Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Wolfskehlen Karten-Symbol

Gemeinde Riedstadt, Landkreis Groß-Gerau — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1619

Location

64560 Riedstadt, Stadtteil Wolfskehlen, Sackgasse 13 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Die jüdischen Einwohner von Riedstadt-Goddelau und Wolfskehlen bildeten zusammen die Gemeinde Wolfskehlen.

Der älteste bislang bekannte archivalische Hinweis auf einen in Wolfskehlen lebenden Juden stammt aus dem Jahr 1619 und zeigt an, dass dieser in besagtem Jahr den Judenzoll entrichtet hatte. 1623 waren es bereits zwei, die diese Abgabe leisten mussten.1 Ob es sich dabei allerdings um dauerhafte oder temporäre Aufenthalte handelte ist ungeklärt. 1631 wurden die Juden im Amt Dornheim von der Pflicht, schwedische Soldaten einzuquartieren, befreit. Dazu zählten auch Gerßler aus Wolfskehlen und Abraham aus Goddelau.2 In Goddelau werden erst 1794 in einer offiziellen Einwohnerliste wieder drei Juden aufgeführt.

Bis Ende des 17. Jahrhunderts wird sich in Wolfskehlen eine jüdische Gemeinde herauskristallisiert haben, die zudem vergleichsweise bedeutend gewesen sein muss, denn 1686 sollte entweder in Wolfskehlen oder Stockstadt ein Judenlandtag stattfinden.3

1718 verließ die Familie Isaak Abraham Jakob Wolfskehlen, nahm aber später in Erinnerung ihres Heimatortes diesen Namen als Familiennamen an. Ihr entstammt unter anderem der Dichter und Schriftsteller Karl Wolfskehl (geb. 1869 in Darmstadt, gest. 1948 in Neuseeland). Karl Wolfskehl konnte zudem eine Verbindung zwischen seiner Familie und Kalonymus nachweisen, der 982 Kaiser Otto II. nach der Niederlage in der Sarazenenschlacht half, mit einem Pferd zu fliehen. Aus Dankbarkeit nahm der Herrscher ihn mit nach Mainz. Dort und in Speyer entstammten Vorsteher und Gelehrte dieser Familie, die in Zeiten der mittelalterlichen Judenverfolgungen aus den Städten fliehen mussten.4

Im 19. Jahrhundert bildeten die jüdischen Einwohner von Wolfskehlen, Goddelau und Erfelden gemeinsam eine Gemeinde. Aus dieser löste sich Erfelden 1877 nach dem Bau der eigenen Synagoge heraus.

1905 war die Doppelgemeinde nach der in Groß-Gerau die zweitgrößte Gemeinde im Kreis. Sie gehörte zum Rabbinat Darmstadt II und bestattete ihre Verstorbenen auf dem Friedhof in Groß-Gerau.

Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts nahm die Zahl der Gemeindemitglieder ab. Um 1933 lebten noch fünf jüdische Familien im Ort. Es waren dies die Familie Ferdinand Jakob mit vier Personen in der Gernsheimer Straße 6, die vom Handel mit Landesprodukten lebten. Die Familie Abraham Oppenheimer bestand aus zwei Personen und handelte am Kirchplatz 12 mit Textilien. Familie Moses Eisenberg lebte mit sechs Personen in der Kleinstraße 27 und betrieb Handel mit Früchten.

Die Familie Leopold Lachenbruch bestand aus sechs Personen und unterhielt in der Ernst-Ludwigstraße 8 eine Metzgerei mit Viehhandel: Der Laden wurde in der Pogromnacht ebenfalls überfallen. Die Geschwister Hanna und Kätchen Neustätter lebten in der Darmstädter Straße 4 und betrieben Hausierhandel.5 Die meisten Mitglieder diesen Familien wurden deportiert und ermordet.

Läden jüdischer Händler in Goddelau wurden in der Pogromnacht von SA-Leuten, die vielfach aus Goddelau selbst stammten, geplündert.6 Die letzten sieben Juden wurden bis Ende 1940 deportiert.

Die im Philippshospital untergebrachten jüdischen Patienten wurden Anfang 1942 nach Hadamar überführt und ebenfalls ermordet.7

Betsaal / Synagoge

Vermutlich seit Anfang des 19. Jahrhunderts bestand in Wolfskehlen eine Synagoge für die Gemeindemitglieder aus Goddelau, Wolfskehlen und Erfelden. Mit größter Wahrscheinlich handelte es sich schon damals, spätestens aber seit 1862 um das Haus von Meier Critzfeld. Diese Familie besaß seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Haus, das heute umgebaut ist und heute die Bezeichnung Kirchplatz 5 trägt.8 1861/62 erfolgte die Übergabe an Jacob und Elias Critzfeld und gleichzeitig bestand, vermutlich nach einem Brand, größerer Sanierungsbedarf. Das Haus wurde renoviert und sollte mit einer neuen Inneneinrichtung, modernen Lehnstühlen ausgestattet werden. Besonders betont wurde, dass es in dieser Synagoge auch ein „Frauenlocal” gab.9

