Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Vetzberg Karten-Symbol

Gemeinde Biebertal, Landkreis Gießen — Von Manfred Schmidt
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1462

Location

35444 Biebertal, Ortsteil Vetzberg, Mittelgasse 2 | → Lage anzeigen

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Im 13. Jahrhundert gehörte Vetzberg zum Herrschaftsgebiet der auf der Burg Gleiberg residierenden Herren von Merenberg als Nachfolger der Grafen von Gleiberg aus dem Hause Luxemburg. Seit 1333 war die Herrschaft Gleiberg durch einen Heiratsvertrag den Grafen von Nassau zugehörig. Um die Burg Vetzberg bildete sich im 14. Jahrhundert eine Ganerbengemeinschaft, die bis 1765 existierte.1 Sie erreichte eine weitgehende Unabhängigkeit von Gleiberg. Als Folge des Wiener Kongresses kam Vetzberg 1815/1816 an Preußen. Nach 1945 gelangte der preußische Kreis Wetzlar an das Bundesland Hessen.2

Erstmals lässt sich in Vetzberg 1462 ein Einwohner jüdischen Glaubens nachweisen, den die Vetzberger Baumeister und Ganerben aus Münzenberg angenommen hatten.3 Sowohl die Ganerbschaft insgesamt als auch einzelne Ganerbenfamilien nahmen jetzt, wie bei solchen Adelsherrschaften üblich, Juden in größerer Zahl in ihren Schutz auf. Im Zusammenhang mit dem Trienter Ritualmordprozess von 1475 wird ein weiterer Vetzberger Jude genannt.

Das Vetzberger Schatzungsregister von 1664 führt neben 18 Christen auch sieben Juden auf, ein vergleichsweise sehr großer Anteil von 28 Prozent an der Bevölkerung. Diese Juden waren ohne Grundbesitz, arbeiteten zeitweise als Metzger, ein Teil ging betteln.4 Einer der 1664 genannten Juden mit dem Namen Meyer wirkte als Arzt in Vetzberg. Dessen Sohn Löw Meyer (oft nur als Judendoktor bezeichnet) setzte die Arbeit seines Vaters fort.5 Löws vier Söhne studierten in Gießen Medizin: Gerson wurde Nachfolger seines Vaters in Vetzberg, Salomon wirkte als Arzt u. a. in Limburg, Bad Ems und Camberg, Hirz Leo wurde Arzt in Schweinsberg an der Ohm und Meyer arbeitete zunächst als Arzt in Gladenbach, eine kurze Zeit in Schweinsberg an der Ohm, dann in Metz, Limburg und ab 1721 in London, wo er ein berühmter Arzt wurde. Neben der patronymischen Namensform nutzten diese Brüder den Familiennamen Schamberg/Schomberg.6

Während in Vetzberg 1736 noch neben 27 christlichen Männern und einer christlichen Witwe sieben jüdische Männer und eine jüdische Witwe wohnten,7 reduzierte sich der Anteil der jüdischen Bevölkerung im 19. Jahrhundert auf drei bis vier Familien, deren wirtschaftliche Grundlage der Handel und die Schlachterei bildete. Ab 1893 gab es in Vetzberg nur noch eine jüdische Familie, die im April 1908 nach Gießen zog.

Vetzberg war Sitz einer Synagogengemeinde, zu der zeitweise Krofdorf, Gleiberg, Atzbach, Wißmar und das hessische Rodheim gehörten. Die Vetzberger Gemeinde blieb auch nach dem am 3. Oktober 1892 erfolgten Verkauf der Synagoge an eine christliche Familie noch bestehen, obwohl die meisten jüdischen Familien bis dahin weggezogen waren (nach Rodheim und Gießen).8

Betsaal / Synagoge

Seit 1764 ist für Vetzberg eine Synagoge, manchmal auch Judenschule genannt, im Haus Mittelgasse 2 sicher belegt. Die Synagoge mit der Thora und dem anderen Inventar war 1824 im Besitz des Liebmann Baer. Der Synagogenraum war 14 Fuß lang, 12 Fuß breit und 8 Fuß hoch und bot für 20 bis 25 Männer Platz. Die Frauen hatten ihren Platz vor der Tür auf dem Gang.9

