Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

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5326 Tann
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Kartenangebot der Landesvermessung

Tann (Rhön) Karten-Symbol

Gemeinde Tann (Rhön), Landkreis Fulda — Von Michael Imhof
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

17. Jahrhundert

Location

36142 Tann (Rhön), Heiligengasse / Kleine Marktstraße | → Lage anzeigen

Rabbinat

Gersfeld (bis 1892); Fulda (ab 1892)

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Der Ritterschaft Tann in der Rhön war es über einen langen Prozess der Autonomieentwicklung gelungen, sich im „Buchischen Rezess“ von 1656, dem „Würzburger Vergleich“, aus dem Verband der Fürstabtei Fulda zu lösen. Als jetzt „reichsunmittelbare Ritter“ stand ihnen das „jus recipiendi judaeos“ zu, das Recht Juden aufzunehmen.1

Erste Erwähnungen finden Juden aus Tann in der Vereinbarung der ritterschaftlichen Landesherren in der Rhön über die Aufteilung des von den Juden jährlich zu zahlenden Schutzgeldes.2 Auch in der Stadtordnung von Tann aus dem Jahre 1688 werden Juden als Teil des städtischen Geschehens mehrfach genannt. Dabei wurde betont, dass die Vorschriften für alle Händler gleich gelten, „er wäre Christ oder Jud“.3 Ab 1692 liegen individuelle Bittschriften auf Niederlassung von Juden vor. Ihre Anzahl war von den Tanner Freiherrn auf höchstens zehn Familien begrenzt. Als Ausdruck ihrer Loyalität mussten sie seit 1695 den Tanner „Judeneid“ schwören.4 Die zahlreichen Einzelerlasse für das Alltagsleben und die Beziehungen zum Landesherrn wurde 1768 in einer eigenen Judenordnung zusammengefasst.5 Auch die Aufgaben des für den Kanton Rhön Werra eingesetzten Rabbiners Levi Victor waren in einer eigens für ihn verfassten Rabbinerordnung formuliert.6 Damit brachten die reichsunmittelbaren Ritterschaften ihre staatliche Eigenständigkeit auch auf diesem Gebiet gegenüber den sie umgebenden Landesfürsten zum Ausdruck.

In der von der kaiserlichen Verwaltung eingeforderten Übersicht von 1722 meldeten die Freiherren von der Tann sechs jüdische Familien mit 19 Personen. Angegeben waren die Namen des Familienvorstandes, der Ehefrau, der Kinder sowie von drei Mägden, ihr Alter und bei späteren Abfragen auch ihr geschätztes Vermögen. Für das Jahr 1730 waren fünf Familien mit 13 Mitgliedern (ohne Personal) genannt.7 Einigen gelang es, sich in Tann zu etablieren. 1711 ist im Bürgerbuch der Hauskauf durch zwei jüdische Familien vermerkt.8 Die anderen wohnten zur Miete. Dies blieb nach der Häuserliste von 1768 auch weiterhin unverändert.9 Ihren Unterhalt erwirtschafteten sie durch Kleinhandel. Dass Nathan Beifuß in den Jahren zwischen 1696 bis 1704 die Leipziger Messe besuchte, war eher die Ausnahme.10 Schon bald nach den ersten Niederlassungen kam es zu tätlichen Übergriffen der protestantischen Nachbarn und zu religiös motivierten Verunglimpfungen der „Sabbath-Mägde“ seitens der Pastorenschaft. Die Landeherren nahmen eine vermittelnde Rolle ein. Bei innerjüdischen Konflikten stabilisierten sie die Position des Gemeindevorstehers als ordnende Instanz.11

Allen jüdischen Händlern wurde erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts das Recht zugebilligt, an den Jahrmärkten teilzunehmen.12

