Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

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Herzogtum Nassau 1819 – 40. Wehen
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Wehen Karten-Symbol

Gemeinde Taunusstein, Rheingau-Taunus-Kreis — Von Carina Schmidt
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

um 1670

Location

65232 Taunusstein, Stadtteil Wehen, Weiherstraße 15 | → Lage anzeigen

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Das 1227 erstmals erwähnte Dorf Wehen wurde im 14. Jahrhundert als Lehen des Klosters Bleidenstadt an die Grafen von Nassau ausgegeben. 1323 verlieh König Ludwig der Bayer dem Ort Stadtrechte. Wenig später wurde der so genannte Wehener Grund Sitz eines Gerichtes. 1629 ging die Siedlung an das Haus Nassau-Idstein und 1728 an Nassau-Usingen. Zum Herzogtum Nassau gehörte Wehen seit 1816, zur preußischen Provinz Hessen-Nassau seit 1867. Heute ist der Ort ein Stadtteil der hessischen Gemeinde Taunusstein im Rheingau-Taunus-Kreis.1

In Wehen gibt es einen alten, jüdischen Sammelfriedhof, der mutmaßlich schon im Spätmittelalter angelegt wurde. Dort beerdigten die Juden aus dem Ort, aber auch diejenigen von Wiesbaden. Die Existenz dieser Begräbnisstätte ist ein Indiz dafür, dass es schon früh jüdische Einwohner in Wehen gegeben hat. Auch das kaiserliche Privileg für Graf Gerlach von Nassau von 1329, das ihm die Ansiedlung von vier jüdischen Familien in seinem Herrschaftsgebiet erlaubte, legt diesen Schluss nahe. Nachweisbar sind Juden in Wehen aber erst im ausgehenden 17. Jahrhundert. Bei einer Zählung der Untertanen im nassau-usingischen Amt Wehen wurden um 1670 drei ortsansässige Juden verzeichnet. Deren Zahl stieg bis um 1700 auf elf Personen an. Da der Weg zur Synagoge in Bad Schwalbach für sie weit und beschwerlich war, bildeten sie seit dem 18. Jahrhundert zusammen mit den Juden aus dem benachbarten Bleidenstadt eine eigene Kultusgemeinde.2

Bemerkenswert ist, dass sich in diesem Zeitraum mehrere Juden aus Wehen und Umgebung für den Übertritt zur evangelischen Konfession entschieden: 1753 ließen sich Jacob und Gumpel aus Wehen bzw. Dotzheim in der Kirche zu Wehen von Pfarrer Georg Philipp Viehmann taufen. Noch im gleichen Jahr konvertierte auch die Jüdin Sarah Isaak aus Niedernhausen in Wehen. Die Schwester des erwähnten Gumpel, Jüdin Rebekka aus Dotzheim, plante 1756 ebenfalls den Konfessionswechsel und wandte sich deshalb an Pfarrer Viehmann. Doch die Juden aus Wehen und Umgebung setzten alles daran, Rebekka von ihrem Vorhaben abzubringen. Mit dem Versprechen, ihr 300 Gulden zu bezahlen, wenn sie auf die Taufe verzichtete, nahm einer ihrer Glaubensbrüder sie mit auf eine Reise nach Amsterdam, von der sie nicht zurückkehrte. Mysteriös ist der Fall des Judenknechts Abraham aus Bleidenstadt, der 1770/71 auch in Wehen die Konfession wechseln wollte. Er verschwand kurz vor seinem Tauftermin spurlos. Die Behörden verdächtigten im Zuge der Nachforschungen die Juden von Bleidenstadt, die den Übertritt Abrahams gerne verhindert hätten, dafür verantwortlich zu sein, ihnen konnte jedoch kein Vergehen nachgewiesen werden.3

