Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Reinheim Karten-Symbol

Gemeinde Reinheim, Landkreis Darmstadt-Dieburg — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1328

Location

64354 Reinheim, Am Biet 11 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Reinheim wurde 1260 von den Grafen von Katzenelnbogen gegründet. Graf Dieter von Katzenelnbogen erhielt 1312 das Recht, in ausgewählten Ortschaften seiner Grafschaft jeweils zwölf Juden aufzunehmen. Nur 20 Jahre später gestattete Kaiser Ludwig dem Grafen Wilhelm I. 24 Juden in der gesamten Grafschaft anzusiedeln.

Bezog sich das erste Privileg noch auf ausgewählte Orte wie Lichtenberg und Bieberau, so sind für Reinheim erstmals 1328 und 1343/47 David und Isaak namentlich erwähnt.1 1550 wurden Salomon, Liebmann und Samuel genannt.

Der älteste Hinweis auf eine jüdische Gemeinde stammt allerdings erst aus dem Jahr 1606, als die städtischen Rechnungsbücher drei Gulden Einnahmen verzeichnen, die von dem Juden stammen, die er „alle Jar vor Zinsen zu geben (hat) von wegen der Gemeinschaft.“2

Mit Beginn des Dreißigjährigen Krieges stieg die Zahl der in Reinheim lebenden Juden an. 1622 hatten 13 Juden Abgaben zu leisten, die wegen der Unsicherheiten auf dem Lande in die Stadt geflohen waren. Allein 1635 sollen infolge des Krieges 60 Juden in der Stadt gestorben sein.3 Es bleibt allerdings unklar, ob es sich tatsächlich um Reinheimer Juden handelte, oder ob sich diese ebenfalls aus der Umgebung in die Stadt geflüchtet hatten.

Für fast 100 Jahre schweigen die Archivalien zu Juden in der Stadt. Erst 1725 bestimmt eine landesherrliche Verordnung, dass Löw Samuel erst dann in den herrschaftlichen Schutz aufgenommen wird, wenn er sein Schutzgeld entrichtet habe.4 Wie viele Juden seinerzeit in Reinheim lebten, ist nicht bekannt. Weitere namentliche Nennungen sind der 1751 in Reinheim geborene Mordochai Lehmann und 1754 ein Mann namens Hertz. Letzterer besaß 1782 ein eigenes Haus in der Stadt. Neben ihm werden Feist und David genannt. Über Mordochai Lehmann, auch Levi genannt, sind einige familiäre Details bekannt geworden. Seine Frau war am 10. November 1790 im Alter von 34 Jahren an einer Krankheit gestorben, an der sie schon viele Jahre gelitten hatte. Ein Jahr später heiratete er Esther aus Büttelborn.5

Eine eigenständige Gemeinde wird sich um 1830 gegründet haben.6 Sie baute sich 1837 eine eigene Synagoge.

In Reinheim kam es schon früh zu antisemitischen Tendenzen. So erreichten 1893 die Antisemiten bei den Reichstagswahlen 42 Prozent der Wählerstimmen. Damit waren sie zweitstärkste Kraft. Diese politische Entwicklung fand ihren Niederschlag auch im Alltag, beispielsweise als Vorstandswahlen des Turnvereins mehrfach wiederholt werden mussten, bis Elias Frohmann aus nichtigen Gründen ausgeschlossen werden konnte.7

Sechs jüdische Reinheimer nahmen am Ersten Weltkrieg teil, zwei von ihnen, Julius Morgenstern und Heinrich Frohmann fielen.

1925 lebten 64 Juden in Reinheim. Darunter befanden sich ein Fabrikant, etwa zehn Geschäftsleute, rund fünf Viehhändler und zwei Metzger. Zur Gemeinde zählten auch die in Spachbrücken und Georgenhausen lebenden Juden, die zuvor eigene Gemeinden gebildet hatten8 und die aus Ueberau und Zeilhard.

Schon 1924 fanden in Reinheim Veranstaltungen der Vorläuferorganisation der NSDAP statt, die bei den Reichstagswahlen 1929 drittstärkste Kraft wurde. Bis 1932 war sie stärkste Kraft geworden. Schon kurz nach den Reichstagswahlen 1933 wurde die Reinheimer Synagoge zum ersten Mal überfallen und die darin versammelten Männer gezwungen, vor der Öffentlichkeit kommunistische Wahlparolen abzuwaschen. Dabei kam es auch zu körperlichen Misshandlungen.9

Zunehmende Entrechtung, wirtschaftlicher Boykott und Repressalien veranlassten in den folgenden Jahren viele jüdische Familien, aus Reinheim zu fliehen. Nahezu alle von Juden bewohnten Wohnungen wurden in der Pogromnacht überfallen, Einrichtungsgegenstände zerstört und Menschen misshandelt. Mit der Auswanderung der letzten jüdischen Familie 1939 nach Südafrika endet die Geschichte der jüdischen Gemeinde Reinheim.10

Viele der aus Reinheim in andere deutsche Städte geflohenen Juden wurden während der Shoah deportiert und ermordet.