Mit der Aufhebung der staatlichen Selbstständigkeit der Ritterschaften durch die Napoleonischen Reformen wurde die Freiherrschaft Tann in bayerische Staatsstrukturen eingegliedert. Zur Zeit des Großherzogtums Würzburg 1810 wohnten in Tann 14 jüdische Familien, die von „Handelsschaft“ lebten.13 Nach den staatlichen Neuordnungen des Wiener Kongresses und der Zugehörigkeit der Rhön zum Königreich Bayern galten die Regelungen des bayerischen Judenedikts, das aus einem sehr eingeschränkten Bürgerrecht bestand. Voraussetzung war die Annahme deutscher Nachnamen. Die Zahl der jüdischen Einwohner – festgeschrieben in einer Matrikelliste - wurde auf die bereits ansässigen 17 Familien mit 81 Mitgliedern beschränkt. Um das Bürgerrecht zu erhalten, z.B. für den ältesten der heranwachsenden Söhne oder Zuziehende, musste eine Matrikelstelle frei werden – in der Regel durch Tod eines Matrikelinhabers. Das Erlernen eines handwerklichen Berufs war eine weitere Voraussetzung. Bis 1843 hatte sich die Zahl der jüdischen Familien auf 23 Haushalte mit 100 Mitgliedern erhöht. Als Bereiche für die Erwerbstätigkeit waren neben Viehhandel und Handel nun auch Weberei, Tuchmacherei und Kürschnerei genannt.14

Nach dem „Hausnummernverzeichnis“ von 1820 verfügten 11 der 17 in der Matrikelliste aufgeführten jüdischen Familien über Hausbesitz. Das „Haussteuerkataster“ von 1852 weist

32 jüdische Haushalte mit Eigentum bzw. Miteigentum an Grundstücken aus.15

Bis 1871 wuchs die jüdische Gemeinde auf 133 Mitglieder (11,9 Prozent von insgesamt 1.116 Einwohnern), 1885 auf 140 Mitglieder (12,8 Prozent von 1.090 Einwohnern), 1895 auf 118 Mitglieder (11,2 Prozent von 1.052 Einwohnern), 1905 auf 98 Mitglieder (9,1 Prozent von 1.073 Einwohnern).16 Die rechtliche Gleichstellung durch die Reichsverfassung von 1871 befreite die jüdischen Bürger von den einschränkenden Gesetzen früherer Zeiten. Gewerbefreiheit und Mobilität führten mit der Übernahme bürgerlicher Rechte, Werte und Verhaltensweisen zu einem grundlegenden Wandel der Landjuden im sozialen Gefüge der ländlichen Städte und Gemeinden. Sie wurden zu einem Wegbereiter der Moderne. Wie kaum eine andere Bevölkerungsgruppe änderte sich ihr soziales und wirtschaftliches Profil. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebte die Mehrheit von ihnen noch in ärmlichen Verhältnissen. Wie die Steuerdaten aus Tann und Gersfeld zeigen, gehörte am Ende des Jahrhunderts die Mehrheit von ihnen zur Mittel- und Oberschicht.17

Die jüdische Gemeinde in Tann hatte im 19. Jahrhundert ein umfangreiches Vereinsleben entfaltet. Ihre Repräsentanten engagierten sich in der kommunalen Verwaltung.18

Im Ersten Weltkrieg wurden 21 Tanner Juden als Soldaten eingezogen. Fünf von ihnen starben im Krieg, vier stammten aus den Familien Freudenthal. Acht wurden mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet.19

In den Jahren der Weimarer Republik setzte die jüdische Gemeinde ihr Vereinswesen und ihr Engagement im sozialen und wirtschaftlichen Leben der Kommune fort.

1933 lebten noch 72 jüdische Personen in der Stadt (5,7 Prozent von 1.292 Einwohnern). In den folgenden Jahren verließ ein Teil der jüdischen Gemeindeglieder Tann auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und verstärkten Repressalien. 26 konnten sich ins Ausland retten. Ziel ihrer Flucht waren Nordamerika (14), Palästina (8) und England (4). Sechs Personen verstarben nach 1933 noch in Tann. Andere verzogen in Städte innerhalb Deutschlands, 21 von ihnen nach Frankfurt am Main. Von dort führte ihr Leidensweg zumeist in die Vernichtungslager. Von den 72 Juden, die 1933 noch in Tann lebten, wurden 44 in den Todeslagern der Nationalsozialisten ermordet.20

Zur Erinnerung an die Ermordeten wurde im November 2019 am Platz der ehemaligen Synagoge eine Gedenktafel mit den Namen der Opfer enthüllt.

Betsaal / Synagoge

Die jüdische Gemeinde in Tann verfügte zunächst über kein eigenes Synagogengebäude. Im 18. Jahrhundert fanden Gottesdienste und Religionsunterricht in der „Schul“, einem Privatgebäude statt.

