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Synagogen in Hessen

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5615 Villmar
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Herzogtum Nassau 1819 – 26. Nieder Brechen

Villmar Karten-Symbol

Gemeinde Villmar, Landkreis Limburg-Weilburg — Von Carina Schmidt
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

15./16. Jahrhundert

Location

65606 Villmar, Weilburger Straße 73 | → Lage anzeigen

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Villmar wird erstmals 1053 in einer Schenkungsurkunde Kaiser Heinrichs III. zugunsten der Trierer Abtei St. Eucharius (später St. Matthias) erwähnt. Als Vögte wurden dort die Herren von Isenburg eingesetzt. Das Erzbistum Trier erlangte 1565 die Landeshoheit über den Flecken. 1803 wurde Villmar dem Territorium der Fürsten von Wied-Runkel einverleibt und fiel 1806 an das Herzogtum Nassau, 1866 an das Königreich Preußen. Heute bildet Villmar eine Großgemeinde im hessischen Landkreis Limburg-Weilburg, der 1971 u.a. das Dorf Aumenau angeschlossen wurde.1

Einzelne Juden waren in Villmar nachweislich bereits im 15. und 16. Jahrhundert ansässig. Dann sind erst 1636 wieder zwei jüdische Einwohner, Sabel und Feist, verzeichnet. In den folgenden Jahrzehnten tauchen wiederholt jüdische Schlachter und Händler in den Quellen auf. In den Protokollen des Villmarer Sendgerichts sind ferner 1734 bis 1771 mehrere Juden belegt, die zum Teil über Grundbesitz und Dienstpersonal verfügten. Doch für die Abhaltung eines eigenen Gottesdienstes vor Ort dürfte die jüdische Bevölkerung nicht zahlreich genug gewesen sein. Von etwa 1780 bis 1800 bestand die Judenschaft insgesamt nur aus 25 Personen - drei Ehepaaren, drei Witwen, einem Witwer sowie 12 männlichen und drei weiblichen Kindern.2

Die Entstehung der Kultusgemeinde geht ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Eine Judenschule wird erstmals 1817 erwähnt, diese soll an der Weede, einem Wasserbehälter beim Rathaus gestanden haben. 1823 bestand die Gemeinde in Villmar aus etwa zwölf jüdischen Familien, 1843 umfasste sie 68 Personen. Danach waren bis um 1900 stets 60-70 Juden ansässig. Den Gottesdienst vor Ort, der seit 1846 in einem eigens dazu hergerichteten Synagogengebäude stattfand, besuchten auch die Juden aus dem Filialort Aumenau. Um 1909 schlossen sich ferner die wenigen in Runkel ansässigen Juden, deren Kultusgemeinde aus Mangel an Mitgliedern eingegangen war, Villmar an.3

Anfang des 20. Jahrhunderts zählte die Gemeinde 26 Personen. Nach 1933 lebten wieder 35 Juden in Villmar, 21 von ihnen wanderten in die USA, nach Argentinien oder England aus. Der letzte Vorsteher war von 1931-1938 Ludwig Rosenthal, der mit seiner Familie noch rechtzeitig in die USA nach St. Louis emigrierte. In der Pogromnacht 1938 wurden mehrere jüdische Wohnhäuser verwüstet, ebenso die Synagoge, obwohl sie bereits verkauft war, und der Friedhof. Die jüdischen Männer wurden inhaftiert, einige von ihnen deportierte die Gestapo in das Konzentrationslager Buchenwald. Die in Villmar verbliebenen zwölf Juden wurden 1941 verschleppt und ermordet.4

Betsaal / Synagoge

Schon 1817 taucht in den Quellen eine Judenschule, gelegen an der Weede beim Rathaus, auf. Dabei handelte es sich wahrscheinlich um ein Wohnhaus, in dem ein Betraum eingerichtet war. 1841, als die Kultusgemeinde bereits den Neubau einer Synagoge plante, verrichtete sie ihre Gottesdienste nachweislich in einer Privatwohnung und bezahlte Miete für einen Betraum und eine Lehrerwohnung. Doch da die Gemeinde angewachsen und die Winkelsynagoge zu klein geworden war, suchten die Villmarer Juden Anfang der 1840er Jahren nach einer Alternative.5

