Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

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Herzogtum Nassau 1819 – 18. Runkel

Runkel Karten-Symbol

Gemeinde Runkel, Landkreis Limburg-Weilburg — Von Carina Schmidt
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1315

Location

65594 Runkel, Linsenberg 13 | → Lage anzeigen

preserved

nein

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Runkel wurde 1159 erstmals urkundlich erwähnt und blieb bis Ende des 19. Jahrhunderts im Besitz der Herren von Runkel bzw. der Grafen von Wied-Runkel. Der nördlich der Lahn gelegene Teil der Gemeinde wurde 1796 von französischen Revolutionstruppen besetzt und fiel 1806 an das Herzogtum Berg, der übrige Teil von Runkel ging an das Herzogtum Nassau. Schließlich wurde der gesamte Ort 1815 nassauisch und 1866 preußisch. Heute gehört die Stadt Runkel dem hessischen Landkreis Limburg-Weilburg an.1

Juden sind in Runkel bereits Anfang des 14. Jahrhunderts nachweisbar als Geldverleiher, in deren Schuld u.a. Hartrad von Merenberg stand. 1315 erhielten die Herren von Runkel das Recht zur Ansiedlung von vier jüdischen Familien in ihrem Territorium. Im Frankfurter Gerichtsbuch taucht 1340 der Jude Lybe von Runkel auf, er hatte dort ein Darlehen eintragen lassen. Außerdem wird 1349 der Jude Salomon Runkel, angesehener Talmudist und Freund des Mainzer Rabbiners Jakob Mölln, in den Quellen genannt, der in Mainz und Worms lehrte.2

Im 17. Jahrhundert waren erneut einzelne Juden in Runkel ansässig, so z.B. Jakob, dem 1637 ein Schutzbrief ausgestellt wurde. Zudem sind 1697 die Juden Mordechai und Aberle als Hausbesitzer in der Gemarkung verzeichnet.3 Die Entstehung der neuzeitlichen Kultusgemeinde geht ins 18. Jahrhundert zurück. 1775 existierte in Runkel bereits eine Judenschule, wahrscheinlich eine private Betstube. Vorsteher war damals Mordgen Meier, 1778 der Jude Saher und 1781 der Jude Bezaleel. Als Vorsänger ist 1778-1780 Usiel von Runkel belegt. Weitere namentlich bekannte Mitglieder der Gemeinde waren die Kaufleute Samuel und Gerson Mendel, die in den 1770er Jahren auf den Oster- und Herbstmessen in Frankfurt a.M. mit Waren handelten. Zwischen 1775 und 1783 sind zahlreiche Konflikte in der Gemeinde überliefert. Beschwerden gegen Vorsteher und Vorsänger waren ebenso häufig wie Streitigkeiten um den Kultus oder das Benehmen in der Synagoge.4

1811 zählte die jüdische Gemeinde 68 Männer, Frauen und Kinder. In den 1820er Jahren wurde ein Stallgebäude angekauft und zur Synagoge umgebaut. Diese blieb bis um die Jahrhundertwende das Kultuszentrum der Juden von Runkel und derjenigen aus den Filialorten Schadeck, Hofen und Ennerich. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging die Mitgliederzahl der Gemeinde zurück, nicht zuletzt, weil einige wohlhabende Mitglieder aus materiellen Gründen aus dem Kultusverband austraten oder abwanderten. 1905 lebten nur noch zehn Juden in Runkel, ihr Vorsteher war Isidor Goldschmidt. Bis 1909 löste sich die jüdische Gemeinde auf und die verbliebenen Familien besuchten ferner die Synagoge in Villmar. 1933 waren nur noch Isidor Goldschmidt und seine Ehefrau Jettchen mit den beiden Söhnen Max und Jakob in Runkel wohnhaft. Seinen Besitz in der Langgasse 28 veräußerte Goldschmidt 1938 und wanderte mit seiner Familie nach New York aus.5

