Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Viernheim Karten-Symbol

Gemeinde Viernheim, Landkreis Bergstraße — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1657

Location

68519 Viernheim, Hügelstraße 5 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt I

religiöse Ausrichtung

liberal

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Als erster jüdischer Bewohner Viernheims wurde 1657 Sander als Hausbesitzer in einem Wehrbuch genannt. Er war der Sohn des Mannheimer Rabbiners Leser Levi und besaß gegenüber der Apostelkirche ein Haus, das über 300 Jahre in jüdischem Besitz stand. Wenig später taucht auch der Name „Josef“ auf, dessen Sohn Hirsch in unmittelbarer Nachbarschaft ein Haus neben der alten Apotheke Weitzel besaß.

1713 müssen schon mehrere Juden im Ort gelebt haben, denn eine Edikt befiehlt „sämtlichen Juden“1 nachts weder zu schlachten noch Viehbeschau zu halten. 1723 wurden namentlich genannt: Beeser Hirsch, David Sander, Moses, Lazarus Hirsch, Abraham Rauch, Isak Levi, Lazarus Löb, Amschel, Moses David und Lazar. Vermutlich hat sich etwa zu dieser Zeit eine Gemeinde konstituiert.

Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der jüdischen Einwohner auf 29 an, ihren zahlenmäßigen Höhepunkt erreichte die Gemeinde um das Jahr 1900 mit 143 Mitgliedern, was 2,2 % der damaligen Gesamtbevölkerung entsprach.2 Sie sank bis 1941 auf 21.

Kurz nach dem Bau der Synagoge 1827 entstanden der Brautausstattungsverein, ein Frauen- und ein Armenverein und die Wandererfürsorge.

1830 kam es erstmals zu Judenexzessen aufgrund von Schuldforderungen. Mehr als 30 Gewalttäter richteten an Eigentum von Juden und deren Häusern Schäden von teilweise 500 Gulden an. Die Untersuchungen zogen sich sehr lange hin, gelegentlich baten die Verurteilten auch um eine Verschiebung der Gefängnisstrafe. Als 1852 der bereits bestrafte Cornelius Hauptmann um Wiederherstellung seiner bürgerlichen Rechte bat, wurde dieses Gesuch vom Bürgermeister mit der Begründung unterstützt, Hauptmann genösse den besten Ruf und sei schon lange Mitglied im Gemeinderat.3

Als die Gemeinde 1868 darum bat, Gelände zum Anlegen eines eigenen Friedhofs erwerben zu dürfen, wurde dieser Antrag abgelehnt. Aus diesem Grund wurden die Verstorbenen weiterhin auf dem Zentralfriedhof in Hemsbach bestattet, der schon seit 1665 besteht.

Im Wirtschaftsleben Viernheims spielten Juden eine bedeutende Rolle. So gründete beispielsweise Isaak Weißmann im 19. Jahrhundert eine Zigarrenfabrik in der Schulstraße. Gemeinsam mit einer weiteren Zigarrenfabrik der Gebrüder Sternheimer beschäftigte man dort zeitweise über 300 Mitarbeiter.4 Überhaupt lag der Tabakhandel überwiegend in der Hand jüdischer Händler oder Makler.

1927 bestand die Gemeinde aus 27 Familien mit 100 Personen. Sie waren zum größten Teil Kaufleute, zum Teil auch Handel – oder Gewerbetreibende. Vor der Inflation gehörten sie zu den wohlhabenden Einwohnern Viernheims.

Wie in allen Gemeinden ging die Handelstätigkeit nach der Machtübernahme erheblich zurück oder kam sogar zum Erliegen. Nachdem schon zuvor einige jüdische Familien den Ort verlassen hatten, wohnten 1933 noch 83 Juden im Ort, am 1. September 1939 waren es noch 21. In der Pogromnacht überfielen die Brandstifter, die die Synagoge in Brand gesteckt hatten, auch private Wohnungen.

