Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Reichenbach Karten-Symbol

Gemeinde Lautertal (Odenwald), Landkreis Bergstraße — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1748

Location

64686 Lautertal, Ortsteil Reichenbach, Bangertsgasse 1 | → Lage anzeigen

Rabbinat

bis 1923 Darmstadt I, danach Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

bis 1923 liberal, danach orthodox

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Reichenbach gehörte zum Amt Schönberg der Grafen von Erbach, in dem keine Juden ansässig waren. Ihre restriktive Ansiedlungspolitik änderte sich erst Mitte des 17. Jahrhunderts, betraf aber zunächst nicht das Amt Schönberg. Im Pfälzer Erbfolgekrieg hatten sich die Grafen unter anderem bei dem Frankfurter Juden Elkan Moses hoch verschuldet.1 Um diese Schulden abzutragen, verpfändeten sie das Amt um 1700 an den Brandenburg-Bayreuthischen Rat Konrad Valentin Reineck. Dieser sorgte dafür, dass das Niederlassungsverbot aufgehoben wurde.2

Bereits vor 1731 hatte sich eine Gemeinde für alle Juden im Amt gebildet, die in diesem Jahr eine Synagoge in Schönberg bauen konnte.3

In der Mitte des 18. Jahrhunderts lebte in Reichenbach ein Jude namens Elias. Er war verheiratet und Vater zweier Kinder. 1748 verkaufte er sein Wohnhaus für 100 Gulden an seine Tochter Judith anlässlich deren Hochzeit mit Koppel Hayum aus Jugenheim. Gleichzeitig behielten sich er und seine Frau ein lebenslanges Einsitzrecht vor. Letztlich wurde dieser Verkauf aber nicht rechtskräftig.4

1760 wurden bereits zwei männliche Juden sowie eine Witwe erwähnt, die allerdings nicht namentlich genannt werden. Bis 1816 stieg die Anzahl der jüdischen Familien auf neun an. Dies waren Simon Oppenheimer, Mayer Marx, Salomon Mayer, 1799 in den Schutz aufgenommen, Benjamin Mayer, 1796 in den Schutz aufgenommen, Mordechai Oppenheimer, 1814 aufgenommen, Löw Oppenheimer, 1813 aufgenommen, Beer Oppenheimer, 1794 aufgenommen, Jossel Oppenheimer, 1786 aufgenommen und Jonas Schack, der 1809 in den Schutz aufgenommen worden war.5

Um 1833 verlagerte sich der Sitz der Gemeinde von Schönberg nach Reichelsheim. Zu ihr gehörten auch die jüdischen Einwohner anderer Orte des ehemaligen Amtes Schönberg, Elmshausen und Zell. Mit 45 Mitgliedern stellte sie rund 6,3 % der Gesamtbevölkerung des Ortes. Ihren Höchststand erreichte diese Zahl 1843, als 85 jüdische Einwohner 7,4 % der Gesamtbevölkerung stellten. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts sank die Zahl wieder. 1925 lag sie bei 39 Personen.

Anfang der 1930er Jahre ging die Zahl der Gemeindemitglieder weiter zurück, so dass schließlich kein Gottesdienst mehr gehalten werden konnte.

Noch Ende der 1930er Jahre verließen mehrere jüdische Personen und Familien Reichenbach, um in die USA, nach Uruguay, Argentinien oder Australien auszuwandern.6 Nicht alle erreichten ihr Ziel. Die letzten drei jüdischen Einwohner aus Elmshausen und Reichenbach wurden im Frühjahr 1942 deportiert.

In Elmshausen erinnern Stolpersteine an die Ermordeten.

In Reichenbach wurde im Juni 2013 an der Ecke Nibelungenstraße/Knodener Straße ein Denkmal für Max Liebster, seit 2004 Ehrenbürger der Gemeinde Lautertal, errichtet. Er hatte die Lagerhaft überlebt und nach dem Holocaust Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit geleistet.

Betsaal / Synagoge

Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts besuchten die Juden aus Reichenbach die Synagoge in Schönberg, die noch 1840 in den Akten erwähnt wird. In dieser Zeit verlagerte sich aber der Mittelpunkt des jüdischen Lebens von Schönberg nach Reichenbach, so dass sich die Gemeinde 1851 eine eigene Synagoge in der Bangertsgasse 1 erbaute. Es war ein zweigeschossiges, mit einem Satteldach gedecktes Gebäude. Seine Größe betrug etwa 12,5 mal 8,5 Meter. Der Zugang lag in der Südseite. Die Fenster waren, wie auch der Eingang, mit Rundbogen überwölbt. Dabei stachen die aus grauen Sandsteinen gefertigten Gewände und Sohlbänke aus dem Bruchsteinmauerwerk hervor. Einzig in der Ostwand befand sich kein Fenster.