Bis ins 19. Jahrhundert existierte sowohl in Wehen als auch in Bleidenstadt eine Betstube in einem Privathaus und der Gottesdienst wurde mal in dem einen, mal in dem anderen Ort abgehalten. Die benötigten Kultgegenstände hatten die Juden gemeinschaftlich gekauft. Und wenn nicht genügend religionsmündige Männer da waren, um einen Minjan bilden zu können, wurden Juden aus den Nachbarorten bezahlt, damit sie am Gottesdienst teilnahmen. Doch 1802 gerieten die beiden Gemeinden in Streit darüber, wo die Schule gehalten werden sollte. Inzwischen lebten zwei jüdische Familien in Wehen und drei in Bleidenstadt. Letztere forderten deshalb, dass der Gottesdienst in Bleidenstadt stattfinden müsse. Diese Auseinandersetzung dauerte, obwohl sie wiederholt vor dem Hof- und Appellationsgericht in Wiesbaden verhandelt wurde, jahrzehntelang an. Doch da die Zahl der jüdischen Einwohner sich zugunsten von Wehen entwickelte – dort gab es 1843 immerhin 26 Juden, in Bleidenstadt dagegen nur 17 – wurde die Synagoge in Wehen zum Zentrum der Kultusgemeinde. Allerdings weigerten sich die Bleidenstädter noch in den 1840er Jahren, regelmäßig nach Wehen zum Gottesdienst zu gehen. Dort erschienen sie nur manchmal, ansonsten hielten sie Winkelandachten vor Ort ab oder gingen in die Synagoge nach Bad Schwalbach. Zudem beteiligten sie sich nicht an den Kosten für die Kultusausübung.4

1873 bestand die Kultusgemeinde aus 62 Juden in 13 Familien. Um 1890 wurden in Wehen neun und in Bleidenstadt drei jüdische Steuerzahler verzeichnet, insgesamt lebten in beiden Orten also noch etwa 40 Juden. Ihren Lebensunterhalt verdienten die meisten von ihnen als Händler oder Metzger. Im frühen 20. Jahrhundert wurden der Gemeinde außerdem die wenigen in Hahn ansässigen Juden angeschlossen.5 Bis 1933 lebten in Wehen und den beiden Filialorten zusammen noch 19 jüdische Bürger, einige von ihnen flüchteten in der Folgezeit ins Ausland, u.a. nach Südamerika und in die USA. In der Pogromnacht 1938 wurden die Synagoge und das Nachbarhaus der Familie Siegfried Nassauer schwer verwüstet. Die verbliebenen Juden wurden bis 1942 deportiert, mindestens sechs jüdische Familien aus der Kultusgemeinde Wehen fielen dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer. 1983 wurde vor dem Wehener Schloss eine bronzene Gedenktafel zur Erinnerung an das Schicksal der jüdischen Gemeinde angebracht.6

Betsaal / Synagoge

Die Kultusgemeinde verfügte im 18. Jahrhundert über private Betstuben in Wehen und Bleidenstadt. Dort wurde, je nachdem, wo mehr Juden ansässig waren, Gottesdienst gefeiert. Der Betraum in Bleidenstadt befand sich 1807 im Haus des Juden Mayer; mehr ist über die Winkelsynagogen aufgrund der kargen Quellenlage nicht bekannt.7

Nachdem die Zahl der Juden in Wehen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angewachsen war, wurde dort ein eigenes Synagogengebäude errichtet, das der Kultusgemeinde bis in die 1930er Jahre als Versammlungsort diente. Der Zeitpunkt der Erbauung dieses Gotteshauses wird in der vorhandenen Forschungsliteratur stets mit der Datierung „um 1800“ angegeben.8 Mithilfe der Stockbücher von Wehen lässt sich diese Aussage präzisieren: Bernhard Simon und dessen Ehefrau Helene, geborene Jessel, kauften 1852 einen Acker „hinter dem Amtshaus an Philipp Müller und Johann Georg Hardt“ und ließen dort bis 1853 die Synagoge errichten. Zur Erweiterung des Hofraums kauften sie von Johann Georg Hardt außerdem ein benachbartes, kleines Stück Land „im Birngarten“. Die Synagoge in der Weyergasse, später Weiherstraße Nr. 15, war eingeschossig, 13,5 Meter lang und 12 Meter tief, verfügte also über eine Fläche von rund 162 Quadratmetern. Am 20. Dezember 1864 schließlich kaufte die Kultusgemeinde das Anwesen von den Erben der Eheleute Simon.9

