Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

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Kurfürstentum Hessen 1840-1861 – 94. Birstein

Birstein Karten-Symbol

Gemeinde Birstein, Main-Kinzig-Kreis — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1649

Location

63633 Birstein, Hauptstraße 25 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Hanau

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Das am südlichen Fuß des Vogelsbergs gelegene Birstein wurde 1279 erstmals urkundlich erwähnt. Die gleichnamige Herrschaft kam aus fuldischem Besitz über die Herren von Trimberg und die Grafen von Weilnau 1332 zur Hälfte an das Haus Ysenburg. 1438 konnte dieses Geschlecht weitere Gebiete hinzuerwerben. 1544 führte Graf Reinhard von Ysenburg die lutherische Reformation ein. 1815/16 teilten sich Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel das Fürstentum Isenburg, wobei Birstein an Kassel gelangt. Heute gehört es zum Main-Kinzig-Kreis

Erst unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg, 1649, ließ sich am 16. Mai ein Jude namens Gompel in der Grafschaft Birstein nieder. Zehn Jahre später wurde Jekuff aus Gedern in den Schutz aufgenommen und wohnte in einem eigenen Haus in Unterreichenbach.1 In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zogen weitere Familien zu oder Juden verheirateten sich mit in der Herrschaft geborenen Frauen. Sie mussten die Gottesdienste in Nachbarherrschaften, in Ober-Seemen, Crainsbach oder Gelnhausen besuchen.

Nachdem die für die Abhaltung von Gottesdiensten erforderliche Zahl an Männern erreicht worden war, erhielten die Birsteiner Juden im Jahr 1674 die obrigkeitliche Erlaubnis, eine Synagoge und einen Friedhof einzurichten2 und ihren Kindern Hebräisch- und Religionsunterricht zu erteilen. Die jüdische Gemeinde konstituierte sich.

1680 lebten in Birstein drei jüdische Familien, in Unterreichenbach zwei, in Lichenroth drei und in Hitzkirchen eine. Sie waren überwiegend als Händler tätig.

Im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert muss die Zahl der Juden deutlich gestiegen sein, denn schon 1733 kamen die in Lichenroth wohnenden Gemeindemitglieder mit dem Gesuch ein, sich von der Birsteiner Gemeinde loslösen und eine eigene Gemeinde bilden zu dürfen. Diesem Gesuch wurde am 23. April 1733 zugestimmt.3

Ähnlich verhielt es sich nur zwei Dekaden später mit den in Fischborn lebenden Juden: Bereits während des Baus der Synagoge in Birstein um 1750 wollten diese sich von der Birsteiner Gemeinde trennen und eine eigene Gemeinde bilden. Hierzu wird beigetragen haben, dass einerseits eine ausreichende Zahl Männer im Ort lebte, andererseits die Gemeindemitglieder an Bau und Unterhaltung der immerhin knapp vier Kilometer entfernten Birsteiner Synagoge beizutragen hatten. Genau dies führten sie in ihrer Argumentation auch an, erwarben eine Thora und begannen, in einem Privathaus Gottesdienst zu halten. Obwohl ihnen dies ausdrücklich verboten worden war und jeder 25 Gulden Strafe zu zahlen hatte, ließen sie nicht davon ab. Nun argumentierten sie, sie würden keine eigene Synagoge unterhalten, sondern nur dann im Haus des Moses Gottesdienst abhalten, wenn schlechtes Wetter den Weg nach Birstein verhindere. Fast 20 Jahre schwelte dieser Konflikt, bis die Regierung 1794 entschied, eine eigene Synagoge zwar nach wie vor zu untersagen, dagegen aber offiziell zu gestatten, im Winter bei kalter Witterung „eine Privat-Versammlung in Fischborn unter der Bedingung [zu] halten, dass „alle dabei etwa vorfallendene Allmosen zur Birsteiner Schule abgegeben“4 werden. Da zu Fischborn auch die in Kirchbracht und Mauswinkel lebenden Juden zählten, war dies für Birstein eine erträgliche Lösung.