Das Holz dieses Fachwerkhauses wurde nach einer dendrochronologischen Untersuchung im Winter 1695/1696 gefällt und vermutlich 1696 von dem jüdischen Arzt Löw Meyer, dem sogenannten Judendoktor, verbaut. Das Baugrundstück – bis dahin ein Garten – hatten ihm unter den Vetzberger Ganerben Conrad Ulman Böcklin von Böcklinsau und dessen Ehefrau Sabina Maria geb. von Buseck am 22. Juli 1695 gegen die jährliche Abgabe einer Gans und eines Huhns, oder stattdessen 21 Albus an Geld, in Erbleihe überlassen. Die Pachturkunde ist im Original erhalten und trägt neben Unterschrift und Siegel des Adeligen auch die Unterschrift und das Siegel des Juden Löw.10 Vermutlich richtete die Familie Löw in diesem Haus schon damals eine Synagoge bzw. einen Betraum ein.11

Laut einer Jahresrechnung der Vetzberger jüdischen Gemeinde von 1831 wurden Geld- und Wachseinnahmen von 20 „großjährigen“ Juden eingenommen, die sich den Ortschaften Vetzberg (5), Atzbach (2), Krofdorf (1) und schließlich Rodheim (12) zuordnen lassen. In der Rechnung erscheinen Ausgaben für Reparaturen, Lichter, sowie Kosten für den Lehrer (für das Lesen in der Tora) und den Vorsänger mit seinem Sohn.12 Im Dezember 1834 gehörten 19 Personen aus Krofdorf und Vetzberg zur Synagogengemeinde Vetzberg; hinzu kamen noch die Juden aus Rodheim. Wenige Monate zuvor hatten die Atzbacher Juden unerlaubt eine eigene, 30 Seelen umfassende Gemeinde gegründet, die endgültige Genehmigung dazu aber erst 1844 erhalten.13

1838 versuchte der Großherzoglich Hessische Kreisrat in Gießen, die in den beiden hessischen Dörfern Rodheim und Heuchelheim lebenden Juden zu einer Gemeinde zusammenzuführen. Heuchelheim bat - wie bisher - bei der Gießener Gemeinde und Rodheim bei der Vetzberger Gemeinde bleiben zu dürfen.14

Der letzte jüdische Besitzer der Synagoge– Hirsch Bär – verkaufte dieses Haus am 3. Oktober 1892 an Christian Weil I. Der christliche Bürger Weil vermietete „... dem Hirsch Bär und dessen Erben auf unbeschränkte und unkündbare Zeit den ganzen zweiten Stock (= Synagogen Vorräume und beide Zimmer) für 60 Mark jährlich. Bär behielt sich den unbeschränkten Zugang aller Gemeindeglieder zur Synagoge vor. Außerdem blieben sämtliche in die Synagoge gehörigen Utensilien Eigentum der Gemeinde. Der Käufer Christian Weil verpflichtete sich auch, während des Gottesdienstes für Ruhe im Haus zu sorgen.15 Vermutlich gab man die Synagoge nach 1897 auf, nachdem in Rodheim eine neue Synagoge gebaut worden war.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Eine Mikwe ist für Vetzberg nicht schriftlich belegt. In der Synagoge befanden sich früher im Kellergewölbe zwei inzwischen zugeschüttete Brunnen bzw. Wasserlöcher, die vermutlich zur rituellen Reinigung benutzt wurden.

