Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

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5021 Ziegenhain
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Kurfürstentum Hessen 1840-1861 – 52. Ziegenhain
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Ziegenhain Karten-Symbol

Gemeinde Schwalmstadt, Schwalm-Eder-Kreis — Von Hans Gerstmann
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

vor 1200

Location

34613 Schwalmstadt, Stadtteil Ziegenhain, Kasseler Straße 28 | → Lage anzeigen

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Laut „Germania Judaica“ gab es in Ziegenhain schon vor 1200 Juden. Wolff vermutete in seinem Buch „Zur Geschichte der Stadt Ziegenhain in Hessen“ Juden um 1500, Belege liegen allerdings nicht vor. Nach Arnsberg sind Juden in Ziegenhain seit 1612 nachweisbar. 1677 wird „Joseph der Jud zu Weichhaus mit 17 Albus 4 Heller Kirchenstrafe belegt, weil er am 23. Sonntag nach Trinitates Waren unter der Predigt zu Frielendorf ablangen wollte“.1 Es handelt sich offensichtlich um den Schutzjuden Joseph Dannenberg, der 1694 Pächter und im November 1697 Eigentümer der ersten, 1690 von dem wallonischen Kauf- und Handelsmann Matthias Hestermann gegründeten Wolltuchmanufaktur wurde. Aus einer Mitteilung der Rentkammer vom 24.1.1698 ist zu entnehmen, dass nach der Weisung des Landgrafen „der Bauplatz sowie das davor gelegene Fabrikgelände nunmehr erbliches Eigentum des Juden Joseph Dannenberg sein soll.“2 Dannenberg, der Gemeindevorsteher, wird zu dieser Zeit größter Arbeitgeber in Ziegenhain gewesen sein. Er beschäftigt 32 zünftige Meister, sechs ledige Burschen, Raschweber, Kratzer, Spuljungen und fremde Gesellen.

Juden durften aus Sicherheitsgründen nur in Weichhaus, nicht aber in der Festung wohnen. Die von Wolff angedeuteten verbesserten Lebensbedingungen der Juden basierten auf dem Dekret vom 27.1.1808, das allen „Untertanen, welche der mosaischen Religion zugetan sind“, gleiche Rechte und Freiheiten wie den übrigen Untertanen zusicherte.

Da Joseph Dannenberg Gemeindevorsteher war, kann davon ausgegangen werden, dass eine Gemeinde Ende des 17. Jahrhunderts bestand. Arnsberg notiert 1802 den Vorstand der jüdischen Gemeinde Ziegenhain: Bär Meyer, Mendel Eisermann, Feist Wallach, Levi Anschert und Jud Mendel Bär.3 Seitdem entwickelte sich die jüdische Einwohnerschaft Ziegenhains über 89 Personen im Jahr 1825 und 64 Personen im Jahr 1867 zu ihrem Höchststand von 120 Einwohnern im Jahr 1885, was einem Anteil von 6,2 Prozent der Einwohner Ziegenhains entsprach. Im Jahr 1933 hatte sich die Zahl der Ziegenhainer Juden auf 67 reduziert.

Anfang April 1939 verließen mit Karl Kaufmann, seiner Frau Martha und Tochter Ursel die letzten jüdischen Einwohner Ziegenhain in Richtung Amsterdam. Der Bürgermeister konnte dem Landrat am 4. Mai mitteilen, „dass ich mit allen Mitteln den Abzug der Juden aus Ziegenhain betrieben habe und es mir auch nunmehr gelungen ist, die Stadt Ziegenhain judenfrei zu bekommen“.4

Fünf der 67 Menschen sind in Ziegenhain gestorben und auf dem Judenfriedhof beerdigt. 16 weitere wurden nach dem Weggang von Ziegenhain, überwiegend nach Frankfurt und Holland, auf verschiedensten Wegen deportiert und ermordet. Bei 14 Personen blieb nach dem Wegzug von Ziegenhain das Schicksal ungeklärt, sie haben sicherlich nicht überlebt. 32 der Ziegenhainer Juden haben in England, Holland, Palästina, Portugal und den USA überlebt. Ihnen stehen 30 Opfer des Holocaust gegenüber.

