Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Seeheim Karten-Symbol

Gemeinde Seeheim-Jugenheim, Landkreis Darmstadt-Dieburg — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1699

Location

64342 Seeheim-Jugenheim, Ortsteil Seeheim, Schlossstraße 24 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Seeheim gehörte seit dem 16. Jahrhundert zur Herrschaft Erbach, die es 1714 an die Landgrafen von Hessen verkaufte.

Entsprechend der erbachischen Politik ließen sich mit 1699 erst vergleichsweise spät zwei jüdische Familien im Ort nieder. Ihre Zahl stieg im Laufe des 18. Jahrhunderts nur langsam an, sie lag 1704 bei zehn Personen, 1774 bei 20. 1861 erreichte sie mit 78 ihren höchsten Stand. Sank sie danach langsam wieder auf 50 im Jahre 1890, so lag sie 1900 kurzfristig bei 62. 1933 lebten 19 Juden im Ort, 1939 waren es noch 3.1

Die Zahl jüdischer Einwohner, die zunächst zur Gemeinde Alsbach gehörten, war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts so weit angestiegen, dass bereits in den 1820er Jahren in einem angemieteten Betsaal Gottesdienst gefeiert wurde. Da dies gegen geltendes Recht verstieß, wurde 1833 der Raum auf Anordnung des Hessischen Kreisrats geschlossen und versiegelt. 1834 drohte man dem Vorsteher Michel Feitler sogar eine Strafe in Höhe von fünf Gulden an, sollte er weiterhin am Sabbat und den Feiertagen Gottesdienst abhalten. 1835 wurden erstmals Anträge gestellt, eine eigene Gemeinde zu gründen. Dazu kam es aber erst 1852.2

Zu dieser Zeit gehörte die Gemeinde offiziell zum Rabbinat des Darmstädter Rabbiners Dr. Julius Landsberger. Dessen Einstellung galt aber als zu liberal, so dass man versuchte, die Einweihungspredigt in der neuen Synagoge durch den Mainzer Rabbiner Dr. Lehmann halten zu lassen, was aber unterbunden wurde. Um zu vermeiden, dass doch Landsberger predigte, ließ man den orthodoxen Joseph Seidel aus Pfungstadt die Weihe vollziehen.3

Auch in Seeheim lebte die überwiegende Mehrzahl der jüdischen Einwohner vom Handel.

In der zweiten Hälfte des 19. und dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts waren auch viele Juden integraler Bestandteil der sozialen Gemeinde Seeheim. So war Dr. Mayer zeitweise Gemeindevertreter, Vorstandmitglied der SPD und Förderer des Kraftsports. Hermann Frank initiierte den Bau des ersten Sportplatzes im Ort. Andere waren Mitglied im Stenografenverein, im Kraftsportverein, Odenwaldklub oder Verschönerungsverein. Von den Teilnehmern am Ersten Weltkrieg fiel Siegmund Feitler.

Aufgrund zunehmender Entrechtung und Repressalien verließen nach 1933 viele Juden den Ort. Am Morgen nach der Pogromnacht wurden auch jüdische Geschäfte und Wohnungen überfallen, Inneneinrichtung zerstört und geplündert.

14 Personen wurden im Holocaust ermordet.

1925 ließ Dr. jur. Robert Mayer im Ober-Beerbacher Tal eine kleine Anlage zum Andenken an seine früh verstorbene Ehefrau einrichten. Nach dem Holocaust war sie 1960 eine der ersten Anlagen, die als Gedenkstätte diente. Der Stein der heutigen Dr. Arthur-Mayer-Ruhe trägt die Inschrift: „Wir gedenken seiner stellvertretend für alle Menschen, die aus polit., rass. oder relig. Gründen ihr Leben lassen mussten. Die Bürger der Gemeinde Seeheim.“

Seit 2013 werden in der Gemeinde Stolpersteine verlegt.

Auch in Jugenheim lebten Juden, ohne jedoch eine eigene Gemeinde zu bilden. 1806 waren es sieben. Ihre Zahl erreichte 1858 mit 15 ihren höchsten Stand, um anschließend auf vier im Jahr 1867 zu sinken. Um 1900 lag sie nochmal bei elf, 1933 abermals sieben.

Die wohl älteste Familie, die Familie Koppel, ist bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert in Jugenheim nachweisbar.4

Betsaal / Synagoge

Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde in einem angemieteten Raum Gottesdienst gefeiert. Die neu gegründete Gemeinde erwarb 1865 die Hofreite des nach Amerika ausgewanderten Peter Grund in der Bachgasse, heute Schlossstraße 24. Nach Abbruch der aufstehenden Gebäude entstanden Synagoge nebst Frauenbad, Schule und Lehrerwohnung. Am 15. Februar 1868 wurde zum ersten Mal Gottesdienst gefeiert.

