Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Breidenbach Karten-Symbol

Gemeinde Breidenbach, Landkreis Marburg-Biedenkopf — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

Ende 16. Jahrhundert

Location

35236 Breidenbach, Hauptstraße 47-49 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1969

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Im 10. Jahrhundert wurde Breidenbach erstmals genannt. Im frühen 15. Jahrhundert gehörte der Ort zu einem Teil zum Gericht Breidenbach, zum anderen Teil zum Gericht Wallau. Seit dem 16. Jahrhundert lag die hohe Gerichtsbarkeit in Händen der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt.

Die ersten Juden, die in Breidenbach lebten, wurden am Ende des 16. Jahrhunderts verzeichnet.1 Um 1810 lebten 39 Juden am Ort, 1831 73 und 1858 104 Juden (Anteil von ca.14 % der Gesamtbevölkerung). 1933 lebten noch drei Familien in Breidenbach.2

Vermutlich bestand bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine ausreichende Zahl an religionsmündigen Männern für ein Minjan, doch gründete sich die jüdische Gemeinde offiziell erst 1826.3 1853 weihte die Synagogengemeinde feierlich eine neue Thorarolle ein.4 Um 1907 war Levi Sonneborn II. Vorsitzender der jüdischen Gemeinde; der letzte Vorsitzende der jüdischen Gemeinde war Heinemann Stern. Mit dem erzwungenen Verkauf des Synagogengebäudes, 1938, war das Ende der jüdischen Gemeinde offiziell gegeben. Die Breidenbacher Juden lebten überwiegend vom Viehhandel, daneben vom Handel mit Spezerei- und Ellenwaren, Strumpf- und Baumwollzeug. Es gab Nebenerwerbsmetzger, einen Brandweinzapfer sowie einen Schuster am Ort.5

Alle der letzten drei 1933 noch in Breidenbach lebenden jüdischen Familien konnten bis 1939 in die USA emigrieren.6 Die zuvor weggezogenen emigrierten teilweise ins Ausland, teilweise verzogen sie innerhalb Deutschlands.

Betsaal / Synagoge

Um 1777 ist im Brandkataster der Gemeinde ein jüdischer Betraum verzeichnet. Dieser lag, vermutlich als Anbau, am Haus des Löw Aron, das die Hausnummer 39 hatte.7 Offenbar befand sich ein nächster, schon vor 1823 benutzter Betraum in einem Anbau an das Wohnhaus von Feibel Sonneborn. Dieser Betraum hatte eine Größe von 6,75 x 7,50 Metern und eine Höhe von 5 Metern. Aufgrund der Raumhöhe ist ein Emporengeschoss anzunehmen.8

Die nachfolgende Synagoge stand in der Hauptstraße Nr. 47-49 an der Durchgangsstraße über Breidenstein nach Biedenkopf.9 Die im Februar 1826 gebaute Synagoge lag ursprünglich am Ortsrand auf dem Gelände des alten Breidenbacher Gemeindebrauhauses, doch wurde der Standort durch die zunehmende Bebauung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Ortsmitte. Im Ostteil des Hauses war der Gottesdienstraum, im westlichen Bereich die Lehrerwohnung sowie Räume für Religionsunterricht und Gemeindeversammlungen untergebracht. Das zweigeschossige, unverputzte10 Fachwerkgebäude11 stand mit der nordöstlichen Giebelseite zur Straße und hob sich besonders durch die Gestaltung des Nordostgiebels von der umliegenden Bebauung ab. Der Schaugiebel wies einzelne Attribute eines jüdischen Sakralgebäudes auf: ein aufwendig gestaltetes Rundfenster mit Davidsternmotiv im Obergeschoß der Mittelachse sowie einem darunter liegenden Thoraschreinerker.12 Zudem besaß die Synagoge im Gegensatz zu den meisten Nachbarhäusern, die noch mit Stroh gedeckt waren, auf dem Satteldach eine Ziegeldeckung mit Schieferrahmung.13 Das über niedrigem steinernen Sockel mit Satteldach und Schopfwalm im Nordostgiebel gebaute Haus war ca. 11,25 Meter lang.14 Im Brandversicherungskataster war es mit einem Wert von 1.500 fl. im Eigentum der Synagogengemeinde verzeichnet.