Durch den Eingang gelangte man in den zentral gelegenen Flur, von dem aus ein links gelegener Geräteraum zu betreten war. Geradeaus ging es in einen kleinen Vorraum, der wiederum den Zugang zu der Mikwe ermöglichte. Rechts, also östlich des Flures, lag der eigentliche Synagogenraum, der sich über beide Stockwerke erstreckte.

Im Obergeschoss befand sich eine Zweizimmerwohnung mit Küche für den Lehrer sowie über dem Synagogenraum die Frauenempore.

Nachdem Anfang der 1930er Jahre die Anzahl der Gemeindemitglieder weiter zurückgegangen war und kein Gottesdienst mehr stattfand, verkaufte die Gemeinde im Mai 1938 das Synagogengebäude für 3.000 Mark an die politische Gemeinde. Zu diesem vergleichsweise niedrigen Preis dürfte auch der Umstand geführt haben, dass das Gebäude nicht unterkellert und in keinem sehr guten Zustand war. Die Kultgegenstände - fünf Thorarollen und eben so viele Paare silberner Thoraaufsätze mit Schellen, fünf Lesefinger, 20 Thoramäntel, 30 Wimpel, vier Thoraschreinvorhänge, vier Decken für Vorlese- und Vorbeterpult, eine Ewige Lampe, ein siebenarmiger Leuchter, ein Channukahleuchter, 30 Seelenlichter, zwei silberne Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, ein Trauhimmel, ein Megillah, zwei Schofarhörner, 12 Gebetsmäntel, fünf Paar Phylakterien (Gebetriemen), 20 Gebetbücher, 20 Sätze Festgebetbücher, 20 Bände Pentateuch, ein Satz Aufrufplatten und eine silberne Ethrobüchse - wurden nach Auerbach ausgelagert und dort in der Pogromnacht zerstört.7

Die politische Gemeinde plante, in dem Gebäude bald nach dem Kauf einen Kindergarten einzurichten. Stadtbaumeister Bräunig aus Bensheim fertigte dafür die Pläne an und nahm auch den Zustand vor dem Umbau zeichnerisch auf. Dieser Umbau wurde aber nicht realisiert. Nachdem während des Krieges Gefangene hier untergebracht waren und die Synagoge nach dem Krieg als Schreinerei genutzt wurde, diente sie zeitweise auch als Versammlungsraum der katholischen Kirchengemeinde. Danach wurde sie privatisiert und 1965 zu einem Zweifamilienhaus umgebaut.8

Seit 1988 befindet sich unweit des Synagogengebäudes an einer Mauer in der Bangertgasse eine Gedenktafel.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Als sich die Gemeinde 1851 in der Bangertsgasse 1 ein Synagogengebäude errichtete, enthielt dieses auch eine Mikwe. Sie speiste sich aus dem unweit vorbeifließenden Grautbach.

Schule

Als sich die Gemeinde 1851 in der Bangertsgasse 1 ein Synagogengebäude errichtete, enthielt dieses auch eine Wohnung für den Lehrer, in der dieser den Unterricht hielt.

Cemetery

Die Gemeinde bestattete ihre Verstorbenen auf dem Friedhof in Alsbach, auf dem sich 75 Reichenbacher Gräber aus dem Zeitraum von 1752 bis 1936 befinden.9

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Alsbach, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. HStAD R 21 J, 1264
  2. Kunz, Reichenbacher Juden, S. 28
  3. Schaarschmidt, 700 Jahre Schönberg, S. 195
  4. HStAD E 9, 1934
  5. HStAD G 15 Heppenheim, L 50
  6. HStAD H 15 Heppenheim, J 112
  7. HHStAW 518, 1410
  8. Altaras, Synagogen, S. 278
  9. Heinemann/Wiesner: Der jüdische Friedhof in Alsbach, S. 88
Recommended Citation
„Reichenbach (Landkreis Bergstraße)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/56> (Stand: 25.8.2022)