Betsaal / Synagoge

Ein Betraum in Runkel ist bereits 1775 belegt. 1828 gab die Kultusgemeinde zu Protokoll, der Gottesdienste würde seit vielen Jahren in einem gemieteten Lokal in einem Privathaus abgehalten. Als der Besitzer das Mietverhältnis für den Saal, der ohnehin zu klein geworden war, aufkündigte, erwarb die Judenschaft 1826 einen alten Stall am Linsenberg. Dieser sollte zur Synagoge umgebaut werden. Da die Gemeinde zu diesem Zeitpunkt aber nur aus neun Familien bestand, die unvermögend oder gar bettelarm waren, ersuchten sie bei der Landesregierung um einen Zuschuss. Dieser wurde bewilligt, allerdings nur in Höhe von 50 Gulden, in Anbetracht der etwa 500 Gulden, die zur Realisierung des Bauprojektes angesetzt waren, ein kleiner Beitrag. Doch mittels eines 1929 aufgenommenen Darlehens von 300 Gulden von Christian Emelius, Schultheiß zu Neesbach, konnte die Synagoge errichtet werden. Die Schulden blieben aber jahrzehntelang auf dem Gebäude liegen, noch 1959 wurde die Anleihe durch einen Kredit von der Landesbank abgelöst.6

1837 plante die Gemeinde den Neubau einer Synagoge und bemühte sich nochmals um eine Beihilfe, diesmal erfolglos. Dennoch erwarben die Juden Samuel Moses, Moses Samuel, Samuel Isaac, Seligmann Isaac und Seligmann Isaac jun. von Runkel 1838 gemeinschaftlich ein Wohnhaus samt einem Stall mit Überbau in der Untergasse, möglicherweise in der Absicht, den Betraum dorthin zu verlegen. Aus ungeklärten Gründen veräußerten sie das Anwesen aber wenig später wieder. 1844 kaufte die Kultusgemeinde erneut ein Wohnhaus, zweistöckig, mit einer Grundfläche von knapp 180 Quadratmetern, gelegen vor dem Untertor. Ob dieses zeitweilig etwa als Synagoge und/oder als Schulhaus genutzt wurde, lässt sich nicht feststellen.7

Im Stockbuch der Gemarkung Runkel, das Anfang der 1850er Jahre angelegt wurde, ist als einzige Immobilie im Besitz der jüdischen Gemeinde das Anwesen am Linsenberg eingetragen. Dabei handelte es sich um ein zweistöckiges Gebäude von 11 Metern Länge und 10 Metern Tiefe; die Grundfläche betrug also rund 110 Quadratmeter.8 Um 1854 soll ein Gebäude oberhalb der Synagoge eingestürzt sein und diese dabei schwer beschädigt haben. Die Jahresrechnung der jüdischen Gemeinde von 1854 stützt diese Überlieferung: Der Rechner Samuel Nathan hat unter der Überschrift „Reparatur der Synagoge“ zahlreiche Ausgaben für Maurer-, Schlosser-, Schreiner- und Dachdeckerarbeiten vermerkt, insgesamt wurden dafür mehr als 112 Gulden aufgewendet. Auch in den Folgejahren ließ die Gemeinde regelmäßig kleinere Ausbesserungen vornehmen, zuletzt belegt sind 1865 Glaser- und Weißbinderarbeiten, die an dem Gebäude vorgenommen wurden.9

Anfang des 20. Jahrhunderts war die Synagoge so baufällig, dass die kleine jüdische Gemeinde, die ohnehin in Auflösung begriffen war, das Gebäude verkaufte. Für 320 Mark erwarb der Fabrikarbeiter Heinrich Freitag 1911 das Anwesen. Der Erlös sollte zur Unterhaltung des jüdischen Friedhofs verwendet werden, die Kultgegenstände wurden in die Synagoge in Villmar überführt. Das frühere Gotteshaus in Runkel wurde von dem Ehepaar Freitag 1913 umgebaut und 1923 erweitert. Schließlich wurde das Gebäude abgerissen und auf dem Grundstück am Linsenberg 13 ein neues Wohnhaus errichtet.10

Weitere Einrichtungen

Mikwe

In den Rechnungen der Kultusgemeinde taucht um die Mitte des 19. Jahrhunderts stets die Rubrik „Ausgaben zum Frauenbad“ auf, was darauf hindeutet, dass ein solches in Runkel vorhanden gewesen sein könnte. Allerdings werden an keiner Stelle Kosten für die Unterhaltung dieser Mikwe aufgeführt, auch gibt es in den Quellen keine weiteren Hinweise auf ein rituelles Tauchbad.11