Seit um 1856 bis zum erzwungenen Verkauf um 1938 waren in Erd- und Obergeschoss der Synagoge in den Traufseiten in je fünf Achsen Fenster eingebaut, wobei die beiden westlichen Fensterachsen, mit dahinterliegender Lehrerwohnung, dicht beieinanderlagen. Die mittlere Achse, die die Lage des Flurs mit Treppenhaus markiert, befand sich etwa in der Gebäudemitte mit Haupteingangstür im Erdgeschoss. Die zwei im östlichen Teil symmetrisch eingebauten Achsen markierten die Lage des dahinterliegenden Gottesdienstraumes. Alle Fenster bis auf die des Gottesdienstraumes waren zweiflügelige Galgenfenster mit querliegendem geteiltem Oberlicht. Die hochrechteckigen Fenster im Gottesdienstraum, genauso wie die beiden vermutlich baugleichen Fenster im Obergeschoss des Nordostgiebels, waren wahrscheinlich feststehend und mit farbigem Glas versehen, evtl. mit kleinen Lüftungsluken in den Scheiben. Auf der Nordwestseite war um 1900 ein Aborterker angebaut,15 dessen Errichtungszeit bisher unbekannt ist. Zum Haupteingang gelangten die Besucherinnen und Besucher über einen ca. 4 Meter langen und 2 Meter breiten gepflasterten Weg.16 Das Gebäude wurde durch eine zweiflügelige Tür mit querliegendem Oberlicht im westlichen Drittel der Südosttraufe erschlossen. Im Flur des Erdgeschosses befanden sich im südlichen Drittel der Wand eine einflügelige Tür, die über eine Stufe in den Gottesdienstraum führte, und der Zugang zur Treppe in das Obergeschoss.

Insgesamt drei Bauentwürfe, die zwischen der ersten Weihe 1826 und 1856 liegen, lassen sich anhand überlieferter Quellen nachweisen.17 Wesentlich für das Erscheinungsbild des Gebäudes sind die Errichtungsphase 1826 und der letzte, schließlich 1856 ausgeführte Entwurf. Die für Planung und Bauaufsicht verantwortlichen Architekten waren Kreisbaumeister Georg Friedrich Theodor Sonnemann und Kreisbauaufseher 1. Klasse Johannes Kipp, der auch die Kostenvoranschläge zusammenstellte. Die Umsetzung des jüngsten Planes kostete die Synagogengemeinde rund 680 fl.18

Die älteste Gestaltung des Gottesdienstraumes entsprach dem traditionellen Ritus: Im Ursprungsbau in der Raummitte ein über zwei Stufen erhöht angelegtes und teilweise von Geländer umgebenes Almemorpodest, auf das die Männerbänke ausgerichtet waren.19 Der Thoraschrein stand um ein oder zwei Stufen erhöht vor der Nordostwand.

Der 1856 durchgeführte dritte Umbau des Gottesdienstraumes, der durch eine Sanierung des Gebäudes möglich geworden war, zeigt den Wandel des Religionsverständnisses. Der Almemor wurde auf ein Podest direkt vor den neu errichteten Aron-Hakodesch-Erker in der Mittelachse des Nordostgiebels gesetzt, wodurch die Blickrichtung der Gottesdienstbesucher und Besucherinnen nach Osten, direkt auf das Allerheiligste gewendet wurde. Der Anbau für den Aron-Hakodesch-Erker war etwa 70 cm tief, und sowohl ca. 1,70 Meter breit als auch hoch.20 Der Schrein stand erhöht hinter der Estrade mit dem Almemor, die über zwei halbrunde Stufen erhöht lag und durch ein filigranes hölzernes Geländer zum Raum hin etwas abgeschirmt wurde. Die ca. 14 Männerbänke waren nördlich und südlich der Mittelachse in den Fußboden eingelassen, der mit Eichenbohlen auf Backsteinunterlage gebaut war. Jedem der etwa 64 Sitzplätze für die Männer war ein zumeist in die Rückenlehnen der Vorderbänke integriertes Aufbewahrungsfach für Tefillin, Gebetbuch u.ä. zugeordnet. Die Erweiterung der Frauenempore um die gesamte Länge der Südosttraufe zeigt den erhöhten Platzbedarf der Gemeinde. Vermutlich war der Deckenabschluss vor dem Umbau von 1856 ähnlich beschaffen wie danach, nämlich mit eingezogenem Muldengewölbe, das nach 1856 ein umlaufendes profiliertes Gesims an der Kante zum flachen Außenbereich oberhalb der Frauenempore aufwies. Nach Abschluss der Umbauarbeiten wurden alle Holzteile mit zinkweißer Ölfarbe bzw. dunkelgelb (nur Eingangstür und Teile der Frauenempore) gestrichen, die Hauswände außen (nur Gefache) und innen weiß getüncht. Dadurch wirkte der Bau außen und innen hell.21