Vermutlich waren es diese Ereignisse, Besitzerwechsel und Sanierung der angemieteten Räume, die letztlich dazu führten, dass sich die gesamte formale Situation um die Synagoge änderte. Um 1865 erwarben Meier Oppenheimer und sieben weitere Gemeindemitglieder ein Grundstück in der Sackgasse von Johannes Klau.10

Am 15. Januar 1899 schlossen der Israelitische Verein Wolfskehlen mit dem in Goddelau einen Vertrag, der gleichzeitig die erste Synagogenordnung darstellte. Hauptzweck dieses Vertrages war, das Barvermögen beider Vereine zu einem Gesamtvermögen zusammen zu legen, um davon den Bau „eines Vereinshauses zur Benutzung gemeinschaftlicher religiöser Zwecke”11 zu finanzieren. Weiterhin wurde unter anderem die Frage des Einzugsgeldes geregelt, aber auch, was zu veranlassen ist, wenn nicht mehr genügend Mitglieder für den Gottesdienst zusammen kämen. In diesem Fall hatten beide Vertragspartner die Einrichtung aufzulösen und die verbliebenen Mittel ausschließlich religiösen Zwecken zuzuführen. Diesen Vertrag unterzeichneten mindestens 14 Mitglieder aus beiden Orten. Unmittelbar im Anschluss an die Vertragsunterzeichnung holten sie die Genehmigung für den Bau der neuen Synagogen ein und legten dafür die von Ludwig Hamann, Darmstadt, gefertigten Pläne vor. Die Baugenehmigung wurde am 15. Februar 1899 erteilt. Der Neubau sollte aus Backsteinen ausgeführt und die Straßenseite verblendet werden. Die Eindeckung erfolgte in Falzziegeln.12 Das Erdgeschoss nahm ursprünglich zwei Zimmer und eine Küche auf. Eines der beiden Zimmer war der Synagogenraum13, im Obergeschoss befand sich eine Wohnung. Noch Mitte 1899 erhielt die Synagoge einen kleinen Anbau vor die südliche Giebelwand vermutlich für eine Feuerungsanlage für die Mikwe.14 Sowohl Synagoge als auch Mikwe wurden umgehend in das Brandkataster eingetragen.15

Der östlichen Traufwand tritt noch heute gut erkennbar ein kleiner Anbau vor, der den Thoraschrein enthielt. In der straßenseitigen Giebelwand befanden sich zur Belichtung des Synagogenraumes drei mittelgroße Rundbogenfenster, darüber ließ ein Paar kleinere Rundbogenfenster Licht in die Wohnung. 1935 wurden in einem Bericht zu einer möglichen Umnutzung des Gebäudes den Räumen im Erdgeschoss auch Funktionen zugeordnet: Es „sind zwei Räume vorhanden, der Betsaal für die Männer und der Betsaal für die Frauen. Von dem Männerbetsaal könnte bei Durchführung der Querwand am Kamin eine Küche nach der Hofseite abgezweigt werden.“16 Eine Rekonstruktionszeichnung findet sich bei Thea Altaras. Ihr zufolge war eine derartige Anordnung der Männer- und Frauenplätze bei den Land- und Kleinstadtsynagogen eine Seltenheit. „Dieser Tatbestand hatte vermutlich seine Ursache nicht nur in der geringen Höhe des Synagogensaales (3,60), der eine Empore nicht zuließ, sondern war eher auf die orthodoxe Einstellung dieser israelitischen Gemeinde zurückzuführen.”17

In verschiedenen Berichten werden unterschiedliche Angaben darüber gemacht, welchen Zustand das 1865 erworbene Grundstück vor dem Neubau der Synagoge hatte. Mal heißt es, dort habe ein altes baufälliges Haus gestanden, das alte Bethaus, das für den Bau der neuen Synagoge abgebrochen wurde. Ein andermal heißt es, dieses Haus sei stehen geblieben und erst 1907 durch ein neues Wohnhaus ersetzt worden. Diese Frage wird sich abschließend heute nicht mehr klären lassen. Richtig ist, dass die Lagepläne der Bauanträge 1899 zwei parallel stehende, giebelständige Häuser zeigen. Beide gehörten der jüdischen Gemeinde. Nur das östliche von beiden, das heute die Nummer 13 trägt, war Synagoge.