Die Archivquellen geben Einblick in das innerjüdische Leben in Tann und das Bemühen, das Gemeindeleben im Sinne der jüdischen Religionsvorschriften zu gestalten. Darin zeigt sich, dass selbst die wenigen jüdischen Familien keine homogene Gruppe waren, sondern heterogene Züge aufwiesen. Dies nahm der langjährige Gemeindevorsteher Sandel Heilbronn im Jahre 1850 zum Anlass, eigens „Jüdischen Leges“ (Jüdische Gesetze) zu verfassen, die ein angemessenes Verhalten im religiösen wie sozialen Leben der Gemeinde vorgaben und Maßnahmen bei dessen Missachtung beinhalteten. So konnte Fehlverhalten während des Gottesdienstes, wie „zanken“, mit der Zahlung von bis zu einem Pfund Wachs bestraft werden. „Würden sich aber einige schlagen oder raufen“, habe eine Anzeige beim freiherrlichen Amt zu erfolgen. Ebenfalls wird angemahnt, die Fasttage durch mehrstündiges Beten in der „Schule“ einzuhalten. Ferner werden die Gemeindemitglieder angehalten, entsprechend der Religionsvorschriften, durchziehende Juden zu beherbergen oder auch die Zahlungen in die Almosenkasse zu leisten. Im Fall der Verweigerung waren Ersatzzahlungen vorgesehen, oder gar die Bestrafung mit dem „Bann“, dem zeitweisen Ausschluss aus dem Gemeindeleben. Sein Sohn Jakob Heilbrunn verstärkte nach seiner Wahl zum Vorsteher im Jahre 1787 die „Jüdischen Leges“ u.a. mit Geldstrafen beim Versäumen oder Stören des Gottesdienstes.21 Die Freiherren von der Tann unterstützten die Vorsteher in der Ausübung ihres Amtes, waren diese doch ein Ordnungselement in der Tanner Gesellschaft, das ihnen in der Judenordnung von 1768 ausdrücklich zugewiesen worden war.22 So beendeten sie eine Kontroverse mit dem „Schulmeister“ Nathan Seelig über dessen Unterricht im Jahre 1750 mit seiner Ausweisung aus dem freiherrlichen Gebiet.

Der jüdische Gemeindevorstand hatte 1800 den Bau einer eigenen Synagoge beschlossen. Der Landesherr Freiherr Friedrich von der Tann (1751-1810) unterstützte das Vorhaben der jüdischen Gemeinde, „ein Juden-Haus allhier zu kaufen und dieses zu ihrer künftigen Schule und Synagoge gebührend einrichten zu lassen“. Um die dazu notwendigen Mittel aufzubringen, stellten er der Gemeinde nicht nur ein „Kollekten-Patent“ aus, das die Spendeneinnahmen erlaubte, sondern warb in einem „offenen Sammlungsbrief“ für die Unterstützung. Im „Hausnummernverzeichnis mit Namen der Besitzer“ der Stadt Tann um 1820 ist unter Nr. 26 als Besitzer „Judenschaft“ in der „Oberen Mangstraße/Ecke Kantorgasse“ ausgewiesen. Nach den damaligen baulichen Vorschriften war nur christlichen Gotteshäusern ein solitärer Standort vorbehalten. Die Synagoge war in die Häuserflucht mit privaten Gebäuden eingepasst und trat äußerlich wenig in Erscheinung. Als Eckgebäude am oberen Eingang zur jüdischen Gasse aber hatte sie in Tann einen markanten Platz.23

Im Tanner Haussteuer- Kataster von1852 sind im Flurstück 192 mit der Hausnummer 162/163 unter „Judengemeinde“ „Schulhaus und Synagoge“ verzeichnet und die Nutzung des Gebäudes exakt beschrieben. Im unteren Stock befinden sich das Schulzimmer und die Lehrerwohnung, im oberen Stock die Synagoge und im Keller die „Badstube“, die Mikwe.24 Das religiöse Zentrum der jüdischen Gemeinde Tann ist Mittelpunkt des jüdischen Wohnbereichs zwischen Kantorgasse und Mangstraße und in der Verlängerung auf beiden Seiten des Steinwegs.