Weitere Angaben zur Bauweise und zum Inventar der Synagoge lassen sich der Akte zum Entschädigungsverfahren der jüdischen Gemeinde Wehen entnehmen. Darin wird die Synagoge als Ziegelfachwerkbau mit Schieferdach beschrieben, der 1938 in gutem baulichem Zustand gewesen sein soll. Das Gotteshaus verfügte über 24 Sitzplätze mit Pulten für Männer und 16 Sitze für Frauen auf einer Empore oberhalb des Eingangs; die Bänke, Stühle und Tische waren aus lackiertem Tannenholz gefertigt. Die Einrichtung bestand ferner aus einer Garderobenvorrichtung, einem Thoraschrein, einem Vorlesepult mit gedrehten Ecksäulen, zwei Hängeleuchtern, vier Seitenleuchtern und zwei Schränken. An Kultgegenständen waren in der Synagoge u.a. drei Thorarollen samt je drei Aufsätzen mit Schellen, Schildern und Lesefingern aus Silber vorhanden. Außerdem verfügte die Gemeinde über zwölf Thoramäntel, 20 Wimpel, drei Decken für das Vorlesepult, sechs Gebetsmäntel, drei Gebetsriemen, einen silbernen Weinbecher und zwei Schofarhörner. Auch ein siebenarmiger Leuchter, ein Channukahleuchter und eine kleine „ewige Lampe“ zählten zur Ausstattung. An Schriften waren je zehn Gebetsbücher, Festgebetsbücher und Bände des Pentateuch sowie eine Megilla vorhanden. Auch eine wertvolle, silberne Hawdallagarnitur stand zur Verfügung. Insgesamt wurden die Kultgegenstände der Synagoge von der Jewish Restitution Successor Organization (IRSO) mit 27.625 DM veranschlagt.10

Beim Novemberpogrom 1938 fiel die schon seit längerem nicht mehr genutzte Synagoge der Verwüstung anheim. Zwar wurde sie nicht, wie viele andere jüdische Gotteshäuser, in Brand gesetzt, doch gelang es den Tätern, das Gebäude von Hand bis auf die Grundmauern niederzureißen. Die Kultgegenstände wurden bei dieser Aktion wahrscheinlich zerstört, über deren Verbleib ist zumindest nichts bekannt. Mithilfe von mit Feuerwehrhaken ausgestatteten Stangen stürzten die Randalierer gegen 22 Uhr des Abends auch die letzte, noch stehende Mauer, die etwa sieben Meter hohe Giebelwand der Synagoge. Das Gründstück ging 1939 in den Besitz des Wehener Werkstattinhabers Johann Georg Pollack und seiner Ehefrau über, die Gebäuderuine wurde 1940 abgetragen. 1951 schloss die IRSO einen Vergleich mit dem Ehepaar Pollack, das für das Synagogengrundstück eine Entschädigungssumme von 267 DM entrichtete.11

Weitere Einrichtungen

Schule

In den 1860er Jahren gehörte Wehen einem Schulverband mit den jüdischen Gemeinden Kettenbach und Holzhausen über Aar an. Gemeinschaftlich verpflichteten die Juden des Amtes Lehrer Kahn, der mehrere Jahre lang in den drei Orten wirkte. 1870 schied Wehen aus dem Verbund aus und bestellte einen eigenen Lehrer, Moses Morgenthal von Idstein, der zweimal wöchentlich vor Ort den jüdischen Kindern, wahrscheinlich in der Synagoge, Unterricht erteilte.12