1942 wurden 21 Personen aus Viernheim deportiert. Am 24. September diesen Jahres meldete sich die Stadt „judenfrei“.5

Betsaal / Synagoge

Bis in die 1820er Jahre fand der jüdische Gottesdienst in dem Haus von Raphael statt, das von der Gemeinde unterhalten wurde. Weil das Gebäude einem anderen Zweck zugeführt werden sollte, beantragte die Gemeinde am 20. Dezember 1821 den Bau einer neuen Synagoge. Im Februar 1826 übergab der Kreisbaumeister die Pläne und bereits im März erwarb die Gemeinde ein Grundstück in der Hügelstraße, heute Nr. 5. Die eigentliche Synagoge war ohne Keller und Fundament 39 Schuh lang und 30 Schuh breit und sollte in Massivbauweise errichtet werden. Der Synagogenraum wurde überwölbt und mit einer Frauenempore versehen.6 Sie verfügte zwar über einen Anbau, über dessen Funktion sagt der Akkord aber nichts aus. Die Einweihung fand im August 1827 statt. Diese Jahreszahl stand auch in einer Inschrift über dem Eingang.

Mehrfache Renovierungen führten schließlich 1926 zu dem Plan, eine neue Synagoge zu errichten, der aber nicht realisiert wurde. Das zweistöckige, giebelständige Synagogengebäude hatte seit 1912 einen ebenfalls zweistöckigen, allerdings traufständigen Anbau, in dem sich die Dienstwohnung des Lehrers und das Gemeindebüro befanden.7

Die Synagoge und Anbau wurde in der Pogromnacht in Brand gesteckt, die Reste wenig später abgebrochen. Seit 1979 erinnert ein schlichter Gedenkstein am Ende der Hügelstraße an ihren Standort.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Eine Mikwe bestand in dem Haus von Isaak Kaufmann mit der heutigen Anschrift Mannheimer Straße 9. Sie wurde 1838 umgebaut. In den folgenden Jahren verfiel sie abermals und wurde1897 mit finanzieller Unterstützung des Lehrers Goldschmidt und des ehemaligen Rabbiners Dr. Rosenthal aus Mannheim wieder in Stand gesetzt.

Schule

Erste Nachrichten über eine Schule stammen aus dem Jahr um 1770, als in einem Schreiben erwähnt wird, dass sich in dem Privathaus des Raphael, in dem auch Gottesdienst gehalten wurde, eine Schule befand. Der angestellte Lehrer war nebenbei auch als Schächter tätig.8

Zeitweise wechselten die Lehrer mehrfach im Jahr. Sie beschwerten sich häufig über die Verpflegung, die sie bei den Eltern der Kinder einnehmen mussten. Zudem mussten sie vielfach im gleichen Raum schlafen und wohnen, in dem auch unterrichtet wurde.9 Die Zahl der Schüler lag im 19. Jahrhundert zumeist bei zwischen 20 und 30.

Cemetery

Die Verstorbenen der Gemeinde wurden auf dem Friedhof in Hemsbach bestattet.

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. Loew: Israelitische Religions-Gemeinde Viernheim, S. 9
  2. Mayr: Chronik der Stadt Viernheim, S. 38
  3. Zwölfhundert Jahre Viernheim 777–1977, S. 104
  4. Zwölfhundert Jahre Viernheim 777–1977, S. 105
  5. Alicke: Lexikon der jüdischen Gemeinden, Sp. 4224
  6. Loew: Israelitische Religions-Gemeinde Viernheim, S. 14
  7. HHStAW 518, 1385
  8. Zwölfhundert Jahre Viernheim 777–1977, S. 102
  9. Loew: Israelitische Religions-Gemeinde Viernheim, S. 16
Recommended Citation
„Viernheim (Landkreis Bergstraße)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/59> (Stand: 23.7.2022)