Die Tendenz der Loslösung war damit aber nicht beendet. Um 1800 hatten sich die Gemeindemitglieder in Fischborn einen Betraum im Haus des Liebmann Klein eingerichtet, den sie regelmäßig, außer an Neujahr und zum Versöhnungsfest, nutzten. Dies wurde ihnen im März 1830 abermals untersagt. Ähnlich verhielt es sich mit den Juden in Kirchbracht. Hier fand Gottesdienst im Haus von Jacob Blumenthal statt. 1835 schließlich wurde die Trennung befürwortet und zumindest vorläufig das Abhalten von Gottesdienst in Fischborn gestattet. Bis September 1837 hatte sich die Fischborner Gemeinde konstituiert und erhielt auch formal das Recht, die bestehenden Synagogen weiter nutzen zu dürfen.5

1853 zählten die in Birstein, Unterreichenbach, Ober- und Untersotzbach, Hellstein, Helfersdorf und Hitzkirchen lebenden Juden zur Gemeinde Birstein. Ohne Hellstein gehörten 1835 132 Personen der Gemeinde an. Diese Zahl sank bis 1861 auf 115 und lag 1905 bei 101.6

Partiell seit 1848, endgültig ab 1868 lösten sich auch die Juden aus Hellstein von Birstein und bildeten eine eigene Gemeinde. Zu dieser Zeit lebten neun Familien mit insgesamt mehr als 50 Personen in diesem Ort.7

1933 wohnten 116 jüdische Menschen in Birstein. Es überwogen ländliche Handelsgeschäfte und Viehhändler. Zu der Gemeinde zählten auch die in Unterreichenbach lebenden drei bis vier Familien mit 15 bis 20 Personen. Die Gemeinde galt als die größte jüdische Gemeinde im Vogelsberger Teil des früheren Kreises Gelnhausen.8

Nach der formalen Auflösung der jüdischen Gemeinden per Gesetz von 1938 wollten die verbliebenen Gemeindemitglieder den Verein „Israelitische Gemeinde Birstein e.V.“ gründen, um ihre Liegenschaften verkaufen zu können. Der Eintrag in das Vereinsregister wurde allerdings mit der Begründung verweigert, durch die gesetzliche Auflösung seien die Gemeinden automatisch zu Vereinen geworden und bräuchten nicht eingetragen zu werden. Das Grundbuchamt verweigerte allerdings die Umschreibung der Immobilien, weil die handelnden Personen, die ausschließlich in Frankfurt lebten, keine juristische Person seien. Sie hatten die Synagoge zum 4. April 1838 für 3.000 Reichsmark an Richard Schien verkauft.9

Der letzte jüdische Einwohner von Birstein war Siegmund Dollmann. Er wanderte in die USA aus.10

Betsaal / Synagoge

Über die Synagoge in Bierstein liegt nur wenig fundiertes Wissen vor.

Nach der Konstituierung der Gemeinde im Jahr 1674 wird wohl zunächst in einem privaten Betraum Gottesdienst gehalten worden sein. Nach Ackermann erwarb die Gemeinde 1749 ein Haus und richtete darin ihre Synagoge ein, die 1751 eingeweiht wurde.11 Einer Akte, in der es eigentlich um die Loslösung der Gemeindemitglieder aus Fischborn ging, ist das Alter der Synagoge zu entnehmen. Dort heißt es 1777, die Synagoge sei 24 Jahre alt und ihre Einrichtung auf herrschaftliche Anordnung so getroffen, „daß sämmtliche Juden von Birstein, Fischborn, Reichenbach, beiden Sotzbach und Biskirchen sich dazu halten sollten“12. Daraus ließe sich das Baujahr mit etwa 1753 errechnen.