Im Andenken an Dr. Jakob Goldmann, Arzt und jüdischer Einwohner von Reinheim, der 1933 vor dem Naziterror zunächst nach Frankfurt am Main und anschließend nach New York fliehen konnte, gab die Stadt einem 1999 eingeweihten Kindergarten seinen Namen.11

Seit 2011 werden auch in Reinheim Stolpersteine verlegt.

Betsaal / Synagoge

Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert befand sich eine Synagoge in einem Nebengebäude des Anwesens Hofgasse 5, heute An der Stadtmauer 5, das der Familie David Frohmann gehörte.

1837 erbaute sich die Gemeinde eine Synagoge in der Straße Am Biet. Den größten Raum nahm der Betraum mit Empore ein. Zudem befanden sich dort eine Mikwe, ein Schulzimmer und eine Lehrerwohnung.12

Die Synagoge war ein stattlicher, zweigeschossiger Sandsteinbau, dessen Fachwerkgiebel das bemerkenswerte Gebäude am Ende der kurzen Nebenstraße betonte. In der der Straße zugewandten Giebelwand lagen übereinander zwei Reihen mit jeweils drei Rundbogenfenstern, im Erdgeschoss hochrechteckige, darüber kleine. Auch die Traufwände verfügten über derartige Konstruktionen. Die beiden Haupteingänge lagen in der westlichen Traufwand, die Mikwe verfügte über einen eigenen, heute verschlossenen Zugang. Während der Männereingang direkt in den Betsaal führte, betraten die Frauen zunächst einen Vorraum, in dem die Treppe mit Zugang zur dreiseitigen Frauenempore lag. Dem Vorraum hintergelagert war die Badeeinrichtung. Darüber befand sich die Schulstube.

Während des Ersten Weltkrieges konnten die notwendigen Unterhaltungsmaßnahmen an dem Gebäude nicht durchgeführt werden, so dass es sich bis Mitte der 1920er Jahre partiell in schlechtem Zustand befand. Die 1925 projektierten Reparaturkosten beliefen sich auf rund 3.000 Mark, ein Betrag, den die jüdische Gemeinde allein nicht aufbringen konnte und weswegen sie um einen städtischen Zuschuss nachsuchte. Dieser Antrag wurde zunächst abgelehnt. Erst als sich die tatsächlichen Baukosten auf 4.000 Mark erhöht hatten und ein abermaliges Gesuch mit dem Hinweis gestellt wurde, dass sich viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde freiwillig an der Renovierung der Kirche, des Pfarrhauses und anderer gemeindlichen Einrichtungen beteiligt hätten, wurden für die beiden Jahre 1927 und 1928 jeweils 200 Mark bewilligt.13 Vermutlich in Zusammenhang mit dieser Sanierung wurde auch die Decke über dem Betsaal neu angestrichen.14

In der Pogromnacht wurde die Synagoge abermals überfallen und Teile der Inneneinrichtung zerstört. Andere Teile trug man auf einen nahe gelegenen Wall und setzte sie dort in Brand.

Zu der Inneneinrichtung gehörten 50 Sitzplätze mit Pulten für Männer und 32 ebensolche für Frauen. Neu angeschafft worden waren eine Garderobe mit 85 Einheiten, ein Thoraschrein mit Altaraufbau, ein Vorlesepult mit Wickelbank, ein Kronleuchter, sechs Seitenleuchter, ein Altarleuchter, zwei Teppiche, 30 Meter Läufer und elektrische Heizkörper.

