Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Watzenborn-Steinberg Karten-Symbol

Gemeinde Pohlheim, Landkreis Gießen — Von Susanne Gerschlauer, Hanno Müller und Hartmut Heinemann
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1569

Location

35415 Pohlheim, Stadtteil Watzenborn-Steinberg, Klossengasse 14 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Gießen (orthodoxes Provinzialrabbinat)

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Das Dorf Watzenborn wird Mitte des 12. Jahrhunderts erstmals erwähnt, das nahegelegene Steinberg folgt 1288. Im 16. Jahrhundert wurden beide Orte vereint. Ortsherren waren anfangs die Grafen von Gleiberg. Nach dem Aussterben des Geschlechts im 13. Jahrhundert traten die Grafen von Nassau und die Landgrafen von Hessen gemeinsam das Erbe an. Im Jahr 1585 kam es zu einer Realteilung, wobei der östlich gelegene Besitz um Gießen an Hessen fiel. Wenig später gelangte Watzenborn-Steinberg auf Dauer an die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. 1806 ging die Gemeinde in das neue Großherzogtum Hessen-Darmstadt über und war Bestandteil der Provinz Oberhessen.

Im Jahr 1569 wird erstmals ein Jude aus Watzenborn genannt.1 Seit Mitte des 18. Jahrhunderts sind Judenfamilien in Watzenborn-Steinberg belegt. Die Zahl der Familien stieg zwischen 1758 und 1793 von einer auf wenigstens vier Familien. Im Brandkataster von 1777 sind als Hausbesitzer sowohl in Watzenborn als auch in Steinberg jeweils drei Juden nachgewiesen.2 In seinem „Familienbuch der Watzenborn-Steinberger Juden“ hat Hanno Müller die jüdische Bevölkerung seit dieser Zeit minutiös erforscht. Gleiches gilt für die Juden aus Garbenteich, die zur Synagogengemeinde Watzenborn-Steinberg gehörten.3 Um 1830 wohnten in Watzenborn neun, in Steinberg 11 und im angeschlossenen Garbenteich 12 Juden.4 Gegen 1895 lag der Anteil der jüdischen Watzenborn-Steinberger an der Gesamtbevölkerung bei etwa 1,6 Prozent. Im drei Kilometer entfernten Garbenteich ging die jüdische Bevölkerung jedoch ab 1850 durch Abzug vor allem nach Gießen deutlich zurück; um 1895 wohnten dort nur noch nur zwei Juden.5 Gemeindevorsteher sind seit 1833 nachgewiesen, der letzte Vorsitzende war 1938 Max Katz.6 Die Watzenborn-Steinberger Juden verdienten ihren Lebensunterhalt mehrheitlich als Händler mit Vieh und Kleinwaren.

1932 lebten in Watzenborn-Steinberg einschließlich Garbenteich noch 20 Juden,7 von denen einige ausgewandert, andere innerhalb Deutschlands umgezogen sind. Im Mai 1939 waren noch 13 jüdische Personen vor Ort, von denen zehn bis 1942, die letzten am 14.9.1942 verhaftet und über Darmstadt in die Konzentrationslager deportiert wurden, in denen man sie ermordete.8 Hinzu kommen sieben weitere Opfer, die während der NS-Zeit verzogen waren, um dem politischen Druck zu entgehen, und die gleichfalls umgebracht wurden.9

Betsaal / Synagoge

Spätestens seit 1846 bestand ein Betraum, der in einem ansonsten privat genutzten Wohnhaus eingerichtet war.10 Im Jahr 1891 begann die jüdische Gemeinde auf einem 110 Quadratmeter großen Grundstück in der Klossengasse 14 (ehemals 12) mit der Errichtung einer neuen Synagoge.11 Der Bauplatz der ein Jahr später fertiggestellten Synagoge befand sich im Eigentum der jüdischen Gemeinde und lag außerhalb des Ortskerns am äußersten Rand der damaligen Bebauung an der Straße nach Garbenteich. Westlich daneben hatte die politische Gemeinde Watzenborn-Steinberg eine Baumschule, nördlich und östlich davon lagen Gärten und Äcker. Allein im Süden, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, standen zwei kleine Hofreiten in der Nachbarschaft.12