Vermutlich war es die steigende Zahl an Mitgliedern, die die Gemeinde in der Mitte des 19. Jahrhunderts bewog, eine neue Synagoge zu bauen. Sie entstand nach Thea Altaras 1868 im Übergang der Wächtersbacher zur Reichenbacher Straße.13

Auf dem Synagogengrundstück standen die Synagoge, die Schule und die Mikwe. Die Synagoge war etwa zwölf mal acht Meter groß und zweigeschossig. Über dem Bruchsteinfundament erhob sich ein Eichenfachwerk, das mit Klinkersteinen ausgefacht war. „Der bauliche Zustand ist anscheinend nicht schlecht gewesen, denn er gestattete ohne Änderung der Umfassungswände das Einziehen einer Zwischendecke und Ausbau zur Wohnung.“14 Vor diesem Umbau in ein Wohnhaus verfügte sie über vier hohe Spitzbogenfenster, wodurch sie als „sakrales“ Gebäude deutlich erkennbar war. Im Betraum befanden sich 15 Männerstände, der Thoraschrank und der Vorleserschrank. Die Frauensitze standen auf einer Empore.

Während der Novemberpogrome wurde jüdisches Eigentum nicht zerstört, weil die Kultgegenstände in den Jahren 1937/38 von Gemeindemitgliedern nach Hanau in das dortige Gemeindehaus in der Nürnberger Straße verbracht worden waren. Dort fielen sie jedoch bis auf einen Thoravorhang von 1871, der in das jüdische Museum Frankfurt gelangte, in der Pogromnacht der Zerstörung anheim. Zu den Kultgegenständen gehörten, so nach dem Zweiten Weltkrieg vernommene Zeugen, vier antike Thorarollen aus dem 16. Jahrhundert und vier weitere Thorarollen, eine goldene Thorakrone aus dem 16. Jahrhundert, drei Paar silberne Thoraaufsätze mit Schellen, ein goldenes Thoraschild aus dem 16. Jahrhundert sowie drei weitere silberne Thoraschilder, ein goldener Lesefinger aus dem 16. Jahrhundert und vier silberne Lesefinger, 50 goldbestickte Thoramäntel, 500 handbemalte oder bestickte Wimpel, zehn Thoraschreinvorhänge aus Plüsch, Samt oder Seide, zehn goldbestickte Decken für das Vorbeterpult ebenfalls aus Plüsch, Samt oder Seide, eine Ewige Lampe, ein silberner Channukkaleuchter, ein silberner Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, ein Megillah aus Pergament mit Mantel, fünf Schofarhörner, 40 Gebetsmäntel und zwölf Gebetriemen. Alles zusammen hatte einen Wert von 179.200 D-Mark.

Aus verschiedenen Gründen wurde diese Aufzählung bezweifelt. So erschien angesichts der geringen Zahl an Männerständen die Anzahl und Bedeutung der Kultgegenstände als zu hoch gegriffen. Ein Sachverständiger schätzte den Wert anhand von Erfahrungswerten auf nur 60.000 D-Mark.15

Im Zuge der Auflösung der Gemeinde verkaufte diese auch das Synagogengebäude. Es wurde in den folgenden Jahren in ein Wohnhaus umgebaut, dem man seine ursprüngliche Bestimmung nicht mehr ansieht. 1990 wurde außen eine Gedenktafel angebracht.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Eine Mikwe bestand zunächst zusammen mit der Lehrerwohnung und der Schule in dem Haus Unterberg 52. Mit dem Bau der neuen Schule 1904 in der heutigen Hauptstraße zog auch die Mikwe dorthin um.16

Schule

Mit Gründung der Gemeinde und Bau der ersten Synagoge durfte auch jüdischer Religionsunterricht erteilt werden. Zeitweise wurden dafür eigene Lehrer eingestellt, teilweise übernahmen auch die Vorsänger diese Aufgabe. 1842 bemerkte der örtliche Schulinspektor, dass etliche Kinder nicht die öffentliche Schule besuchten, sondern nur durch den jüdischen Lehrer unterrichtet wurden. Am 6. Mai 1845 genehmigte die Kurfürstliche Regierung die Umwandlung der Religionsschule in eine öffentliche israelitische Volksschule. Diese bestand bis 1937.17