In dem Schrank für Kultgegenstände befanden sich vier Thorarollen, vier Paar Thoraaufsätze aus Silber mit silbernen Schellen, ein silberner Lesefinger, zwölf neu angeschaffte goldbestickte Thoramäntel, 100 handbemalte Wimpel, vier neue große, goldbestickte Thoraschreinvorhänge, vier goldbestickte Decken für das Vorlesepult, eine silberne Ewige Lampe, ein silberner siebenarmiger Leuchter, ein silberner Channukahleuchter, 30 neue elektrische Seelenlichter, ein silberner Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, ein Megillah mit Mantel, ein Schofarhorn, 30 Gebetmäntel, fünf Paar Gebetriemen, 26 Gebetbücher, darunter zwei kostbare Vorbeter und vier Festgebetsbücher, sechs Pentateuche, vier handgeschriebene Pergamentrollen sowie eine Etrogbüche aus Silber.15

Das Synagogengebäude selbst entging nur wegen der dichten Nachbarbebauung einer Brandstiftung.16 Weit unter Wert – für 1.000 statt 5.000 Reichsmark - ging es in den Besitz eines christlichen Landwirts über, der nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge eines Vergleiches 1.500 DM an die JRSO nachzuzahlen hatte-17 1989 wurde am Gebäude eine Gedenktafel angebracht.

1994/95 wurde das lange als Lager genutzte Gebäude zu Wohnraum umgebaut. In diesem Zusammenhang wurden umfangreiche Bauuntersuchungen durchgeführt und ein Aufmaß erstellt, das Grundlage einer zeichnerischen Rekonstruktion der Innenaufteilung ist. Gefunden wurden auch zwei Schichten Bemalungen: Die untere mit überwiegend floralen Mustern stammt wohl aus der Erbauungszeit und wurde 1927 mit eine Art-Déco Ausmalung überdeckt.18

Weitere Einrichtungen

Weitere Einrichtungen

Anfang der 1930er Jahre bestanden ein Israelitischer Männer- und der 1909 gegründete Israelitischer Frauenverein.19

Mikwe

Auf dem Anwesen An der Stadtmauer 5 befand sich auch eine Mikwe, die länger genutzt wurde, als die auf dem gleichen Grundstück stehende Synagoge. Einem Tauschvertrag aus dem Jahre 1840 ist zu entnehmen, dass der neue – christliche – Besitzer dieses Anwesens die Nutzung des Frauenbades bis Ostern 1846 zu dulden hatte. Vermutlich zu diesem Zeitpunkt wurde die Mikwe in die 1837 erbaute Synagoge verlegt. Sie wurde 1911 renoviert.

Schule

In der 1837 erbauten Synagoge befand sich auch ein Schulzimmer. Zuvor wird in dem Nebengebäude des Anwesens An der Stadtmauer 5 Unterricht gehalten worden sein.

1883 besuchten 18 Kinder den jüdischen Religionsunterricht. Vermutlich weil der Raum in der Synagoge dafür zu klein war, bat der Gemeindevorstand die bürgerliche Gemeinde um Überlassung eines eigenen Raumes. Darüber kam es zu Differenzen. Die jüdischen Kinder waren seit 1880 vom allgemeinen Samstagsunterricht befreit. Da aber der Unterricht für die christlichen Kinder bis 15:00 Uhr ging, musste der jüdische Religionsunterricht an einem Sonntag stattfinden. Dagegen verweigerte sich allerdings der christliche Hausmeister.20

Cemetery

Die Verstorbenen der Gemeinde wurden auf dem Friedhof in Dieburg beigesetzt. Seit die Gemeinde 1930 Mitinhaberin des Friedhofs in Groß-Bieberau wurde, beerdigte man überwiegend dort.

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Groß-Bieberau, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. Volz, 1988, 14
  2. Volz, 1988, 14
  3. Volz, 1988, 15
  4. HStAD R 21 J, 52
  5. HHStAW 365, 717
  6. Volz, 1988, S. 37
  7. Volz, 1988, S. 56
  8. HHStAW 503, 7382
  9. Volz, 1988, S. 89
  10. Volz, 1988, S. 95
  11. Spuren jüdischen Lebens, 2008, S. 70
  12. Volz, 1988, S. 37
  13. Volz, 1988, S. 81
  14. In der Entschädigungsakte HHStAW 518, 1370 ist von einer Sanierung im Jahre 1932 die Rede. Da diese aber in keiner weiteren eingesehenen Quelle Erwähnung findet, wird davon ausgegangen, dass es sich hierbei um einen Fehler handelt, zumal in dieser Akte das Baujahr fälschlicherweise mit 1895 angegeben wird.
  15. HHStAW 518, 1370
  16. Spuren jüdischen Lebens, 2008, S. 91
  17. HHStAW 518, 1370
  18. Lange, 1997, S. 76
  19. Volz, 1988, S. 53
  20. HHStAW 503, 7382
Recommended Citation
„Reinheim (Landkreis Darmstadt-Dieburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/171> (Stand: 23.7.2022)