In einer Abstimmung entschied die Kultusgemeinde sich mit zwölf zu zwei Stimmen für die Errichtung einer Synagoge samt einem Frauenbad. Aus Kostengründen sahen die Juden aber schließlich von einem Neubau ab. Stattdessen kaufte der Vorstehergehilfe Samuel Isaac Eisenthal im Auftrag der Gemeinde 1844 für 1.210 Gulden das Wohnhaus von Heinrich Falkenbach an der Ecke Weilburger Straße/Grabenstraße. Innerhalb von zwei Jahren wurde das etwa 60 Quadratmeter große zweistöckige Gebäude aus Fachwerk umgebaut. Im Erdgeschoss ließ die Gemeinde eine Wohnung und ein Schulzimmer einrichten, im Keller wurde eine Mikwe angelegt. Der Betsaal mit einer Fläche von etwa 40 Quadratmetern befand sich im ersten Stock und bot Platz für etwa 50-60 Personen.6

Genutzt wurde das Gotteshaus bis in die 1930er Jahre, zuletzt war das alte Gebäude in baufälligem Zustand. Über die Einrichtungs- und Kultgegenstände informierte später der nach Argentinien emigrierte Heinrich Rosenthal, der frühere Mieter der Synagogenwohnung, im Zuge des Entschädigungsverfahrens das Regierungspräsidium. Demnach war im Betraum in Villmar u.a. ein 2,50 Meter hoher, 1,20 Meter breiter Thoraschrank vorhanden, für den es mehrere wertvolle Vorhänge gab, einige davon gespendet von nach Amerika ausgewanderten Gemeindemitgliedern. Auch für das Vorbeterpult waren mit goldenen und silbernen Stickereien versehene Decken aus Samt und Plüsch vorhanden. Im Betsaal der Männer gab es sieben Bänke, einen Ofen, einen Kronleuchter – ebenfalls eine Spende aus Amerika – und mehrere Wandlampen. Für die Frauen standen in einem separaten Raum Bänke bereit, die Platz für etwa 20 Personen boten. 1938 wurde die Synagoge, obwohl sie bereits in nichtjüdische Hände übergegangen war, schwer verwüstet. Die Ritualien wurden auf die Straße geworfen, zertreten und zerrissen. Die Jugendlichen aus der Kultusgemeinde sammelten die Überreste der Kultgegenstände tags darauf ein und vergruben sie auf dem jüdischen Friedhof. Heute dient das mehrfach umgebaute Gebäude in der Weilburger Straße 73 als Wohn- und Geschäftshaus, nur eine Gedenktafel aus Villmarer Marmor erinnert an die frühere Nutzung als Synagoge.7

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Ein rituelles Frauenbad befand sich seit etwa 1846 im Keller der Villmarer Synagoge in der Weilburger Straße; näheres zu dieser Anlage ist nicht überliefert.8

Schule

Schon in den Sendgerichtsakten von 1739 wird ein jüdischer Religionslehrer in Villmar erwähnt. Bis 1841 bestellte die Kultusgemeinde nach Bedarf eigene Lehrkräfte, dann schloss sie sich zeitweilig mit der jüdischen Gemeinde Runkel zusammen und nahm Isaac Löwenberg als Lehrer an. Er versah diesen Dienst bis 1848, als er nach Amerika auswanderte. Zwischen 1852 und 1855 war ein anderer Lehrer Löwenberg von Schupbach in den Gemeinden Villmar, Münster und Weyer tätig. Ab 1856 gehörte auch Runkel wieder dem Schulverband an. Gemeinschaftlich wurde zunächst ein Vertrag mit Anselm Rosenfeld geschlossen. Er erteilte den Unterricht für alle Kinder in dem Schullokal in der Synagoge in Villmar, nur in den Wintermonaten besuchte er teilweise auch die anderen Gemeinden und lehrte vor Ort. 1860 wurde Hirsch Laubheim aus Singhofen angestellt, 1864 Simon Ackermann. Auch wenn die Zahl der schulpflichtigen Kinder nach und nach zurückging – 1924 waren es nur noch fünf – wurde der Religionsunterricht in Villmar bis Anfang der 1930er Jahre fortgesetzt, zuletzt war hier Siegmund Bravmann aus Weilburg tätig.9

