Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Bensheim Karten-Symbol

Gemeinde Bensheim, Landkreis Bergstraße — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1435

Location

64625 Bensheim, Nibelungenstraße 12a (alte Anschrift: Schönberger Straße 14) | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Wann genau sich zuerst Juden in Bensheim niederließen, ist heute nicht mehr bekannt. Es wird davon ausgegangen, dass spätestens seit 1355 bis vermutlich in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts jüdische Menschen im Ort lebten. 1435 wurde erstmals eine Synagoge in der heutigen Kapuzinergasse bezeugt.1 Mit dem Übergang Bensheims an die Kurpfalz wurden die Juden der Stadt verwiesen.

Eine erste, zeitlich gesicherte Ansiedlung von Juden in der Stadt erfolgte im Dreißigjährigen Krieg, als 1623 per Regierungsbeschluss drei jüdische Familien der Stadt zugewiesen wurden. Ihre Vorstände hießen Isaac, Mayer und Jacob. Wenig später wurde Liebmann erwähnt, vermutlich ein Sohn Isaacs und Schwiegersohn von Mayer. Er erwarb Mitte des 17. Jahrhunderts, zu dieser Zeit gehörte Bensheim wieder zu Kurmainz, ein repräsentatives Haus an der heutigen Hauptstraße 50, das 1743 in den Besitz von Salomon Wolf überging und in dem 1780 erstmals ein Betraum erwähnt wurde. Dieser Salomon Wolf galt als seriöser Geschäftsmann und war zudem Rabbiner und Kurmainzer „Judenschultheiß“.2

Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts wurde die Zahl der jüdischen Einwohner gering gehalten. Daher nutzten seit etwa 1680 auch die in den umliegenden Dörfern Auerbach, Schönbach, Zell und Schwanheim lebenden Familien den Betsaal in Bensheim. 1756 schlossen die Bensheimer mit den Auerbacher Bewohnern sogar einen entsprechenden Nutzungsvertrag. Trotzdem bildete sich dort 1779 eine eigene Gemeinde.

In der Amtszeit Franz Anselm Casimir Reatz, etwa 1796 bis 1821, zogen viele der in den umliegenden Gemeinden wohnenden Juden in die Stadt. Waren es in den 1780er Jahren 21 Schutzjuden und sechs Witwen,3 stieg diese Zahl bis 1825 auf 74 Personen an. 1890 erreichte sie 150, um 1908 mit 180 den höchsten Stand zu erreichen.

Mit der Annahme bürgerlicher Familiennamen 1809 treten in Bensheim die Familien Bacharach, Bendheim, Guthorn, Hirsch, Jakoby, Laudenheimer, Marx, Neugass, Reiling und Wolf auf. Familie Bendheim stammte aus Auerbach und zählte zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu den am höchsten Besteuerten des Kreises. Aus Reichenbach kam die Familie Marx, die in Bensheim später eine Ledergroßhandlung und die Bekleidungswerke Bensheim unterhielten. Ein Mitglied dieser Familie, Salomon Marx ließ sich 1924 von dem Architektenbüro Heinrich Metzendorf eine Villa in der Moltkestraße 9 bauen. Familie Reiling aus Auerbach gründete in Bensheim ein Kaufhaus, dass noch heute als Kaufhaus Krämer besteht. Weitere bekannte Namen sind Sternheim, Thalheimer oder Lehmann. Nach dem Arzt Dr. Felix Lehmann, der nach Palästina auswandern konnte, wurde der Felix-Lehmann-Weg benannt.

Als 1892 die neue Synagoge eingeweiht wurde, gaben einige öffentlich gemachte Anmerkungen zur Einweihungsfeier Hinweise darauf, wie eng die israelitische und die politische Gemeinde verschmolzen waren. So nahmen hohe Vertreter der Stadtverwaltung an dem Fest ebenso teil wie Direktoren der Bensheimer Schulen, der Großherzogliche Amtmann und viele Bürger. Der Festball fand im Hotel Zum Deutschen Haus statt. In einer Pressenotiz heißt es, der im maurischen Stil gehaltene Bau gereiche auch der Stadt zur Ehre. Die Feier selbst wurde als sehr erhebend und patriotisch bezeichnet.4

Möglicherweise stellte die Größe und Öffentlichkeit dieser Einweihungsfeier auch eine Demonstration gegen aufkommenden Antisemitismus dar. Der Marburger Volkskundler Otto Böckel war nur wenige Monate zuvor im benachbarten Schwanheim aufgetreten und wollte dort einen antisemitischen Bauernverein gründen. Weitere antisemitische Versammlungen und Volksfeste gab es in Reichelsheim und anderen Orten.5

Neben zahllosen Vereinsmitgliedschaften belegt die Wahl von Julius Wolf 1926 zum Stadtverordneten den hohen Integrationsgrad. Von der Familie Oppenheimer war bekannt, dass sie alljährlich in ihrem Haus an der Rodensteiner Straße eine Laubhütte bauten.

