Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Alsbach Karten-Symbol

Gemeinde Alsbach-Hähnlein, Landkreis Darmstadt-Dieburg — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1423

Location

64665 Alsbach-Hähnlein, Ortsteil Alsbach, Hauptstraße 19 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1967

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Der älteste Hinweis auf einen Juden in Alsbach stammt aus dem Jahre 1423, als Jakob Liebmann festgelegte Gelder an die Herren von Bickenbach abzuführen hatte. Auch in den Rechnungsbüchern der folgenden Jahre wird er mehrfach genannt.1 Unklar ist, ob es sich tatsächlich um einen Einwohner Alsbachs handelte oder einen in der Gemarkung begüterten, auswärtigen Juden. 1563 ließ sich Baruch im Ort nieder. Er scheint auch über eine Mikwe verfügt zu haben, denn unter anderem gegen diese Einrichtung, beziehungsweise das dafür abgeleitete Wasser, beschwerte sich die Gemeinde erfolglos und versuchte, ihn aus dem Ort vertreiben. Nach längerer Auseinandersetzung entschied schließlich 1569 der Graf von Dietz, „der Jude soll in Alsbach bleiben, doch sich des Wasserbadens enthalten“.2 Wenig später, 1592, klagte der in Alsbach lebende Menlein gegen Hans Gottfried von Wallbrunn aus Ernsthofen.3

Bis zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges wurden zusätzlich Menle, Isaak, Lazarus, Heyum und Jessel genannt. Sie bildeten wohl schon zu dieser Zeit gemeinsam mit in der Region lebenden Juden eine Gemeinde, die sich 1616 einen außerhalb des Ortsberings gelegenen Friedhof genehmigen ließ. Während des Krieges gibt es keine Nennungen für Alsbach, erst um 1672 wurde Zadock genannt, 1686 Moses und 1698 Heyum.

Im Laufe des 18. Jahrhunderts gehörten die in Alsbach, Zwingenberg, Bickenbach, Hähnlein, Jugenheim und Seeheim lebenden Juden zu der Gemeinde. 1852 schieden Seeheim und 1861 Zwingenberg aus und errichteten eigene Synagogen.

Mit der Annahme fester Familiennamen treten die Namen Süßmann, Gatzert, Ephraim und Bollinger auf.

Während des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl jüdischer Einwohner zu, um im Jahr 1910 mit 58 ihren absolut höchsten Stand zu erreichen. In Relation zur nicht-jüdischen Mehrheitsbevölkerung entspricht dies 5,4 Prozent. Bereits zehn Jahre zuvor, im Jahre 1900, hatte die Zahl mit 5,9 Prozent ihren relativ höchsten Stand erreicht. Danach sank sie wieder und lag 1933 bei 21 (= 1,6 Prozent der Gesamtbevölkerung).4 Fünf der verbliebenen jüdischen Einwohner wurden im Holocaust ermordet, über das Schicksal der übrigen ist nichts bekannt.

Im Frühjahr 1991 weihte die politische Gemeinde Alsbach am Bürgerhaus eine Gedenktafel des Darmstädter Künstlers Gotthilf Schlatter ein. Am 15. Oktober 2015 wurden in Alsbach-Hähnlein die ersten Stolpersteine vor den Häusern Bickenbacher Straße 30 und Hauptstraße 33 verlegt.

Betsaal / Synagoge

Über eine Synagoge in Alsbach ist nur wenig bekannt. Vor 1767 scheint in einem privaten Wohnhaus ein Betsaal bestanden zu haben. In diesem Jahr erwarb die Gemeinde ein Haus in der Hauptstraße mit der Nummer 113 und ließ es umfassend sanieren. Auf dem Nachbargrundstück stand das Haus des Vorsängers, das 1967 abgerissen wurde.

Die Synagoge wurde 1864 abermals renoviert und in diesem Zusammenhang eine Inschrift in hebräischen Buchstaben über dem Eingang eingebracht. Das Gebäude hatte einen annähernd quadratischen Grundriss mit leicht nach Süden vortretendem Chor, der im Inneren den Thoraschrein barg. Nach Norden war ein Wohnhaus angebaut.

Neben einem Memorialbuch von 1731 befanden sich im Inneren Sitzgelegenheiten für 32 Männer und 20 Frauen, jeweils mit Pulten. Dementsprechend umfasste die Garderobe 55 Einheiten. Zudem gab es den Thoraschrein, ein kombiniertes Vorbeter- und Vorleserpult mit Wickelbank, einen großen und drei kleine Kronleuchter, 16 Seitenleuchter, einen Schrank für Kultgeräte, eine Wanduhr und einen großen eisernen Füllofen5

1938 befanden sich zudem die Kultgegenstände aus den aufgelösten Synagogengemeinden Seeheim und Reichenbach in Alsbach.

