013 befindet sich an dem Haus eine Gedenktafel mit der Inschrift „Hier standen Synagoge und Gemeindehaus der israelischen Gemeinde Bürstadt. Die jüdische Gemeinde wurde durch die Nationalsozialisten entrechtet, vertrieben und vernichtet. Die Synagoge verschwand Anfang der 40er Jahre aus dem Stadtbild.“
- Weitere Einrichtungen ↑
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Mikwe
In der alten Synagoge, Mainstraße 24, bestand spätestens seit 1842 auch eine Mikwe. Ihr Bau war durch ein Legat von Salomon Sinsheimer ermöglicht worden. Als Einrichtungsgegenstände sind den Rechnungsbüchern zwei Öfen, ein Badekessel und eine Pumpe sicher zu entnehmen. Mit dem Bau der neuen Synagoge 1861/62 zog diese in das auf dem Nachbargrundstück gelegene Wohnhaus um. Als dieses 1902 vermietet wurde, wurde die Mikwe explizit aus dem Mietgegenstand herausgenommen.
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Schule
In unmittelbarer Nachbarschaft zur Synagoge, heute Mainstraße 22, stand ein Wohnhaus, das ebenfalls der israelitischen Gemeinde gehörte. Es war an Christen vermietet, zu deren Aufgabe es unter anderem gehörte, die Synagoge zu reinigen, die Lichter anzuzünden und im Winterhalbjahr zu heizen. Auch hatten sie zu bestimmten Zeiten Räume für den Schulunterricht der jüdischen Kinder vorzuhalten.8 Ebenso wie die Synagoge wurde auch dieses Haus 1860/61 grundlegend erneuert. Einem 1902 geschlossenen Mietvertrag ist die genaue Regelung zu entnehmen: „Das hintere Zimmer der Parterrewohnung muß der Miether mindestens dreimal wöchentlich zur Verfügung stellen, damit den Kindern darin Religionsunterricht erteilt werden kann. Ferner verpflichtet sich der Miether, die Reinigung der Synagoge und zwar dreimal im Jahr gründlich und mindestens alle 14 Tage bis drei Wochen auszukehren abzustauben und im Winter die Heizung der Synagoge zu besorgen und auf Verlangen die Lichter anzuzünden und auszulöschen.“9
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Cemetery
Die Gemeinde bestattete ihre Verstorbenen auf dem Friedhof in Alsbach, auf dem sich 78 Grabstätten verstorbener Bürstädter der Zeit von 1720 bis 1933 erhalten haben.
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Grabstätten
- References ↑
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Weblinks
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Sources
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW):
- HHStAW Best. 365, Nr. 48: Gräberverzeichnis des jüdischen Sammelfriedhofs von Alsbach, enth. Bürstadt, 1889–1941
- HHStAW Best. 365, Nr. 960: Geburtsregister der Juden von Bürstadt, 1823–1875
- HHStAW Best. 365, Nr. 961: Trauregister der Juden von Bürstadt, 1827–1875
- HHStAW Best. 365, Nr. 962: Sterberegister der Juden von Bürstadt, 1828–1875
- HHStAW Best. 503, Nr. 7379: Entschädigungsansprüche der jüdischen Gemeinden im Regierungsbezirk Darmstadt. Bd. 2: Synagogen und andere jüdische Einrichtungen im Kreis Alsfeld und im Kreis Bergstraße, 1932–1962
- Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD):
- HStAD Best. Q 2, Nr. 43: Israelitische Religionsgemeinden Lampertheim, Bürstadt, Griesheim, 1908–1937
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Bibliography
- Alicke, Klaus-Dieter: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Gütersloh 2008
- Arnsberg, Paul: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang. Untergang. Neubeginn, 2 Bde. Frankfurt a.M. 1971/1972, hier: Band 1, S. 101-102
- Goll, Hans: Von Aaron bis Zacharias: Die israelitische Religionsgemeinde von Bürstadt. Juden in Bürstadt von 1435 bis 1938. Bürstadt 1988
- Heinemann, Hartmut/Wiesner, Christa: Der jüdische Friedhof in Alsbach an der Bergstraße. Wiesbaden 2001 (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen 18)
- Hellriegel, Martin und Hellriegel, Ludwig: Synagogen im Kreis Bergstraße, ihre Geschichte und Schicksale. In: Kreis Bergstraße. Geschichte, Wirtschaft und Kultur in zwölf Jahrhunderten. Hrsg. vom Kreisausschuss des Kreises Bergstraße. Heppenheim 1988, S. 97–117
- Krause-Schmidt, Ursula/Freyberg, Jutta von: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstands und der Verfolgung 1933–1945. 1, Hessen. 1. Regierungsbezirk Darmstadt. Hrsg. vom Studienkreis Deutscher Widerstand. Frankfurt 1995
- Wolter, Andreas: Das kleine jüdische Ortssippenbuch Bürstadt. Bürstadt 1994
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Illustrations
- Bürstadt: Gedenktafel (2016) (42-FM-20)
- Fußnoten ↑
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- Wolter: Das kleine jüdische Ortssippenbuch, S. 1 ↑
- Goll: Israelitische Religionsgemeinde von Bürstadt, S. 9 ↑
- Goll: Israelitische Religionsgemeinde von Bürstadt, S. 16 ↑
- Goll: Israelitische Religionsgemeinde von Bürstadt, S. 62 ↑
- Hellriegel: Synagogen im Kreis Bergstraße, S. 107 ↑
- HStAD Q 2, 43 ↑
- Hellriegel: Synagogen im Kreis Bergstraße, S. 107 ↑
- Goll: Israelitische Religionsgemeinde von Bürstadt, S. 28 ↑
- Zitiert nach Goll: Israelitische Religionsgemeinde von Bürstadt, S. 33 ↑
- Recommended Citation ↑
- „Bürstadt (Landkreis Bergstraße)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/42> (Stand: 22.7.2022)