Konrad Schneidmüller, Zimmermeister aus Steinberg, fertigte 1891 den Bauplan zur Synagoge. Das über einem ca. 6 x 8 Meter großen Grundriss erbaute, verputzte Massivgebäude aus Ziegelstein war eingeschossig geplant. Es wurde ohne Keller an einem nach Westen abfallenden Hang freistehend am Ortsrand errichtet und besaß ein sehr spitzes Walmdach. Ein umlaufender verputzter Bruchsteinsockel sorgte für eine horizontale optische Zäsur. Die Vertikale wurde unterstrichen durch die auf allen Wänden symmetrisch eingesetzten beiden Fensterachsen mit den hochrechteckigen binnengegliederten Segmentbogenfenstern, deren Scheitelpunkte die unteren zwei Drittel der Wandfläche markierten. Oberhalb davon blieben die Wände schmucklos. Trotz der geringen Größe hob sich das Gebäude durch sein äußeres Erscheinungsbild von der gegenüberliegenden Bebauung ab.

Im Westen wurde die Synagoge durch den in die Mittelachse eingebauten und von je einem Segmentbogenfester flankierten Haupteingang erschlossen. Ein kleiner, vorgebauter Windfang, von Süden her zu betreten, diente dem Schutz des Innenraumes. Das spitz zulaufende Walmdach war möglicherweise zeitweise nur mit Dachpappe gedeckt.13 An der Nordost-Wand war ein Abtritthäuschen geplant. 1896 wird für das Gebäude im Brandkataster eine Versicherungssumme von 2.700 Mark ausgewiesen.14

Im Inneren des etwa 50 Quadratmeter großen Geschosses gab es für Männer und Frauen getrennte Plätze. Vor der Ostwand befand sich der Aron-Hakodesch mit den Thorarollen, umrahmt von beiden Rundbogenfenstern. Westlich davor, um einige Stufen erhöht, stand das Vorlesepult.

Offiziell am 7.11.1938, also unmittelbar vor der Pogromnacht, ging das Gebäude durch Verkauf zum Preis von 300 Mark in den Besitz der politischen Gemeinde über.15 Von der Pogromnacht blieb die ehemalige Synagoge als Bauwerk verschont, hingegen wurde die Inneneinrichtung völlig zerstört. Für die baulichen Schäden im Innenbereich, die Zerstörung des Mobiliars und der Inneneinrichtung sowie schließlich den Verlust der Kultgegenstände wurde zwischen der JRSO (Jewish Restitution Successor Organization) und der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Darmstadt im Oktober 1961 abschließend ein Vergleich geschlossen. Er umfasste eine Entschädigung von zusammen rund 73.000 DM.16 Neuer Eigentümer des Gebäudes war 1938 die politische Gemeinde geworden. Das Haus diente bis 1945 als SA-Heim und als Lagerraum. Seit 1940 viele Male um- und angebaut, blieb vom ursprünglichen Erscheinungsbild nichts mehr sichtbar. Das Gebäude befindet sich heute in Privatbesitz und dient als Wohnhaus.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Aus einem Schreiben des Bürgermeisters von Watzenborn-Steinberg an das Großherzogliche Kreisamt Gießen von 1838 geht hervor, dass es im Ort keine rituellen Tauchbäder gab und die Mikwe in Gießen genutzt wurde.17

Cemetery

Vor 1887 beerdigten die Juden aus Watzenborn-Steinberg ihre Toten auf dem jüdischen Sammelfriedhof im sechs Kilometer entfernt gelegenen Großen-Linden.18 Gegen 1859 gab es Überlegungen zur Neustrukturierung der Friedhofsgemeinschaft, doch war es den Watzenborn-Steinberger Juden aus finanziellen Gründen nicht möglich, einen eigenen Friedhof anzulegen. Dies änderte sich 1887. Die Jüdische Gemeinde Watzenborn-Steinberg, zu der auch die wenigen Juden aus Garbenteich – damals nur eine Familie – gehörten, legte sich einen eigenen Friedhof zu.