Cemetery

Die Einrichtung des Vetzberger Friedhofes in der heutigen Hainstraße war am 11. Mai 1671 zwischen den Ganerben Conrad Ulman Böcklin von Böcklinsau und dessen Ehefrau Sabina Maria geb. von Buseck einerseits und sieben Vetzberger Juden andererseits pachtweise – und zwar „nun undt zu ewigen tagen“ – vereinbart worden. Es handelt sich bei den Adeligen um dieselben Personen, die 24 Jahre später den Bauplatz für die künftige Synagoge bereitgestellt hatten. Die Originalurkunde zur Verpachtung des Friedhofsgrundstücks trägt die eigenhändigen Unterschriften von sieben Vetzberger Juden in hebräischer Schrift.16 Danach hatte als Pacht der jüdische Gemeindevorsteher jährlich am 24. Juni (Johannestag) einen drei Pfund schweren Zuckerhut von bester Qualität zu liefern. Zudem hatte jede jüdische Familie pro Jahr einen Geldbetrag in Höhe von sechs Albus oder stattdessen zwei junge Hähne zu geben. Weil der Friedhof in der Mitte des 19. Jahrhunderts voll belegt war, wurde 1853 das südlich angrenzende Grundstück zur Erweiterung angekauft.17 Auf dem Friedhof fanden neben den Juden aus Vetzberg auch jene aus Krofdorf und Wißmar ihre letzte Ruhe. Ausnahmsweise wurde dort 1894 zudem eine Rodheimerin bestattet, deren Ehemann aus Vetzberg stammte. Die letzte Beerdigung fand nach der erhaltenen Grabinschrift im Jahr 1918 statt.

Bei den Pogromen 1938 sollen „Schulkinder“ sämtliche Grabsteine umgeworfen haben. Bald nach dem Krieg zeigte sich ein Nachfahre der Familie Bär, der den Friedhof von früher kannte – seine Schwiegermutter hatte ihn bis 1936 gepflegt - und jetzt wieder mehrfach besuchte, über den Zustand empört und verlangte eine Instandsetzung.18 Faktisch erfolgte eine Neuordnung der zumeist liegenden Grabsteine vorerst nicht.

Wie viele Steine und zu welcher Zeit von dem einst voll belegten Friedhof in Verlust geraten sind, ist unbekannt. Heute sind nur noch 18 Grabsteine von Juden aus Vetzberg und Krofdorf erhalten, die 2009 gereinigt und neu aufgestellt wurden. Sie stehen am Friedhofsrand, während der überwiegende Teil des 835 Quadratmeter großen Friedhofs als Rasenfläche keine Steine mehr aufweist. Der älteste Stein stammt von 1737, der jüngste von 1918. Die Grabsteininschriften wurden von der „Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen“ dokumentiert, die Ergebnisse sind in LAGIS eingestellt und dort einsehbar.

Vetzberg, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Vetzberg, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. Leib, Jürgen: Ganerbschaft. In: Vetzberg im Wandel der Zeit, S. 18 ff.
  2. Leib, Jürgen: Verwaltungspolitische Strukturen. In: Vetzberg im Wandel der Zeit, S. 74-76
  3. Hierzu und im Folgenden siehe Schmidt, Manfred: Jüdische Gemeinde. In: Vetzberg im Wandel der Zeit, S. 142 ff.
  4. Schmidt, Manfred: Dorf- und Familiennamen. In: Vetzberg im Wandel der Zeit, S. 142 ff.
  5. HHStAW 150, 4486
  6. Schmidt, Manfred: Jüdische Gemeinde. In: Vetzberg im Wandel der Zeit, S. 142 ff.
  7. HHStAW 150, 4491
  8. Grundbuchamt Gießen, Grundakte Nr. 118 für Vetzberg
  9. HHStAW 424, 1050
  10. HHStAW 166/67, U 173
  11. HHStAW 150, 4486
  12. HHStAW 424, 1050
  13. HHStAW 424, 1050
  14. Schmidt, Manfred: Jüdische Gemeinde. In: Vetzberg im Wandel der Zeit, S. 147
  15. Grundbuchamt Gießen, Grundakte Nr. 118 für Vetzberg
  16. HHStAW 166/67, 3368
  17. Schmidt, Manfred: Jüdische Gemeinde. In: Vetzberg im Wandel der Zeit, S. 144 f.
  18. HHStAW 663, 111; vgl. auch 663, 98 und 519/2, 159
Recommended Citation
„Vetzberg (Landkreis Gießen)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/394> (Stand: 29.11.2022)