Um 1907 waren Teile des Fachwerks im westlichen Bauteil im Erdgeschoss stark sanierungsbedürftig, sodass man in diesem Bereich das Fachwerk bis zur Fensterbrüstung durch Massivmauerwerk ersetzte.22 1920 wurde etwa in der Mitte des Gebäudes, ein Kamin eingebaut, der einen älteren, an anderer Stelle befindlichen, ersetzte.23

Nach dem erzwungenen Verkauf der Synagoge an die politische Gemeinde im Jahr 1938, die es zu Wohnzwecken umbauen ließ und vermietete, erwarb 1969 ein Apotheker das Gebäude, der es im April des selben Jahres abreißen ließ, um an Stelle des alten Hauses eine Apotheke zu bauen.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Vor dem Synagogenneubau des Jahres 1826 besaßen die Juden in der Nähe des alten Brauhauses eine Mikwe, die von dem im Norden vorbeifließenden schmalen Bach gespeist wurde. Beim Neubau der Synagoge wurde in ihren Keller das rituelle Tauchbad eingebaut.

Schule

Räume für den Religionsunterricht und Gemeindeversammlungen waren im Synagogengebäude untergebracht.

Cemetery

Anfangs bestatteten die Breidenbacher Juden ihre Toten auf dem jüdischen Friedhof im etwa 12 Kilometer südwestlich liegenden Roth. Im Jahr 1809 erwarben sie von der politischen Gemeinde eine große Wiese auf dem Läuseküppel im Südosten des Ortes, um dort einen eigenen Friedhof anzulegen.24 Die erste Beerdigung auf dem 1.482 Quadratmeter großen Areal fand 1809 statt, die letzte 1930. Seit 1903 ist der Friedhof von einer etwa 1,70 Meter hohen Steinmauer umgeben.25

Roth (Eschenburg), ehemaliger Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Breidenbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Breidenbach, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. Bamberger: Synagoge von Breidenbach, S. 121; Nossek: Jüdische Bevölkerung in Breidenbach, S. 1
  2. Nossek: Jüdische Bevölkerung in Breidenbach, S. 3
  3. Bamberger: Synagoge von Breidenbach, S. 121
  4. Bamberger: Synagoge von Breidenbach, S. 123
  5. Nossek: Jüdische Bevölkerung in Breidenbach, S. 2
  6. Nossek: Jüdische Bevölkerung in Breidenbach, S. 3
  7. Nossek: Jüdische Bevölkerung in Breidenbach, S. 3
  8. Bamberger: Synagoge von Breidenbach, S. 121, 136
  9. Nossek: Jüdische Bevölkerung in Breidenbach, S. 3
  10. Erst nach dem Krieg wurde die südliche Traufe verputzt. Vgl. Bamberger: Synagoge von Breidenbach, S. 122
  11. Archiv des Bauamtes der Gemeinde Breidenbach, Plan zum Einbau eines Kamins in die Synagoge von 1920
  12. Bamberger: Synagoge von Breidenbach, S. 122
  13. Der Erker war mit einem schiefergedeckten Walmdach versehen und hatte die Maße: 70 T x 1,70 H x 1,70 B.
  14. Bamberger: Synagoge von Breidenbach, S. 121
  15. Archiv des Bauamtes der Gemeinde Breidenbach, Plan zum Umbau der Synagoge zu Wohnungen von 1950 ff.
  16. Bamberger: Synagoge von Breidenbach, S. 124
  17. Bamberger: Synagoge von Breidenbach
  18. Bamberger: Synagoge von Breidenbach, S. 121 f.
  19. Abbildungen bei Bamberger: Synagoge von Breidenbach, S. 122 ff.
  20. Detailreiche Beschreibung des Raumes mit Angaben von Maßen bei Bamberger: Synagoge von Breidenbach, S. 121 ff.
  21. Die einige Jahre später errichtete Synagoge in Vöhl, Landkreis Waldeck-Frankenberg, ist annähernd baugleich mit der Breidenbacher Synagoge. Die Planung lag auch hier bei Kreisbaumeister Sonnemann. Vgl. Bamberger: Synagoge von Breidenbach, S. 136
  22. Archiv des Bauamtes der Gemeinde Breidenbach, Plan zur Sanierung der Synagoge von 1907
  23. Archiv des Bauamtes der Gemeinde Breidenbach, Plan zum Einbau eines Kamins in die Synagoge von 1920
  24. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 1, S. 66 f.; Huth, Gemeinde Breidenbach, S. 228.
  25. Runzheimer: Auswanderung, Bd. 2, S. 232; Nossek: Jüdische Bevölkerung in Breidenbach, S. 3
Recommended Citation
„Breidenbach (Landkreis Marburg-Biedenkopf)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/79> (Stand: 24.10.2023)