„In der Synagoge im jüdischen Gemeindehaus war eine Ehrentafel aus Marmor angebracht, ganz oben, an der Außenseite des Frauenbalkons, die an den berühmtesten einheimischen Juden und gebürtigen Ziegenhainer erinnern sollte. Das war Ludwig Mond, 1839 geboren und mit 22 Jahren nach England ausgewandert, wo er als Chemiker und Industrieller bekannt wurde. […] Zusammen mit seinem Sohn Alfred gründete er die Internationale Nick-Company“, sowie auch die ICI (Imperial-Chemical-Industry), eines der bedeutendsten Unternehmen in England. In Anerkennung seiner Dienste wurde Alfred von König Georg V. in den Adelsstand erhoben und als Lord Melchett bekannt.“5

Neben Ludwig Mond und Joseph Dannenberg ist Sally Kaufmann als eine herausragende Persönlichkeit der Ziegenhainer Gemeinde zu nennen. Er war in vielen Vereinen aktiv und kümmerte sich als stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher um die Belange der Stadt. Ihm ist es zu verdanken, dass das Ehrenmal für die Gefallenen des 1. Weltkriegs in der Festungsmitte und nicht auf dem christlichen Friedhof aufgestellt wurde. Als letzter Gemeindeältester hatte er am 8. November 1938 vergeblich versucht, die Schändung der Synagoge zu verhindern. Nach seinem Wegzug nach Frankfurt wurde er im Mai/Juni 1942 mit seiner Frau Käthe in der Region Lublin ermordet.

Betsaal / Synagoge

1828 sollte der Betsaal, der sich in einem Privathaus befand, wegen baulicher Mängel geschlossen werden. „Als [deshalb] 1835 die israelitische Gemeinde Ziegenhain beabsichtigte, in der Allee zwischen der Festung und der Vorstadt neben dem vorhinnigen Militärhospital eine Synagoge mit Schullehrerwohnung zu errichten, welche unmittelbar vor dem christlichen Friedhof zu stehen kommen würde, legte Metropolitan D. Stolzenbach dagegen Verwahrung ein.“6

Da dieser Plan nicht realisiert werden konnte, stellte die israelitische Gemeinde 1837 den Antrag auf Genehmigung für den Ankauf des Herbst´schen Hauses in der Obergasse. Marcus Lieberg, der Gemeindevorsteher, kauft am 10. Oktober 1843 das Haus Nr. 139 mit Gärtchen.7 Die Synagoge wurde als Anbau an das bestehende Wohnhaus, in dem die Schule, das Bad und die Lehrerwohnung entstanden, errichtet. Vorbild für die Fassaden-gestaltung war das in der Nachbarschaft befindliche klassizistische Rathaus von Ziegenhain

„1855 war die Gemeinde völlig verarmt und durch Auswanderungen geschwächt; nur ein Mitglied war noch zahlungsfähig. Der Gemeindeälteste stellte bei der Regierung einen Beihilfeantrag, da sie das aufgenommene Darlehen (für den Synagogenbau) nicht zurückzahlen konnten. Die Armut der Gemeinde wurde sowohl vom Landrat von Ziegenhain, wie vom Provinzialrabbiner Gosen in Marburg bestätigt.8

„Nachdem 1922 die jüdische Schule aufgelöst worden war, besuchten die jüdischen Kinder die Volksschule in Ziegenhain bzw. die Höhere Knaben- und Mädchenschule in Treysa, in die sie wie jedes andere Kind integriert waren; an Misshandlungen oder Missachtung von jüdischen Mitschülern kann ich mich nicht entsinnen.“9