Am 9. November 1938 vormittags drangen fünf SA-Männer durch ein Fenster in die Synagoge ein und waren dabei, das mitgebrachte Stroh anzuzünden. Zwei mehr oder weniger zufällig hinzugekommene Passanten konnten sie überreden, mit Rücksicht auf die christlichen Bewohner des Obergeschosses von einer Brandstiftung abzusehen. Daher trugen sie das Stroh in den Garten, entzündeten es dort und verbrannten nach und nach die aus der Synagoge herausgetragenen Gegenstände. Gleichzeitig zerschlugen zwei Männer die Einrichtung. Die „Bänke zerstört, die Dielen aufgerissen, Bücher, Altardecken, gottesdienstliche Gewänder, Vorhänge und Kisen[sic!]“18, alles wurde verbrannt, so eine spätere Zeugenaussage. Schließlich beteiligte sich auch eine große Zahl Schulkinder an den Zerstörungen. Viele weitere Schaulustige kamen in die Sackgasse, nur wenige betraten aber das Grundstück. Nachdem man meinte, in der Sackgasse fertig zu sein, verwüsteten die fünf SA-Männer den Laden des Metzgers Lachenbruch.

1949 wurden drei der Beteiligten wegen schweren Landfriedensbruchs vor Gericht gestellt. Zwei von ihnen stammten aus Wolfskehlen. Nur einem konnte man allerdings eine Tatbeteiligung nachweisen. Er erhielt eine Freiheitsstrafe von acht Monaten.19

Die politische Gemeinde Wolfskehlen wollte 1941/42 die Synagoge, deren Obergeschoss 1941 von einer jüdischen Familie bewohnt war, erwerben. Dazu ist es nicht gekommen. 1944 wurde sie vom Deutschen Reich eingezogen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte sie erst in den Besitz der Jewish Restitution Successor Organisation, 1951 kam sie in private Hände und wurde erstmals 1952 umfassend baulich verändert. Dabei wurden unter anderem die straßenseitigen Rundbogenfenster auf zwei reduziert und gegen Rechteckfenster ausgetauscht. Heute erinnert kein architektonisches Detail mehr an ihre frühere Funktion.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Noch Mitte des Jahrhunderts besuchten zumindest die Frauen aus Wolfskehlen die Mikwe in Griesheim. Bereits 1846 fasste daher die Gemeinde den Beschluss, ein eigenes, den Vorschriften entsprechendes Bad einzurichten. Dieser Beschluss konnte aber zunächst nicht zuletzt wegen Widerstandes einiger Mitglieder aus Goddelau und Erfelden nicht umgesetzt wurden. Obwohl Zacharias Bruchfeld aus Goddelau angeboten hatte, den Platz für die Mikwe kostenlos zur Verfügung zu stellen, stellte Baumann Schellenberg, Vorsteher der Teilgemeinde Goddelau, 1853 fest, dass diese nicht eingerichtet worden war. 1856 besaß die Gemeinde nur eine Synagoge in einem angemieteten Haus in Wolfskehlen und stellte dort 1857 eine Badewanne als Mikwe auf.20 Mitte 1899 erhielt die neue Synagoge in der Sackgasse einen kleinen Anbau vor die südliche Giebelwand, ebenfalls nach Plänen von Ludwig Hamann. Dieser Anbau nahm eine Feuerungsanlage zur Erwärmung eines Waschkessels, vermutlich für die Mikwe, auf.21 Sowohl Synagoge als auch Mikwe wurden umgehend in das Brandkataster eingetragen.22

Cemetery

Die Verstorbenen wurden auf dem Friedhof Groß-Gerau bestattet.

Groß-Gerau, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. HStAD O 61 Müller, in 5.
  2. HStAD E 8 A, 75/9.
  3. Schleindl: Verschwundene Nachbarn, S. 260.
  4. Schleindl: Verschwundene Nachbarn, S. 260.
  5. HHStAW 518, 1387.
  6. Schleindl: Verschwundene Nachbarn, S. 249.
  7. Alicke: Lexikon der jüdischen Gemeinden, Sp. 1507.
  8. Für diesen Hinweis danke ich dem Heimat- und Geschichtsverein Wolfskehlen.
  9. HStAD G 15 Groß-Gerau, L 29.
  10. Für diesen Hinweis danke ich dem Heimat- und Geschichtsverein Wolfskehlen.
  11. HStAD G 36 Groß-Gerau 28.
  12. HStAD G 15 Groß-Gerau, Nr. Y 693.
  13. HStAD G 36 Groß-Gerau 28.
  14. HStAD P 11, Nr. 3323, 1-2.
  15. HStAD C 6 Brandkataster Wolfskehlen 2379.
  16. Materialsammlung Linke
  17. Altaras, Synagogen, S. 306.
  18. HStAD H 13 Darmstadt, Nr. 107.
  19. HStAD H 13 Darmstadt, Nr. 107.
  20. HStAD G 15 Groß-Gerau, Nr. L 7.
  21. HStAD P 11, Nr. 3323, 1-2.
  22. HStAD C 6 Brandkataster Wolfskehlen 2379.
Recommended Citation
„Wolfskehlen (Landkreis Groß-Gerau)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/53> (Stand: 21.7.2022)