Im katholisch geprägten Bensheim blieb im Gegensatz zum evangelischen Nachbardorf Auerbach das Zentrum bis 1933 eine starke Partei. Trotzdem machte sich auch hier die antisemitische Hetze bemerkbar und 1934 wurde auf viele Schaufenster „Kauft nicht bei Juden“ gepinselt. Wenn Franz Mann daraus „Kauft doch bei Juden billiger“ gemacht hat, so mag dies heute als Anekdote angesehen werden. Ihm selbst brachte es einen Tag „Schutzhaft“ ein.6

Am 10. November 1938, nachdem die Synagoge bereits abgebrannt worden war, überfielen die Gewalttäter auch zahlreiche Wohnungen jüdischer Einwohner und zerstörten deren Einrichtungen.

Viele Bensheimer Juden flohen, vor allem in die USA, nach Südamerika und Palästina. Die Deportationen 1941/42 zerstörten den Rest jüdischen Lebens.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden Displaced Persons in fünf Schulen, darunter der Rodensteinschule untergebracht. Etwa 900 Vertriebene lebten hier zwischen 1946 und 1950. Ähnlich wie in Lampertheim entstand auch in Bensheim ein eigenes Lager für jüdische Staatenlose, die die jüdische Kultusgemeinde Bensheim als Nachfolgegemeinde der 1933 aufgelösten ehemaligen jüdischen Religionsgemeinde wieder gründeten und vom Landesverband jüdischer Gemeinden für Hessen anerkennen ließen.7 Zudem gab es einen Kindergarten und eine Schule mit 80 Kindern. 1950 hatte diese Gemeinde 38 Mitglieder. Etwa zur gleichen Zeit wanderten die meisten Insassen des Lagers nach Palästina aus. Es ist nicht bekannt, was aus der jüdischen Gemeinde Bensheim wurde.

Betsaal / Synagoge

Bereits im 14. Jahrhundert soll es eine „Judenschule“ im Kapuzinergässchen gegeben haben.8 Angesichts der ungesicherten Zahl jüdischer Bewohner der Stadt, wird sie auch von Besuchern aus den umliegenden Ortschaften benutzt worden sein. 1637 feierte man den Sabbat in der Stadt so ausschweifend, dass dieses eingeschränkt werden sollte. Zu dieser Zeit soll sich ein Betsaal oder eine Synagoge in einem Haus in der Neugasse 12 befunden haben.

Sichere Nachweise liegen derzeit für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts vor, als Gottesdienst im Haus von Salomon Wolf, Hauptstraße 50, gehalten wurde. Bereits 1807 erwog die Gemeinde den Bau einer neuen Synagoge, sah dann aber aus bislang nicht bekannten Gründen davon ab. Stattdessen erwarb der Enkel von Salomon Wolf, Löser Wolf, noch im gleichen Jahr das Haus Am Rinnentor 12 und richtetet darin die Synagoge ein.9 Im Erdgeschoss soll eine koschere Gastwirtschaft bestanden haben. 25 Jahre später, 1832 kaufte die Gemeinde das Haus Hintergasse 17 (heute Am Bürgerhaus) und richtetet es als Synagoge ein. Dieses war ein großes, dreigeschossiges Haus mit Halbwalmdach. Über dem massiven Erdgeschoss erhoben sich zwei vorkragende Fachwerkgeschosse. Hier sollen sich auch eine Schule und eine Mikwe befunden haben.

Mit Ansteigen der Mitgliederzahlen im Verlauf des 19. Jahrhunderts stieg auch der Wunsch nach einem neuen, angemessenen Synagogengebäude. Mit seinem Bau wurde 1891 begonnen. Die Kosten beliefen sich auf rund 32.000 Mark, zu denen die politische Gemeinde 1.000 Mark beitrug. Die Pläne hatte der Kreistechniker Emil Eichler vorgelegt. Zur Einweihung am 15. September 1892 wurde die Thorarolle in einem Festzug von der Hintergasse in die Nibelungenstraße gebracht.