Am Montag, den 12. Mai 1879 verwüstete ein Stadtbrand große Teile der noch mittelalterlichen und aus der Frühen Neuzeit stammenden Bebauung Tanns. Der größte Teil der Gebäude auf der östlichen Seite der Hauptstraße „Steinweg“ wurde ein Opfer der Flammen. In einem Aufruf in „Der Israelit“ wird der Hergang geschildert: „Vormittags 10 Uhr entstand in einem Ökonomiegebäude dort Feuer, das in wenigen Stunden die Hälfte der Stadt, etwa 150 Gebäude in eine große Ruine verwandelte, da das verheerende Element, getragen durch einen heftigen Nordostwind, aller menschlichen Hilfe spottete. Besonders hart wurde bei dieser Katastrophe die israelitische Gemeinde betroffen; 16 jüdische Familien verloren ihre sämtliche Habe, weil Rettung derselben nicht zu erzielen war. Die Synagoge, die israelitische Schule und andere öffentliche städtische Gebäude sind vernichtet. Glücklicherweise sind sämtliche Thorarollen gerettet worden. Die Not und der Jammer, die gewöhnlichen Begleiter solcher Vorkommnisse, sind unbeschreiblich, da den meisten der Betroffenen alle nötigen Lebensbedürfnisse mangeln.“25

Wie die Thorarollen gerettet wurden, schildert Joseph Freudenthal in seinen Kindheitserinnerungen, die er später aus Israel in Familienbriefen verfasste: „Der größte Teil der Juden, die damals sich mit dem Vieh beschäftigten, befanden sich während des Brandes auf dem Viehmarkt. [...] Mein Großvater, der bei Ausbruch des Brandes in seiner Werkstatt (Gerberei Hirsch Freudenthal) arbeitete, eilte sofort zur Brandstätte. Die Synagoge stand bereits in Flammen. Es wird erzählt, dass er mit dem Rufe ,Schma Jisrael‘ (Höre, Israel) in die brennende Synagoge stürzte und noch zwei unversehrte Thorarollen herausbrachte – wie Moses aus dem brennenden und rauchenden Sinai die zwei steinernen Tafeln.“26

Folge des verheerenden Stadtbrandes war der Bau der neuen Synagoge, eines wahren Kleinods der ländlichen Synagogenarchitektur. Die Bauzeichnungen konnten bisher leider nicht gefunden werden.

In nur einem Jahr gelang es der jüdischen Gemeinde, auch durch Spendenaufkommen aus anderen Gemeinden in ganz Deutschland, eine neue Synagoge - jetzt als alleinstehendes Gebäude - zu errichten. (Anzeigen in „Der Israelit“ vom 14. u. 21. Mai 1879)27 Die Pläne für den Neubau im Stil des orientalischen Historismus mit zwei Türmen außen an der Frontseite hatte Architekt Tümmler entworfen. Im oblag auch die Bauaufsicht. Die Ausführung hatte Baumeister Ziller aus Helmershausen für ca. 22.000 Mark übernommen. Schon im darauffolgenden Jahr am 17. September 1880 fand die feierliche Einweihung statt. In der Schulchronik (1880), verfasst vom damaligen jüdischen Lehrer Levi Hecht, ist der Ablauf geschildert. Vertreter aller Vereine und Körperschaften der Stadt, der Kirchen und der Verwaltung, die Lehrer und Geistlichen sowie Freiherr Arthur von der Tann nahmen an der Feierlichkeit teil. Provinzialrabbiner Dr. Michael Cahn aus Fulda hielt die Einweihungsrede. Den liturgischen Teil leitete und gestaltete der Lehrer Levi Hecht.28

In der Katasterkarte der „Grundsteuerverwaltung“ Tann des Etatjahres 1887/88 ist erstmals die 1880 neu errichtete Synagoge an herausgehobener Stelle in dem Gesamtstadtplan dokumentiert.29 Die seit dem Brand neu bebauten Flächen sind in kräftigerer roter Farbe betont, so auch die Synagoge. Die protestantische Pfarrkirche ist noch in der Planung. Es ist die erste Karte nach der Brandkatastrophe, die das Ausmaß der Verheerung und des bereits erfolgten Wiederaufbaus kenntlich macht.