Cemetery

Die Juden aus Villmar und Aumenau verfügten nachweislich schon um 1800 über eine Begräbnisstätte in der Gemarkung Arfurt, die bis ins 20. Jahrhundert genutzt wurde. Auf dem mehr als 1.399 Quadratmeter großen Gelände, außerhalb des Ortes am Waldrand gelegen, befinden sich heute noch 51 Grabsteine. Der älteste datiert von 1813, der jüngste von 1927.10 Seit 1905 bemühte sich die Kultusgemeinde um die Anlegung eines neuen jüdischen Friedhofs in Villmarer Gemarkung, was die Zivilgemeinde aber jahrelang verweigerte. Erst 1927 erhielten die Juden die entsprechende Genehmigung und begründeten einen 943 Quadratmeter umfassenden Totenhof an der Ecke Weilburger Straße/Struther Weg. Die erste Beisetzung erfolgte dort 1934, die letzte im Januar 1939. Zwei auf dem Arfurter Friedhof beerdigte Angehörige eines 1938 in die USA ausgewanderten Gemeindemitglieds wurden auf dessen Wunsch 1960 nach Villmar umgebettet. Am Eingang zu der Begräbnisstätte, die heute von der Zivilgemeinde in Stand gehalten wird, ist eine Gedenktafel zur Erinnerung an die in der NS-Zeit ermordeten Juden aus Villmar angebracht.11

Villmar, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Arfurt, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. May: Territorialgeschichte des Oberlahnkreises, S. 39–50; Bleck: Abriss der Geschichte Villmars 1053–1565, S. 11–15; Bleck: Villmarer Vögte im 16. Jahrhundert, S. 32–35
  2. Aumüller: Zur Geschichte der Juden in Villmar, S. 79; Aumüller: Zur Geschichte der Villmarer Juden, S. 170; Streitsachen zwischen Christen und Juden und Gesuche der Juden in Villmar, 1637–1679, in: HHStAW 126, 413; Rechnungen der kurtrierischen Kellerei des Amtes Limburg, 1780 und 1800, in: HHStAW 115, 1527 und 1547
  3. Aumüller: Zur Geschichte der Juden in Villmar, S. 80; Aumüller: Zur Geschichte der Villmarer Juden, S. 170; Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 325
  4. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 325; Aumüller: Zur Geschichte der Villmarer Juden, S. 171–175; Aumüller: Zur Geschichte der Juden in Villmar, S. 84–89
  5. Aumüller: Zur Geschichte der Juden in Villmar, S. 90; Die israelitische Kultusgemeinde Villmar, 1821–1858, in: HHStAW 211, 11474
  6. Aumüller: Zur Geschichte der Juden in Villmar, S. 90; Die israelitische Kultusgemeinde Villmar, 1821–1858, in: HHStAW 211, 11474; Immobilien der jüdischen Gemeinde Villmar, in: HHStAW 362/25, Stockbuch Villmar, Bd. A7, Artikel 188; Entschädigung der jüdischen Gemeinde Villmar, 1960–1962 (fol. 28), in: HHStAW 518, 1273
  7. Aumüller: Zur Geschichte der Juden in Villmar, S. 90–93; Entschädigung der jüdischen Gemeinde Villmar, 1960–1962 (fol. 28), in: HHStAW 518, 1273
  8. Die israelitische Kultusgemeinde Villmar, 1821–1858, in: HHStAW 211, 11474
  9. Aumüller: Zur Geschichte der Juden in Villmar, S. 90; Kultusverhältnisse der Israeliten im Amt Runkel, 1841–1848, in: HHStAW 239, 216; Die Religionslehrerstelle für die israelitischen Kultusgemeinden Münster, Weyer, Villmar und Runkel, 1841–1860, in: HHStAW 211, 11468; Die israelitische Kultusgemeinde Villmar, 1821–1858, in: HHStAW 211, 11474; Die israelitische Kultusgemeinde Villmar, 1861–1886, in: HHStAW 405, 1540; Abschnitt „Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde“, Absatz 8, im Artikel „Villmar – Jüdische Geschichte/Synagoge“ auf http://www.alemannia-judaica.de/villmar_synagoge.htm
  10. Vgl. Arfurt, Jüdischer Friedhof in LAGIS (s. Link)
  11. Aumüller: Zur Geschichte der Juden in Villmar, S. 93–96; Der jüdische Friedhof in der Gemeinde Villmar, 1913–1937, in: HHStAW 412, 1386; Die israelitische Kultusgemeinde Villmar, 1895–1913, in: HHStAW 412, 145; Artikel „Villmar – Jüdischer Friedhof“ auf http://www.alemannia-judaica.de/villmar_friedhof.htm
Recommended Citation
„Villmar (Landkreis Limburg-Weilburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/68> (Stand: 12.7.2023)