Cemetery

Das Gründungsdatum des jüdischen Sammelfriedhofs am Halberg in Wehen, auf dem außer den Mitgliedern der ansässigen Kultusgemeinde bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts auch die Juden aus Wiesbaden beigesetzt wurden, ist bislang nicht nachgewiesen. Es wird angenommen, dass diese Begräbnisstätte schon im frühen 14. Jahrhundert von den Grafen von Nassau gestiftet wurde, einen Beleg dafür gibt es aber nicht. Der älteste, erhaltene Grabstein datiert aus dem Jahr 1694, d.h. spätestens Ende des 17. Jahrhunderts existierte der Friedhof bereits. 1725 erweiterten die Juden das Gelände durch Ankauf eines benachbarten Ackers und errichteten eine Mauer. Auf Beschwerden der christlichen Einwohner Wehens, die fürchteten, ihr Friedhof könnte im Vergleich zu dem gepflegten jüdischen Totenhof schlecht aussehen, mussten die Juden die Umfriedung wieder abreißen, stattdessen pflanzten sie eine Hecke. Um 1750 lösten die Wiesbadener Juden sich aus dem Begräbnisverbund und legten einen eigenen Friedhof auf der „Schönen Aussicht“ nahe Wiesbaden an. Ihrer Initiative ist es zu verdanken, dass 1802 eine Suche nach von dem Wehener Beerdigungsplatz entwendeten Grabsteinen organisiert wurde. Dabei konnten zehn Steine in der Umgebung sichergestellt werden, die als Schleif-, Dreh- und Trittsteine zweckentfremdet worden waren. Insgesamt sind nur 57 Grabsteine bis heute erhalten geblieben, der jüngste stammt von 1933. Eine Schändung des jüdischen Friedhofs in Wehen ist nicht belegt, doch die geringe Zahl der Steine, ihre wahllose Anordnung und die Tatsache, dass einige stark beschädigt sind, legen die Vermutung nahe, dass in der NS-Zeit auch hier gewütet wurde.13

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Grabstätten

Wehen, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. Historisches Ortslexikon des Landesgeschichtlichen Informationssystems Hessen (LAGIS) auf http://www.lagis-hessen.de
  2. Heinemann: Der jüdische Friedhof in Wehen, S. 107–108; Untertanenerhebungen im Amt Wehen, 1593–1727, in: HHStAW 136, 21; Juden zu Bleidenstadt gegen die Juden zu Wehen wegen Haltung der Judenschule, (1802) 1807–1808, in: HHStAW 293, 857
  3. Wilhelmi: Wehen und sein Grund, S. 334–344; Übertritt von Juden und Katholiken zur protestantischen Religion, 1753–1778, in: HHStAW 137, X a 18
  4. Juden zu Bleidenstadt gegen die Juden zu Wehen wegen Haltung der Judenschule, (1802) 1807–1808, in: HHStAW 293, 857; Abgaben der Juden und deren Kultusverhältnisse im herzoglich-nassauischen Amt Wehen, 1811–1853, in: HHStAW 244, 91; Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 346
  5. Israelitische Kultusangelegenheiten im herzoglich-nassauischen Amt Wehen, 1864–1884, in: HHStAW 244, 1460; Etat für den israelitischen Zentralkultusfonds, 1873–1915, in: HHStAW 418, 1129
  6. Jakobi: Jüdische Gemeinde in Wehen, S. 124–127; Abschnitt „Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde“, Absatz 9–12, im Artikel „Wehen – Jüdische Geschichte/Synagoge“ auf http://www.alemannia-judaica.de/wehen_synagoge.htm
  7. Juden zu Bleidenstadt gegen die Juden zu Wehen wegen Haltung der Judenschule, (1802) 1807–1808, in: HHStAW 293, 857
  8. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 347; Jakobi: Jüdische Gemeinde in Wehen, S. 123
  9. Immobilien des Bernhard Simon von Wehen, in: HHStAW 362/27, Stockbuch Wehen, Bd. A 4, Artikel 147; Immobilien des Johann Georg Hardt von Wehen, in: HHStAW 362/27, Stockbuch Wehen, Bd. A 2, Artikel 67; Immobilien der jüdischen Gemeinde Wehen, in: HHStAW 362/27, Stockbuch Wehen, Bd. A 11, Artikel 418; zur Umrechnung der Maßeinheiten siehe Verdenhalven: Meß- und Währungssysteme, S. 19–20
  10. Entschädigung der jüdischen Gemeinde in Wehen für die Zerstörung ihrer Synagoge, 1954–1962 (fol. 15–18), in: HHStAW 518, 1169
  11. Entschädigung der jüdischen Gemeinde in Wehen für die Zerstörung ihrer Synagoge, 1954–1962 (fol. 5–6 und 39–42), in: HHStAW 518, 1169
  12. Israelitische Kultusangelegenheiten im herzoglich-nassauischen Amt Wehen, 1864–1884, in: HHStAW 244, 1460
  13. Heinemann: Der jüdische Friedhof in Wehen, S. 107–109
Recommended Citation
„Wehen (Rheingau-Taunus-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/70> (Stand: 23.7.2022)