Das Backsteingebäude erhob sich über einem rechteckigen Grundriss. Der straßenseitigen Fassade trat ein Mittelrisalit vor, der die Traufhöhe überragte und von den Tafeln mit den zehn Geboten aus schwarzem Marmor mit Goldschrift bekrönt wurde. Seine Ecken trugen ebenso wie die Ecken des Hauptgebäudes Aufsätze. Die übrigen Seiten besaßen Rundbogenfenster. Den überwiegenden Teil des Erdgeschosses nahm der Synagogensaal ein. Im Osten stand der Thoraschrein mit Rundbogen und Säulenportikus, davor Vorbeterpult und Almemor. Weiter westlich befanden sich die 96 Sitzplätze für die Männer. Auf der Empore war Raum für 68 Frauen- und Kinderplätze. Neben dem Aufgang zu dieser Empore befand sich ein kleiner Brunnen, den das Ehepaar Thalheimer im Andenken an ihren am 25. September 1915 gefallenen Schwiegersohn gestiftet hatte. Ein großer Kronleuchter, vier kleine Armleuchter, acht Seitenleuchter, zwölf elektrische Kerzen am Almemor, drei Orientteppiche, 58 Meter Kokosläufer, zwei Schränke für Kultgeräte und zwei Öfen ergänzten die Ausstattung.10

In der Vorhalle befand sich eine Gedenktafel für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges.

1926 fand eine umfassende Sanierung statt.

In der Pogromnacht wurde die Synagoge vollständig zerstört und bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Die Feuerwehr beschränkte sich auf einen Schutz der Nachbargebäude.

Nach der Zerstörung wurde das Grundstück von Trümmern befreit und ging 1939 für 3.000 Reichsmark in den Besitz der benachbarten Brauerei über.

Nach der Zerstörung wurde zeitweise wieder der alte Betsaal in der Hintergasse genutzt.

Im Juli 1948 und wieder 1950 kam es wegen der Synagogenschändung zu Prozessen vor dem Landgericht Darmstadt. Der SA-Befehlshaber wurde zu 15 Monaten Haft verurteilt.

1971 enthüllte die Stadt auf dem Grundstück eine Gedenktafel. Sie wurde am 2. Mai 2000 durch eine neue Gedenkstätte abgelöst.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

In der Hintergasse17 soll sich auch eine Mikwe befunden haben, die ihr Wasser aus einem Laufbrunnen am Obertor erhielt.11

Schule

Der älteste Nachweis eines jüdischen Lehrers stammt aus dem Jahr 1732. Er unterrichtet die Kinder in religiösen Fächern. Für die anderen Fächer beschäftigte die Gemeinde einen christlichen Lehrer. Es war wohl Salomon Wolf, der Ende des 18. Jahrhunderts verhinderte, dass die Kinder auf eine christliche Schule gingen. Der Lehrer arbeitete bis Mitte des 19. Jahrhunderts auch als Schächter und oft noch als Kantor.

Mit dem Besuch der öffentlichen Schule seit Beginn des 19. Jahrhunderts fand der Religionsunterricht bis 1928 in dem alten Haus Hintergasse 14 statt. Nicht zuletzt aufgrund der sich ändernden politischen Vorzeichen bat die Gemeinde 1919 um die Zuweisung eines öffentlichen Schullokals. Der Stadtrat teilte ihr einen Raum in der evangelischen Schule zu, die aber solche Bedingungen stellte, dass die jüdische Gemeinde 1929 in der Hochstraße 1 ein eigenes Haus kaufte und dort zunächst eine Lehrerwohnung und 1931 ein Klassenzimmer einrichtete.12

Cemetery

Die in Bensheim Verstorbenen wurde auf dem Friedhof in Alsbach bestattet, auf dem sich 163 Gräber der Zeit zwischen 1692 und 1939 erhalten haben.

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Fußnoten
  1. Maaß, S. 268
  2. Blüm, Wenn Steine erzählen, S. 94
  3. Maaß, S. 271
  4. zitiert nach Geschichte der Bensheimer Juden im 20. Jahrhundert, S. 34
  5. Maaß, 277
  6. Maaß, 286
  7. zitiert nach Geschichte der Bensheimer Juden im 20. Jahrhundert, S. 29
  8. Geschichte der Bensheimer Juden im 20. Jahrhundert, S. 30
  9. Geschichte der Bensheimer Juden im 20. Jahrhundert, S. 31
  10. HHStAW 518, 1394 Bensheim
  11. Geschichte der Bensheimer Juden im 20. Jahrhundert, S. 32
  12. Maaß, S. 276
Recommended Citation
„Bensheim (Landkreis Bergstraße)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/32> (Stand: 17.7.2023)