Ein Kartenblatt mit dem Datum 16. Juni (ohne Jahresangabe) zeigt in einem Ausschnittsegment den Vermessungsriss der Flurstücke des Tanner Viertels um die neu erbaute Synagoge. Neben dem Grundriss mit dem Aufmaß des Synagogengebäudes ist in einer separaten Risszeichnung die nach Osten in Richtung Jerusalem ausgerichtete Misrach (Opferwand) mit der Thoranische zu sehen. Darin ist die fein gegliederte Form der Apsis deutlich erkennbar.30

Ein späteres Foto lässt die kunstvolle Ausgestaltung des Synagogeninneren erahnen. In der Apsis erinnert der Thoraschrein in Form eines Portikus an einen antiken Tempeleingang. Beidseitige profilierte Pilaster mit Kapitellen tragen den aufgesetzten Giebel, vermutlich aus hellem Marmor. Über dem Schrein hängt das Ewige Licht als Zeichen der Verbindung Gottes mit den Menschen, Ner Tamid genannt. Die Apsis wird von Säulen mit korinthischen Kapitellen flankiert, die den Rundbogen zum Synagogenraum hin tragen. Der profiliert anmutende Bogen ist zu den Gläubigen hin mit religiösen Texten beschriftet. Das Foto zeigt weitere tragende Säulen, möglicherweise an die Wand angelehnt, die die Wirkung der Bogenstruktur in den Besucherraum verlängern. Die Bogenflächen sind mit vermutlich symbolhafter Ornamentik ausgeschmückt. Von der Decke hängende Leuchter erhellen den Innenraum. Rechts von dem Thoraschrein befindet sich die Tafel mit den Namen der im Ersten Weltkrieg gefallenen Tanner Juden.

Im November 1938 wurde auch die Synagoge in Tann Opfer des antisemitischen Terrors. Gegen Abend des 9. Novembers zogen auswärtige SA-Gruppen gemeinsam mit Tanner SA-Leuten unter Führung des Tanner Bürgermeisters und Ortsgruppenführers Bott durch die Straßen von Tann, brachen in die Wohnungen von Juden ein, zerschlugen das Inventar, verprügelten die jüdischen Männer und trieben sie in einem Keller zusammen. Nur Lehrer Okolica konnte durch glückliche Umstände entkommen und später noch ins Ausland fliehen.31 Danach richtete sich die Zerstörungswut gegen die Synagoge. Die Tür wurde aufgebrochen und Stroh herbeigeschafft, um das Gotteshaus in Brand zu setzen. Die Gefahr eines Übergreifens des Feuers auf Nachbarhäuser verhinderte jedoch, dass Feuer wirklich gelegt wurde und die Synagoge in Flammen aufging. Der NS-Mob zertrümmerte die Inneneinrichtung und Teile des Daches. Die Heilige Lade, die Thorarollen und Gebetbücher wurden auf die Straße geworfen. Eine Thora wurde im Straßendreck die kleine Gasse in Richtung Pfarrkirche hinabgerollt.32

Der Antrag des NS-Bürgermeisters Bott, die noch bestehenden Reste der Synagoge als Turmhalle und Versammlungslokal und Kino umzubauen, wurde von dem NS-Landrat Hans Burkhardt abgelehnt, stattdessen der Abriss angeordnet. Über die Ereignisse der Pogromnacht in Tann wurde weder ein polizeilicher Bericht angefertigt noch fand nach 1945 eine gerichtliche Aufarbeitung statt.33

Am Ort der ehemaligen Synagoge wurde 1991 auf Initiative ehemaliger Tanner Juden eine Stätte des Erinnerns und Mahnens geschaffen. Der bis zu seinem 15. Lebensjahr in Tann lebende Kurt Jüngster aus Tel Aviv hatte den Marmorquader in Israel anfertigen lassen. Der Stein trägt die Aufschrift „Zum Gedenken an unsere verfolgten, vertriebenen und ermordeten jüdischen Mitbürger“. Aus Psalm 74,2 auf Deutsch und Hebräisch "Gott gedenke an deine Gemeinde, die du vor Zeiten erworben hast.“ Im November 2018 wurde dort auch eine Tafel mit den Namen der ermordeten Juden aus Tann angebracht. Im Tanner Tor wird auf Infotafeln über die Geschichte der Juden in Tann berichtet.