Das Schulhaus stand bis Anfang des 20. Jahrhunderts in der Straße Unterberg 52. Um 1900 wünschte die Gemeinde den Bau eines neuen Gebäudes und reichte dafür einen Bauantrag ein. Dieser wurde zunächst abgelehnt, weil die Fensterfront zu dicht am Nachbargebäude stand, das Satteldach auf das Nachbargrundstück entwässerte und die Aborte unmittelbar vor der Fensterfront platziert waren.18 Nach entsprechenden Änderungen wurde es schließlich 1904 auf dem Synagogengrundstück errichtet.

Cemetery

Der jüdische Friedhof liegt östlich des Ortskerns zwischen Industriestraße und Zehntefeld. Dieses Grundstück hatte die neu konstituierte Gemeinde 1679 erworben. Durch moderne Baumaßnahmen ist die alte Ordnung weitgehend zerstört. Die meisten Steine stehen heute eingelassen in einem Betonfundament in Reih und Glied. Auf dem 4.426 Quadratmeter großen Areal haben sich 432 Grabsteine erhalten, wobei der älteste von 1740, der jüngste von 1936 stammt. Als Besonderheit fallen Steine mit nur einer Hand auf.

Auf diesem Sammelfriedhof wurden die Verstorbenen aus Hellstein, Hitzkirchen, Ober- und Unter-Sotzbach, Unterreichenbach, Fischborn mit Kirchbracht und Mauswinkel, Lichenroth mit Wüstwillenroth, Schlierbach sowie Wenings mit Bindsachsen bestattet.

Birstein, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Birstein, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Trimberg, Herren von · Weilnau, Grafen von · Ysenburg, Graf Reinhard von · Gompel · Jekuff · Moses · Liebmann Klein · Blumenthal, Jacob · Schien, Richard · Dollmann, Siegmund

Places

Gedern · Unterreichenbach · Ober-Seemen · Crainsbach · Gelnhausen · Lichenroth · Hitzkirchen · Kirchbracht · Mauswinkel · Obersotzbach · Untersotzbach · Helfersdorf · Frankfurt am Main · USA · Biskirchen · Hanau · Wüstwillenroth · Schlierbach · Wenings · Bindsachsen

Sachbegriffe Ausstattung

Männerstände · Thoraschränke · Vorleseschränke · Thorarollen · Thorakronen · Thoraaufsätze · Schellen · Thoraschilde · Lesefinger · Thoramäntel · Wimpel · Thoravorhänge · Decken · Vorbeterpulte · Ewige Lampen · Chanukkaleuchter · Weinbecher · Hawdalah-Garnituren · Megillot · Schofarot · Gebetmäntel · Gebetriemen

Sachbegriffe Architektur

Bruchsteinfundamente · Fachwerk · Klinker · Zwischendecken · Spitzbogenfenster · Emporen

Fußnoten
  1. Ackermann 1988, S. 95
  2. Ackermann 1988, S. 102
  3. Ackermann 1988, S. 106
  4. HStAM 108 d Birstein, 207
  5. HStAM 180 Gelnhausen, 3159
  6. Arnsberg 1971, S. 81
  7. HStAM 180 Gelnhausen, 3119
  8. HHStAW 653, 1543
  9. HHStAW 474/4, 85
  10. Arnsberg 1971, S. 82
  11. Ackermann 1988, S. 106
  12. HStAM 108 d Birstein, 207
  13. Altaras, 2007, S. 327
  14. HHStAW 653, 1543
  15. HHStAW 518, 1232
  16. Altaras 2007, S. 327
  17. Ackermann 1983, S. 8
  18. HStAM 180 Gelnhausen, 5609
Recommended Citation
„Birstein (Main-Kinzig-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/498> (Stand: 22.7.2022)