Neben umfangreichen Geldspenden wurde von einigen Frauen ein Vorhang aus Samt für den Thoraschrein gestiftet, deren Namen in Goldlettern in hebräischer Schrift aufgestickt waren. Die in Texas lebenden Söhne von Abraham Feitler, Simon und Moses, schenkten eine runde Wanduhr, andere Mitglieder der Familie Feitler einen Kronleuchter aus Bronze. Zwei Armleuchter steuerten Feitel und Herz Heymann bei. Zudem wurde über dem Thoraschrein ein lackiertes Wappen mit dem Hessischen Löwen, ein Geschenk der Brüder Feitel und Moses Feitler, angebracht, das in hebräischen und deutschen Buchstaben den Spruch führte: „Er, der den Königen Sieg und Gewalt den Fürsten verleiht, sein Reich ist aller Welten Reich, der seinen Knecht David von der Bosheit Schwert gerettet, der durchs Meer durch mächtige Fluthen seinen Weg bahnt, er segne und behüte unseren Großherzog Ludwig III., ihn und sein ganzes fürstliches Haus, er bewahre ihn vor jedem Übel und beglückte ihn in allen seinen Wegen. Er, der Allbarmherzige, der König aller Könige, möge seinen Geist und den Geist seiner hohen Räthe und Beamten stets erleuchten, auf daß Recht und Wahrheit, Frieden und Wohlstand immer blühe in seinem Reich. In seinen und in unseren Tagen möge der Erlöser Zion kommen. Amen.“5

Die Synagoge war ein zweistöckiges, massives Gebäude über T-förmigem Grundriss mit drei Schildgiebeln. „Im Unter- und Obergeschoss tiefliegende große Fenster- und Türöffnungen mit flachen Karniesbögen und profilierten Steinumrandungen mit Sohlbänken aus rotem Sandstein. Die Traufseiten des Längsbaues haben Ecklisenen, die in dem Stichbogenfries mit gegliederten Sandsteinnasen des Hauptgesimses enden. Die Schildgiebel mit hohen Drempeln und stufenförmigem Abschluss haben schmale, kleine Öffnungen, mit rotem Sandstein umfasst, mit Ausnahme der südwestlichen Seite, wo über den getrennten Eingängen die Rundöffnung mit Rosette war. Zugang von der Straße aus über großen Vorhof.“6 Im Keller befand sich die Mikwe.

Nach dem Verkauf der Synagoge 1935 wurde die Inneneinrichtung nach Alsbach verbracht, wo sie in der Pogromnacht verbrannte.7 Einzig die Holztafel, die über der Thora angebracht war, wurde 1991 auf dem Dachboden der nun als Wohnhaus genutzten Synagoge wieder gefunden.

Nach Übergang in christlichen Besitz erfolgte der Umbau des Gebäudes in ein Wohnhaus.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

1717 zahlte Elias 15 Albus für die Erlaubnis, Wasser aus dem Bach in sein Haus zu leiten. Dies gilt als der älteste Hinweis auf eine Mikwe in Seeheim. Dieses Recht, das auf dem Haus Nr. 22, später Darmstädter Straße 22, ruhte, wurde erst 1811 abgelöst.8

1839 lag ausweislich des Brandkatasters eine Mikwe auf dem Grundstück Schlossstraße 10.9

Mit dem Bau der Synagoge 1867 in der Schlossstraße 24 wurde dort auch eine Mikwe eingerichtet.

Schule

Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigten die in Seeheim lebenden Juden einen eigenen Lehrer. Mit dem Bau der Synagoge 1867 wurde auch eine Schule eingerichtet.

Cemetery

Die Verstorbenen der Gemeinde Seeheim wurden auf dem Verbandsfriedhof in Alsbach beigesetzt. Dort haben sich 85 Grabstätten der Zeit von 1743 bis 1938 erhalten.10

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Hessen, Landgrafen von · Feitler, Michel · Landsberger, Julius · Lehmann, Dr. · Seidel, Joseph · Frank, Hermann · Feitler, Siegmund · Mayer, Robert · Mayer, Arthur · Koppel, Familie · Grund, Peter · Feitler, Abraham · Feitler, Simon · Feitler, Moses · Feitler, Familie · Heymann, Feitel · Heymann, Herz · Elias

Places

Alsbach · Darmstadt · Mainz · Pfungstadt · Seeheim, Stenografenverein · Seeheim, Kraftsportverein · Seeheim, Odenwaldclub · Seeheim, Verschönerungsverein · Ober-Beerbach · Jugenheim · Amerika · Texas

Sachbegriffe Geschichte

Erster Weltkrieg · Pogromnacht · Holocaust · Stolpersteine

Sachbegriffe Ausstattung

Vorhänge · Thoraschreine · Wanduhren · Kronleuchter · Kandelaber · Holztafeln

Sachbegriffe Architektur

Schildgiebel · Sohlbänke · Karniesbögen · Sandstein · Lisenen · Stichbogenfriese · Hauptgesimse · Drempel · Rosetten

Fußnoten
  1. Bertsch, 1992, 101.
  2. Bertsch, 1992, 102.
  3. Bertsch, 1992, 110.
  4. Bertsch, 1992, 202.
  5. zitiert nach Bertsch, 1992, 109.
  6. Altaras, 2007, 297.
  7. Heinemann, 2001, 92.
  8. Bertsch, 1992, 171.
  9. Lange, 1997, 79.
  10. Heinemann, 2001, 92.
Recommended Citation
„Seeheim (Landkreis Darmstadt-Dieburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/108> (Stand: 25.8.2022)