Weitere Einrichtungen

Schule

Eine jüdische Schule für den Religionsunterricht ist für Tann bereits 1743 urkundlich ebenso der Name des damaligen Lehrers Nathan Seelig.34 Der Unterricht im Cheder fand wie auch der Gottesdienst in Privaträumen statt. 1800 wurde von der Tanner Judenschaft ein eigenes Synagogengebäude errichtet, in dem sich auch der Schulraum befand. Im „Hausnummernverzeichnis“ um 1820 ist das Gebäude mit der Nr. 26 ausgewiesen.35 1833 wird in einer „Grundschulstatistik der Volksschulen“ über die „Israelitische Religionsschule“ vermerkt, ihr „Sitz ist zu Tann im Synagogengebäude, in der oberen Manggasse“. Dieser Ort ist auch im Kataster der Stadt Tann von 1852 für das „Schulzimmer“ und die Lehrerwohnung ausgewiesen. 1833 erhielten dort 22 jüdische Kinder, davon 15 Knaben und sieben Mädchen, Religionsunterricht.36 Für die weiteren Fächer besuchten sie die öffentliche Schule. Der Schulbesuch war verpflichtend vom sechsten bis zum zwölften Lebensjahr. Danach mussten sie bis zum 18. Lebensjahr am Samstag die „Sabbatschule“ besuchen. Ihr Lehrer war zunächst Michael Wolf (1812-1813), sein Nachfolger Isaak Jacob. Ihm folgte Michael Goldberg (1830-1872). Um das von der bayerischen Regierung vorgeschriebene Gehalt aufzubringen, übernahmen die Lehrer neben dem Religionsunterricht weitere Aufgaben im Synagogendienst wie auch das Amt des rituellen Schächters. Den Schritt zur eigenständigen jüdischen Volksschule vollzog die Gemeinde in Tann im Jahre 1869.37

Nach dem Stadtbrand von 1879, in dem das Gebäude mit Synagogenraum, Schulzimmer und Lehrerwohnung zerstört worden war, wurde die jüdische Schule in dem bereits erworbenen Haus Nr. 2 Marktplatz (neben dem Elf-Apostelhaus) eingerichtet. Aufgrund der nicht ausreichenden Öfen und weiterer Ausstattungs- wie baulicher Mängel wurden nach der Jahrhundertwende Instandsetzungsmaßnahmen notwendig.38 Die Lehrer nach dem Umzug waren Leopold (Levi) Hecht (1872-1921), Sebald Müller (1921-1931) und Samuel van der Walde (1931-1933). Die Schule bestand bis 1933. Aufgrund des Verbots jüdischer Schulen konnte sie in der NS-Zeit nur noch als Religionsschule weitergeführt werden.

Cemetery

Seit 1735 bestatteten die Juden von Tann ihre Toten auf dem jüdischen Friedhof nördlich der Stadt in steiler Hanglage. Als Pachtgeld hatte die jüdische Gemeinde alle zehn Jahre 1 Gulden, 33 Kreuzer und 3 Pfennige zu zahlen.39 Der älteste Grabstein datiert von 1741 für Frau Süß, der Ehefrau des Hirsch. In der reichsritterschaftlichen Zeit wurden 13 Tote bestattet, im 19. Jahrhundert 78 und im 20. Jahrhundert 50 Verstorbene beigesetzt.40 In den Tagen der Novemberpogrome 1938 wurde auch der jüdische Friedhof in Tann geschändet und verwüstet.

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Grabstätten

Tann (Rhön), Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Levi Victor · Tann, Freiherren von der · Nathan Beifuß · Heilbronn, Sandel · Heilbrunn, Jakob · Nathan Seelig · Tann, Friedrich Freiherr von der · Freudenthal, Joseph · Freudenthal, Hirsch · Tümmler, Architekt · Ziller, Baumeister · Hecht, Levi · Tann, Arthur Freiherr von der · Cahn, Michael, Dr. · Bott, Bürgermeister · Okolica, Lehrer · Burkhardt, Hans · Jüngster, Kurt · Wolf, Michael · Jacob, Isaak · Goldberg, Michael · Hecht, Leopold · Müller, Sebald · Walde, Samuel van der · Süß, Ehefrau des Hirsch

Places

Gersfeld · Nordamerika · Palästina · England · Frankfurt am Main · Israel · Helmershausen · Fulda · Tel Aviv

Sachbegriffe Geschichte

Buchischer Rezess · Würzburger Vergleich · Schutzgelder · Stadtordnungen · Judeneide · Judenordnungen · Rabbinerordnungen · Leipziger Messe · Würzburg, Großherzogtum · Wiener Kongress · Bayern, Königreich · Judenedikte · Reichsverfassung von 1871 · Landjuden · Erster Weltkrieg · Eisernes Kreuz · Weimarer Republik · Stadtbrände · Historismus · SA · Novemberpogrome