Die Inneneinrichtung der Synagoge wurde in der Pogromnacht zerschlagen und samt des Silbers im Garten verbrannt, das geschmolzene Silber später wahrscheinlich gestohlen.6

Das Gebäude ging für 2.400 Reichsmark in den Besitz des Landwirts Schneider über, 1967 wurde es ebenfalls abgebrochen.7

Weitere Einrichtungen

Weitere Einrichtungen

In den meisten Orten Südhessens gab es Beerdigungsbruderschaften. Sie kümmerten sich nicht nur um die Verstorbenen, sondern auch um die Hinterbliebenen. Über diese Chewra Kaddischa ist wenig bekannt. So ist es als Glücksfall zu bezeichnen, dass 1914 Moritz Mainzer eine Festschrift zum 175jährigen Jubiläum der „Heiligen Wohltätigkeitsbrüderschaft im Kurstaate Mainz im Amt Starkenburg“ vorlegte. Diese 1739 gegründete Beerdigungsbruderschaft hatte sich die Krankenpflege und das Bestattungswesen als Hauptaufgabe in ihre Statuten geschrieben (ausführlicher hierzu der Beitrag zu Lorsch). Bemerkenswert ist, dass sich bis heute elf Grabsteine der 14 Gründungsmitglieder auf dem Friedhof in Alsbach erhalten haben.8

Von der 1732 gegründeten Beerdigungsbruderschaft in Alsbach hat sich ein silberner Becher erhalten. Er trägt an seinem oberen Rand die Inschrift „Dieser Pokal gehört der heiligen Bruderschaft des Wohltätigkeitsfonds in der heiligen Gemeinde Alsbach im Jahr 1732“9 Über den Corpus sind die Namen von 57 Mitgliedern aus 16 verschiedenen Ortschaften eingraviert.

Mikwe

Der älteste Hinweis auf eine Mikwe, vermutlich eine Privatmikwe, stammt aus dem Jahr 1569, als die obrigkeitliche Order erschien, der in Alsbach lebende Jude Baruch habe sich des Wasserbadens zu enthalten. Über die anschließende Zeit schweigen die Quellen. Erst für das 19. Jahrhundert ist bekannt, dass sich im Garten der Synagoge eine Mikwe befand.10

Schule

Neben der Synagoge stand das Haus des Vorsängers, in dem auch Unterricht gehalten wurde. Es wurde 1967 abgebrochen.

Cemetery

Der jüdische Friedhof in Alsbach gilt mit einer Gesamtfläche von 22.672 Quadratmetern als der größte heute noch bestehende Landfriedhof in Hessen. Auf ihm haben sich 2.128 Grabsteine erhalten. Als Verbandsfriedhof diente er als Begräbnisstätte der jüdischen Bevölkerung aus 32 Städten und Dörfern der Region zwischen Rhein und Bergstraße, teilweise bis in den Odenwald.

Seine Gründungszeit fällt mit 1616 unmittelbar in die Zeit vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges, als sich in den umliegenden großen Städten wie beispielsweise Frankfurt am Main und Worms Unruhen und Aufstände gegen jüdische Einwohner richteten. Nicht zuletzt aufgrund dieser Unruhen flüchtete 1614 der Wormser Rabbiner Abraham Samuel ben Isaak Bacharach mit seiner Familie auf die rechte Rheinseite, wo er 1615 in Gernsheim verstarb. Bacharach war seit 1603 auch Landesrabbiner für Hessen-Darmstadt. Möglicherweise initiierte sein Tod die Anlage des Friedhofes, auch wenn sein Grab dort heute nicht besteht. Ihm zu Ehren wurde wohl um oder nach 1699 an prominenter Stelle auf dem Friedhof ein mächtiger Gedenkstein errichtet. Der älteste erhaltene Grabstein auf dem Friedhof stammt aus dem Jahr 1682.11

1741 wurde der Friedhof mit einer Mauer eingefasst und 1743 das zunächst knapp einen halben Morgen große Friedhofsareal erstmals erweitert. Bereits 50 Jahre später war eine weitere Erweiterung notwendig.12 Zu dieser Zeit wurde auch das Totenhaus durch einen halbrunden, kuppelartigen Bau ersetzt. Ende der 1850er Jahre und 1866 erfolgten abermals Erweiterungen.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts zählten die 14 jüdischen Gemeinde Alsbach mit Bickenbach, Hähnlein und Jugenheim, Auerbach mit Schwanheim, Bensheim, Biblis, Bürstadt, Eberstadt, Gernsheim, Groß-Rohrheim, Heppenheim, Lorsch mit Einhausen, Pfungstadt mit Hahn und Eschollsbrücken, Reichenbach mit Elmshausen, Seeheim und Zwingenberg zum Friedhofsverband. Hinzu kommen noch einzelne Familien aus Biebesheim, Crumstadt, Hofheim, Nordheim und Stockstadt, sowie die Ortschaften, in denen Ende des 19. Jahrhunderts keine Juden mehr wohnten: Langwaden, Nieder-Ramstadt, Schönberg und Zell.