Nach dem Tod von Lehrer Samuel Heilmann am 17.4.1938, der mit seiner Frau seit dem 22. Juni 1925 in der Lehrerwohnung der Synagoge wohnte und dem Wegzug Frau Heilmanns nach Frankfurt, beschloss die Gemeinde: „Auszug des Protokolls der Versammlung der israelitischen Gemeinde v. 17.7.38 [..], die Instandsetzung sämtlicher Reparaturen der ehemaligen Lehrerwohnung durchzuführen und zur Beschaffung der erforderlichen Mittel einen Kredit aufzunehmen und gegebenenfalls dem jeweiligen Geldgeber, Landesverband jüd. Gemeinden Berlin bzw. S. Kaufmann Ziegenhain zur Sicherheit eine Hypothek in Höhe von Eintausend RM auf den Besitz der Gemeinde einzutragen.“10 Der Beschluss wurde von zehn Gemeindegliedern unterschrieben.

Parallel zu diesem Beschluss plante der Ziegenhainer Bürgermeister, die Synagoge zu kaufen um sie als Wohnhaus für eine bestimmte, kinderreiche Familie zu nutzen. Diese Überlegungen verhinderten offensichtlich die Zerstörung der Synagoge am 8. November 1938. „Da keine Augenzeugen der schändlichen Taten in der und um die hiesige Synagoge befragt werden konnten, kann nur das wiedergegeben werden, was Nachbarn direkt gehört, vermutet und hinterher gesehen haben. Wegen unmittelbar angrenzender Fachwerkhäuser verzichtete man auf das Anzünden der Synagoge. Maskierte Täter in ‚Räuberzivil‘, vermutlich SA- und Parteileute [auch aus Leimsfeld, der Verf.], seien gewaltsam in das Gebäude eingedrungen, hätten Betsaal und Wohnung demoliert, einen Ofen mit lautem Krach von oben herunter gedonnert, die heiligen Geräte, Leuchter und Thorarollen beschädigt bzw. zerstört. Sally Kaufmann, der sein Haus wegen bevorstehender Emigration gerade verkauft hatte, wohnte noch kurze Zeit in der Synagoge und habe zu beschwichtigen versucht. Daraufhin sei er bis in den Steinweg gezerrt und dort verprügelt worden. Der Lärm in der Mitte der Kasseler Straße war so ohrenbetäubend und furchterregend, dass die Nachbarn Fenster und Türen schlossen, um sich zu schützen und nicht mit hineingezogen zu werden.“11

Am 14. Dezember 1938 wurde die „Israelitische Synagogengemeinde in Ziegenhain“ unter Nr. 20 in das Vereinsregister des Amtsgerichts in Ziegenhain eingetragen. Einziges Vorstandsmitglied war der bestellte Stabsleiter Georg Hoos, Ortsgruppenleiter der NSDAP Ziegenhain, der nun als Verkäufer der Synagoge auftreten sollte.12 Dem auf den 30.12.1938 rückdatierten Kaufvertrag zwischen Ortsgruppenleiter und Bürgermeister, der einen Kaufpreis von 4.000 RM festschrieb, wurde am 29. Juni 1939 vom Regierungspräsidenten die Genehmigung versagt.13

Nun trat am 17. Juli 1939 der Kreis Ziegenhain als Käufer auf. Sally Kaufmann wurde aus Frankfurt nach Ziegenhain zitiert, um vor dem Notar Dr. Heinrich Hofmann dem Landrat Wisch für 4.129,24 RM die Synagoge zu verkaufen.14 Dieser Kaufvertrag wurde vom RP Kassel zwar am 8. Oktober 1939 genehmigt, hatte aber auch keinen Bestand, da am 14. Januar 1941 der Reichsluftschutzbund als weiterer Käufer auftrat. Der Kaufvertrag vom 30.12.1938 wurde aufgehoben, der Vertrag vom 17. Juli 1939 wurde dahingehend abgeändert, dass der Reichsluftschutzbund alle Rechte aus diesem Vertrag erwarb und alle Pflichten zu erfüllen hatte.15

Nach dem Einmarsch der Amerikaner am 30.3.1945 wurde das Gebäude wieder von der entstehenden jüdischen Gemeinde genutzt. Es handelte sich überwiegend um Juden aus Ungarn, Rumänien und Polen. Durch Auswanderungen und Umzüge in andere westliche Besatzungszonen löste sich die Gemeinde Ende 1948 auf.