Schule

Bis um 1840 bestellte die Kultusgemeinde stets einen eigenen Religionslehrer. Als solcher war in Runkel etwa 1828-1831 Joseph Samuel Muhr aus Fürth tätig, ab 1838 Philipp Moses aus Hahnstätten und 1840 Seligmann Boppart aus Herborn. Dann schlossen die Juden von Runkel und Villmar sich zu einem Schulverband zusammen und nahmen 1841 den Lehrer Isaac Löwenberg an. Er blieb mehrere Jahre im Amt, wanderte aber 1848 nach Amerika aus. In der Folge gab es in Runkel zeitweilig keinen Religionslehrer. Doch 1856 nahmen die Gemeinden Runkel, Villmar, Münster und Weyer Anselm Rosenfeld unter Vertrag, der in den Wintermonaten einmal wöchentlich nach Runkel kam, ansonsten besuchten die Kinder seinen Unterricht in Villmar. 1860 wurde Hirsch Laubheim aus Singhofen angestellt, 1864 Simon Ackermann. In Runkel fand der Unterricht in einem gemieteten Lokal in einem nichtjüdischen Privathaus statt. Aus Mangel an schulpflichtigen Kindern traten die Juden von Runkel 1895 aus dem Schulverband aus.12

Cemetery

Der jüdische Friedhof in Runkel liegt im Wald an der Straße nach Ennerich und ist 2.217 Quadratmeter groß. Dort beerdigten die ortsansässigen Juden sowie diejenigen aus Hofen, Ennerich und Aumenau ihre Verstorbenen; die jüdischen Einwohner von Schadeck verfügten über eine eigene Begräbnisstätte, an die heute nur noch der Flurname „Judenkirchhof“ erinnert. In Runkel sind 49 Grabsteine erhalten, der älteste datiert von 1773, der jüngste von 1933.13 Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war der Friedhof belegt, weshalb die Kultusgemeinde 1856 zur Erweiterung zwei angrenzende Äcker kaufte. Als das Gelände 1879 erneut zu klein wurde, bemühte sie sich um den Erwerb eines weiteren benachbarten Grundstücks. Da dieses aber den Fürsten von Wied gehörte und die Verhandlungen sich in die Länge zogen, ist es fraglich, ob es je zum Kauf gekommen ist. 2004 wurde der Friedhof von einer Jugendgruppe in Stand gesetzt, eine Gedenktafel existiert nicht.14