Der 1888 eingeweihte, von einer Hecke umgebene kleine Friedhof in Watzenborn-Steinberg hat eine Fläche von 413 Quadratmetern und lag zur Gründungszeit außerhalb der Bebauung („Vor dem hohen Triesch“). Die letzte Beerdigung fand am 3.10.1938 statt.19 Gegenwärtig zählt der Friedhof noch 17 Grabsteine, die den Zeitraum zwischen 1900 und 1938 abdecken.20 Zum Jahr 1953 waren hingegen noch 23 Grabsteine vorhanden. Offensichtlich wurde in späterer Zeit die Reihe der ältesten Grabsteine nach Anlage des Friedhofs 1888 unter ungeklärten Umständen beseitigt.21

Seit 1963 erinnert ein Gedenkstein an die 13 Jüdinnen und Juden, die 1942 aus Watzenborn-Steinberg deportiert und ermordet wurden.22

Großen-Linden, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Watzenborn-Steinberg, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Großen-Linden, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. Löwenstein, Quellen Marburg 2, Nr. 2011, S. 140
  2. Müller, Pohlheim, S. 144-147
  3. Müller, Pohlheim S. 124 ff. und S. 9 ff. (Garbenteich)
  4. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 345
  5. Ruppin, Juden, S. 73
  6. Müller, Pohlheim, S. 148 f. Zur Statistik vgl. auch generell StadtA Pohlheim, Gem. Watzenborn-Steinberg, Abt. 13
  7. StadtA Pohlheim, Gem. Watzenborn-Steinberg, Abt. 13, Abschn. 2, Konv. 2, Fasc. 31, von 1948
  8. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 346
  9. Zusammenfassend Müller, Pohlheim, S. 182, 189 ff.
  10. StadtA Pohlheim, Gem. Watzenborn-Steinberg, Abt. 13, Abschn. 3, Konv. 2, Fasc. 47, von 1855
  11. Altaras, Synagogen 2007, S. 212 f.; Müller, Pohlheim, S. 149 f.
  12. Situationsplan von 1891. StadtA Pohlheim, Gem. Watzenborn-Steinberg, Abt. 13, Abschn. 3, Konv. 2, Fasc. 49: Erbauung einer Synagoge in Watzenborn-Steinberg, hier: Baubescheid mit Plan, 1891; Abb. des Bauplans bei Müller, Pohlheim S. 149
  13. Foto von 1946 oder 1953 bei Altaras, Synagogen 2007, S. 212 und Müller, Pohlheim S. 150. - Gebäude von SW. Verglichen mit den Planunterlagen scheint eine Änderung im Bauvorhaben bezüglich der Dachausführung umgesetzt worden zu sein. Die Pläne von 1891 weisen ein von Nord nach Süd verlaufendes Satteldach aus. Für den Südgiebel war ein niedriges Segmentbogenfenster der gleichen Art wie die übrigen Fenster vorgesehen; vgl. Planunterlagen von 1891
  14. StadtA Pohlheim, Gem. Watzenborn-Steinberg, 1896: Brandkataster
  15. StA Pohlheim, Gem. Watzenborn-Steinberg, Abt. 13, Abschn. 3, Konv. 2, Fasc. 50, von 1938, sowie Abschn. 2, Konv. 2, Fasc. 29, von 1950
  16. HHStAW 518, 1388
  17. StadtA Pohlheim, Gem. Watzenborn-Steinberg, Abt. 13, Abschn. 5, Konv. 2, Fasc. 53, von 1838; vgl. auch Müller, Pohlheim S. 148
  18. Genehmigung eines eigenen Friedhofsgeländes 1887; Stadtarchiv Pohlheim, Abt. 13, Abschn. 5, Konv. 2, Fasc. 55, die Anlage eines neuen jüdischen Friedhofes betreffend, 1887/1888
  19. StadtA Pohlheim, Gem. Watzenborn-Steinberg, Abt. 13, Abschn. 5, Konv. 2, Fasc. 56, jüdischer Friedhof Watzenborn-Steinberg betreffend, 1943/1944
  20. Müller, Juden in Pohlheim, S. 169 ff.
  21. Müller, Juden in Pohlheim, S. 170 f.
  22. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 345
Recommended Citation
„Watzenborn-Steinberg (Landkreis Gießen)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/404> (Stand: 23.7.2022)