Paul und Elisabeth Adolph erwarben am 29. November 1951 von der Hessischen Treuhandverwaltung in Kassel für 3.310 DM je zur Hälfte das Gebäude mit Hofraum und Hausgarten.16 Sie bauten im Haus eine Handschuhfabrik auf. Heute wird das Gebäude zu Wohnzwecken genutzt.

Erst zum Hessentag in Schwalmstadt (1995) gelang es, auf einem Stein vor der Synagoge eine Gedenktafel anzubringen.

Weitere Einrichtungen

Cemetery

Der Ziegenhainer Judenfriedhof, 5.837 Quadratmeter groß, liegt in der Gemarkung Niedergrenzebach auf dem „Judenköppel“. Es sind 98 Grabsteine erhalte. Therese Heilbrunn wurde als letzte Ziegenhainer Jüdin hier beerdigt, sie starb am 9.9.1937.

Niedergrenzebach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Joseph Dannenberg · Hestermann, Matthias · Bär Meyer · Mendel Eisermann · Feist Wallach · Levi Anschert · Jud Mendel Bär · Kaufmann, Karl · Kaufmann, Martha · Kaufmann, Ursel · Mond, Ludwig · Mond, Alfred · Georg V., König · Melchett, Lord · Kaufmann, Sally · Kaufmann, Käthe · Stolzenbach, D. · Lieberg, Marcus · Gosen, Rabbiner · Heilmann, Samuel · Hoos, Georg · Hofmann, Heinrich, Dr. · Wisch, Landrat · Adolph, Paul · Adolph, Elisabeth · Schloss, Merle · Ginzburg, Jakob · Heilbrunn, Therese

Places

Frielendorf · Amsterdam · Frankfurt am Main · Holland · England · Palästina · Portugal · USA · Lublin · Treysa · Leimsfeld · Ungarn · Polen · Rumänien · Kassel · Schwalmstadt · Niedergrenzebach · Allendorf · Trutzhain

Sachbegriffe Geschichte

Holocaust · Erster Weltkrieg · SA · NSDAP · Reichsluftschutzbund · Kassel, Hessische Treuhandverwaltung · DP-Lager

Sachbegriffe Ausstattung

Leuchter · Thorarollen

Fußnoten
  1. Gerich, Fritz: Chronik von Frielendorf, Frielendorf 1956, S. 56
  2. Giebel, A.: Die herrschaftliche Wollmanufaktur in Ziegenhain, 1950 S. 48 ff.
  3. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 442
  4. HStAM 330 Ziegenhain, B 937
  5. aus: Nachlass Georg Prüssing, Treysa
  6. Nachlass Giebel: Vortrag bei der Frauenhilfe 20.11.1956
  7. HStAM Kataster 1, Ziegenhain B 3
  8. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 443
  9. Dörbecker, Juden in Ziegenhain, S. 6
  10. Amtsgericht Treysa: Grundbuchauszug Kasseler Straße 28; Blatt 17
  11. Dörbecker, Juden in Ziegenhain, S. 13 ff.
  12. HStAM 330 Ziegenhain, B 920
  13. HStAM 330 Ziegenhain, B 920
  14. Amtsgericht Treysa: Grundbuchauszug Kasseler Straße 28; Blatt 35 – 36
  15. Amtsgericht Treysa: Grundbuchauszug Kasseler Straße 28; Blatt 22 – 25
  16. Amtsgericht Treysa: Grundbuch Erste Abteilung Kasseler Straße 28
Recommended Citation
„Ziegenhain (Schwalm-Eder-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/642> (Stand: 29.11.2022)