Runkel, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Runkel, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Fußnoten
  1. May: Territorialgeschichte des Oberlahnkreises, S. 65–69, 125–126; Reuter: Runkel 1159–2009, S. 15–18; Historisches Ortslexikon des Landesgeschichtlichen Informationssystems Hessen (LAGIS) auf http://www.lagis-hessen.de
  2. Abschnitt „Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde“, Absatz 2, im Artikel „Runkel – Jüdische Geschichte/Synagoge“ auf http://www.alemannia-judaica.de/runkel_synagoge.htm; Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 325–326
  3. Ansässigkeit von Juden im Fürstentum Nassau-Hadamar, 1632–1747, in: HHStAW 171, J 679; Abschnitt „Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde“, Absatz 3, im Artikel „Runkel – Jüdische Geschichte/Synagoge“ auf http://www.alemannia-judaica.de/runkel_synagoge.htm
  4. Die entsprechenden Akten der Grafschaft Wied-Runkel (Abt. 335) sind im Zweiten Weltkrieg in Verlust geraten. Das Findmittel zu diesem verlorenen (Teil-)Bestand blieb jedoch erhalten und wurde hier als Quelle herangezogen. Vgl. dazu das Repertorium zu Abt. 335 Grafschaft Wied-Runkel (Kriegsverlust) im HHStAW, S. 35–36; Forderungen, Rechnungen und Verzeichnisse von Warenlagern der jüdischen Kaufleute Samuel und Gerson Mendel aus Runkel, 1771–1789, in: HHStAW 173, 1872
  5. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 325–326; Bestimmung einer von der ganzen Judenschaft zu entrichtenden Aversonialsumme statt des Schutzgeldes der Einzelnen, 1811–1815, in: HHStAW 154, 294; Die israelitische Kultusgemeinde Runkel, 1890–1922, in: HHStAW 412, 119; Vorlage der Inspektionsberichte über die Kultus- und Religionsschulzustände des Rabbinatsbezirks Weilburg: Band 2, 1872–1899, in: HHStAW 405, 3418; Abschnitt „Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde“, Absatz 7, im Artikel „Runkel – Jüdische Geschichte/Synagoge“ auf http://www.alemannia-judaica.de/runkel_synagoge.htm; Berechnung der „Judenvermögensabgabe“ im Bezirk des Finanzamtes Weilburg, 1938–1939, in: HHStAW 519/2, 899
  6. Gesuch der Judenschaft zu Runkel um Unterstützung zum Ausbau der Synagoge, 1828, in: HHStAW 239, 483; Immobilien der Kultusgemeinde Runkel, in: HHStAW 362/25, Stockbuch Runkel, Bd. A2, Artikel 103; Die israelitische Kultusgemeinde zu Runkel, 1828–1885, in: HHStAW 211, 11472
  7. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 326; Gebäudesteuerkataster der Gemarkung Runkel, 1838–1851, Artikel 132 und 216, in: HHStAW 239, 1404
  8. Immobilien der Kultusgemeinde Runkel, in: HHStAW 362/25, Stockbuch Runkel, Bd. A2, Artikel 103; zur Umrechnung der Maßeinheiten von Fuß in Meter siehe Verdenhalven: Meß- und Währungssysteme, S. 19–20
  9. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S. 326; Jahresrechnungen und Voranschläge der Kultusgemeinde Runkel, 1854–1865, in: HHStAW 239, 217. Die Feststellung von Arnsberg, 1863 sei das Synagogengebäude unbrauchbar geworden, lässt sich mittels der Rechnungen der Kultusgemeinde, in denen bis zum Ende der Laufzeit 1865 weiterhin Kosten für die Unterhaltung und kleinere Reparaturen verzeichnet sind, widerlegen.
  10. Die israelitische Kultusgemeinde Runkel, 1890–1922, in: HHStAW 412, 119; Gebäudebuch der Gemarkung Runkel, 1910–1959, Artikel 165, in: HHStAW 433, 5264; Abschnitt „Zur Geschichte der Synagoge“, Absatz 4, im Artikel „Runkel – Jüdische Geschichte/Synagoge“ auf http://www.alemannia-judaica.de/runkel_synagoge.htm
  11. Jahresrechnungen und Voranschläge der Kultusgemeinde Runkel, 1854–1865, in: HHStAW 239, 217
  12. Kultusverhältnisse der Israeliten im Amt Runkel, 1841–1848, in: HHStAW 239, 216; Jahresrechnungen und Voranschläge der Kultusgemeinde Runkel, 1854–1865, in: HHStAW 239, 217 (fol. 589); Die Religionslehrerstelle für die israelitischen Kultusgemeinden Münster, Weyer, Villmar und Runkel, 1841–1860, in: HHStAW 211, 11468; Die israelitische Kultusgemeinde zu Runkel, 1828–1885, in: HHStAW 211, 11472; Die israelitische Kultusgemeinde Runkel, 1890–1922, in: HHStAW 412, 119; Aumüller: Geschichte der Juden in Villmar, S. 90
  13. Vgl. Runkel, Jüdischer Friedhof in LAGIS (s. Link)
  14. Gölzenleuchter: Sie verbrennen dein Heiligtum, S. 74–76; Reuter: Runkel 1159–2009, S. 61–62; Jahresrechnungen und Voranschläge der Kultusgemeinde Runkel, 1854–1865 (fol. 170 ff), in: HHStAW 239, 217; Immobilien der Kultusgemeinde Runkel, in: HHStAW 362/25, Stockbuch Runkel, Bd. A2, Artikel 103; Die israelitische Kultusgemeinde zu Runkel, 1828–1885, in: HHStAW 211, 11472
Recommended Citation
„Runkel (Landkreis Limburg-Weilburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/74> (Stand: 12.7.2023)