1843 wurde ein neues Eingangsgebäude mit einer auf Säulen ruhenden Tordurchfahrt errichtet und 1856 um ein Stockwerk im so genannten maurischen Stil erhöht. Hierin befand sich ein kleiner Andachtsraum für 20 bis 25 Personen. Über dem Tor befand sich die Inschrift „Der Herr lässt Leben, der Herr lässt sterben, gelobt seist Du Ewiger, der belebt die Toten“.13 Dieses Gebäude wurde in der Pogromnacht durch Mitglieder der SA bis auf Reste der Fundamente zerstört.

Da die Bestattungen nach orthodoxem Ritus durchgeführt wurden, findet man keine monumentalen Grabstätten. Einfassungen der Gräber waren ebenso verboten wie deutsche Inschriften, sieht man einmal von einer knappen Rückinschrift auf den Steinen ab.

Trotz erheblicher Schändungen am 10. November 1938 vor allem im jüngsten Teil des Friedhofs durch die Standarte 145 der SA Brigade 50 „Starkenburg“, wurde dieser bis 1941 weiter belegt. Zu dieser Zeit befanden sich im Inneren des Totenhauses 20 Sitzplätze, ein Thoraschrank, ein Vorbeterpult, Beleuchtungskörper, ein Leichenwagen, mehrere als antik bezeichnete Kultgeräte, darunter drei Thorarollen, vier Thorakronen, ein Thoraschild und ein silberner Lesefinger.14

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es 196315 und 2006 zu Verwüstungen, als mehr als 100 Grabsteine umgeworfen wurden und die Eingangshalle beschmiert wurde.

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Jakob Liebmann · Bickenbach, Herren von · Baruch · Dietz, Graf von · Menlein · Hans Gottfried · Menle · Isaak · Lazarus · Heyum · Jessel · Zadock · Moses · Süßmann · Gatzert · Ephraim · Bollinger · Schlatter, Gotthilf · Schneider, N.N. · Abraham Samuel ben Isaak Bacharach · Mainzer, Moritz

Places

Wallbrunn · Ernsthofen · Zwingenberg · Bickenbach · Hähnlein · Jugenheim · Seeheim · Reichenbach · Frankfurt am Main · Worms · Gernsheim · Auerbach · Schwanheim · Bensheim · Biblis · Bürstadt · Eberstadt · Groß-Rohrheim · Heppenheim · Lorsch · Einhausen · Biebesheim · Crumstadt · Hofheim · Nordheim · Stockstadt · Langwaden · Nieder-Ramstadt · Schönberg · Zell · Alsbach, Beerdigungsbruderschaft

Sachbegriffe Geschichte

Dreißigjähriger Krieg · Stolpersteine · SA-Brigade 50 „Starkenburg“ · Beerdigungsbruderschaften · Chewra Kadischa

Sachbegriffe Ausstattung

Thoraschreine · Memorbücher · Pulte · Garderoben · Vorbeterpulte · Vorlesepulte · Wickelbänke · Kronleuchter · Seitenleuchter · Schränke · Wanduhren · Füllöfen · Leichenwagen · Thorakronen · Thoraschilde · Lesefinger

Sachbegriffe Architektur

Inschriften · Chöre · Tordurchfahrten · Maurischer Stil

Fußnoten
  1. Kunz, 1970, S. 306
  2. Kunz, 1970, S. 308
  3. HStAD E 12, 350/4
  4. Kunz, 1970, S. 313
  5. HHStAW 518, 1410
  6. HHStAW 503, 7380
  7. Kunz, 1970, S. 310
  8. Heinemann, 2002, S. 119.
  9. Übersetzung abgedruckt bei Heinemann, 2002
  10. Altaras, 2007, S. 280
  11. Heinemann, 2002, S. 116
  12. Heinemann, 2001, S. 6
  13. zitiert nach Heinemann, 2001, S. 7
  14. HHStAW Abt. 518, Nr. 1410
  15. Heinemann, 2001, S. 34
Recommended Citation
„Alsbach (Landkreis Darmstadt-Dieburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/92> (Stand: 25.8.2022)