Sachbegriffe Ausstattung

Thorarollen · Thoraschreine · Ewige Lichter, Ner Tamid · Leuchter · Heilige Laden · Gebetbücher · Marmor ·

Sachbegriffe Architektur

Türme · Apsiden · Portikus · Pilaster · Kapitelle · Giebel · Säulen · Rundbögen · Bogenflächen · Ornamentik ·

Fußnoten
  1. Imhof, Juden in der Rhön, S. 16
  2. Imhof, Juden in der Rhön, S. 32-33
  3. StadtA Tann Abt. IV, Abs. 1; Imhof, Juden in der Rhön, S. 66
  4. Imhof, Juden in der Rhön, S. 22-27
  5. Imhof, Juden in der Rhön, S. 27-30
  6. Imhof, Juden in der Rhön, S. 30/31
  7. Imhof, Juden in der Rhön, S. 38/39
  8. Imhof, Juden in der Rhön, S. 67
  9. Imhof, Juden in der Rhön, S. 68
  10. Imhof, Juden in der Rhön, S. 67
  11. Imhof, Juden in der Rhön, S. 85
  12. Imhof, Juden in der Rhön, S. 75-79
  13. Imhof, Juden in der Rhön, S. 17
  14. Imhof, Juden in der Rhön, S. 229
  15. Imhof, Juden in der Rhön, S. 254/255
  16. Ortsartikel Tann auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  17. Mehler, Richard, Die Entstehung eines Bürgertums unter den Landjuden in der bayerischen Rhön vor dem Ersten Weltkrieg, in: Gotzmann, Andreas/Liedtke, Rainer/van Rahden, Till (Hrsg.): Juden, Bürger, Deutsche: Zur Geschichte von Vielfalt und Differenz 1800–1933. Tübingen 2001, S. 193–216, 204 u. 206; Imhof, Juden in der Rhön, S. 278
  18. Imhof, Juden in der Rhön, S. 280-281
  19. Imhof, Juden in der Rhön, S. 349-350
  20. Imhof, Juden in der Rhön, S. 390-394
  21. Imhof, Juden in der Rhön, S. 88
  22. Imhof, Juden in der Rhön, S. 29-30
  23. Imhof, Juden in der Rhön, S. 89; HStAM Kat. I, Tann B 1-2, Lagerbuch/911
  24. Imhof, Juden in der Rhön, S. 203; HStAM Kat. I, Tann C 9
  25. Der Israelit vom 14.5.1779 (s. Weblink)
  26. Familienarchiv Bastiaan van der Velden, Niederlande, in Auszügen in Imhof; Juden in der Rhön, S. 298
  27. Anzeigen in „Der Israelit“ vom 14. und 21. Mai 1879 (s. Weblink)
  28. Hohmann, Schulchronik, S. 10
  29. HStAM Karten, P II 7284; Imhof, Juden in der Rhön, S. 298
  30. Amt für Bodenmanagement Fulda, Vermessungsriss
  31. Hohmann, Schulchronik, S. 133-135
  32. Interview mit dem Zeitzeugen Karl Otto Rommel, der die Pogromnacht als 9jähriger erlebte. Rommel, Erinnerungen, Jahresheft
  33. StadtA Tann, Abt. XIII, Abs. 1, Konv. 1, Fasc. 10; Imhof, Juden in der Rhön, S. 381-382
  34. HStAM 340 von der Tann - Samtbau, 1763; Imhof, Juden in der Rhön, S. 86
  35. Eintrag „Judenschaft“, Nr. 26 im „Hausnummernverzeichnis mit Namen der Besitzer“ um 1820. HStAM Kat. I, Tann B 1-2, Lagerbuch/911; Imhof, Juden in der Rhön, S. 89
  36. StadtA Tann Abt. XIV, Abs. 2; Imhof, Juden in der Rhön, S. 188
  37. Imhof, Juden in der Rhön, S. 185-197
  38. Hohmann, Schulchronik, S. 182-183
  39. StadtA Tann Abt. IV, Abs. 1, Konv. 1, Fasc. 1: Bürgerbuch der Stadt Tann, Stadtchronik, 1770; Imhof, Juden in der Rhön, S. 92
  40. Imhof, Juden in der Rhön, S. 92, 203, 307; Grabstätten des jüdischen Friedhofs Tann s. Link oben
Recommended Citation
„Tann (Rhön) (Landkreis Fulda)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/219> (Stand: 23.7.2022)