Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Pfaffen-Beerfurth Karten-Symbol

Gemeinde Reichelsheim (Odenwald), Odenwaldkreis — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1751

Location

64385 Reichelsheim, Ortsteil Beerfurth, Marktplatz 3 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt I

religiöse Ausrichtung

liberal

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Pfaffen-Beerfurth bildete bis 1968 zusammen mit Kirch-Beerfurth die Gemeinde Beerfurth. Mit der Reformation gelangte es an die Pfalz, war aber bis 1806 Lehen derer von Erbach. 1806 kam es an das Amt Fürth und 1874 in den neu gebildeten Kreis Erbach. Seit 1972 ist der Ort Ortsteil von Reichelsheim.

Erstmals wurden 1751 Juden in Pfaffen-Beerfurth genannt. Dies waren Heyum und Koppel sowie Joel und dessen Sohn Mendel. Heyum und Koppel lebten vom Viehhandel und galten als arm.1

1809 nahmen die Familien feste Namen an. Es waren dies Joseph, Löb, Oppenheimer, Levita, Schott, Kahn, Reis, Marx und Meyer.

Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts stieg die Anzahl der jüdischen Einwohner. 1830 bildeten sechs Familien eine Gemeinde mit eigenem Vorsteher. 1840 lebten 50 Juden im Ort, davon zehn schulpflichtige Kinder.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert schwankte die Zahl der Gemeindemitglieder zwischen zehn und 13. 1901 lag sie bei 15.

Lebten die Familien zu Beginn des 19. Jahrhunderts überwiegend vom Handel mit Vieh, wurde später auch Krämer, Händler, Musikant oder Buchbinder als Beruf angegeben. Anfang des 20. Jahrhunderts unterhielt Joseph Oppenheimer aus Fränkisch-Crumbach eine Filiale seiner Zigarrenfabrik mit über 40 Arbeitern in der Michelbacher Straße.

Elf jüdische Männer dienten als Soldaten im Ersten Weltkrieg, einer von ihnen wurde nach einer Verletzung mit der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet.2

In Pfaffen-Beerfurth erzielte die NSDAP in den Reichstagswahlen von 1930 mit 60 Prozent einen ihrer größten Erfolge in ganz Hessen. Am 31. Juli 1932 konnte sie sogar 78 Prozent der Wähler für sich verzeichnen. 1933 lebten 34 Menschen jüdischen Glaubens in Pfaffen-Beerfurth. Sie wurden diffamiert, entrechtet und beraubt. 1935 drohte die Gemeindeverwaltung mit dem Entzug kommunaler Leistungen, wenn deren Empfänger weiter bei Juden einkauften. Mit Beschluss des Vorstandes vom 5. Oktober 1937 wurde die jüdische Gemeinde aufgelöst.3

Am 10. November 1938 wurden auch Wohnungen von Juden verwüstet. Fast alle Männer wurden in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Ein Behinderter wurde 1941 in einer Heilanstalt ermordet. 1948 wurden zwölf an den Ausschreitungen Beteiligte durch das Landgericht Darmstadt angeklagt.

Betsaal / Synagoge

Bis 1826 besuchten die Mitglieder der Gemeinde die Synagoge in Reichelsheim. Nach Abgabe einer Verpflichtungserklärung, sechs Jahre lang keine eigene Synagoge zu bauen, fand bis 1832 Gottesdienst im Haus von Bendit Löb statt. Bis 1862 wechselten die Standorte der Betsäle gelegentlich. Teilweise wurden dafür auch Häuser christlicher Besitzer angemietet, die dann das Anzünden des Lichtes, das Reinigen und Beheizen übernehmen konnten. 1862 erwarb die Gemeinde ein Haus und richtete darin die Synagoge ein. Es war ein typisches Odenwälder Wohnhaus mit massivem Erdgeschoss und Obergeschoss in Fachwerk, das giebelständig zur Straße steht. Ihr war auch eine Schule samt Lehrerwohnung angegliedert. Zudem soll hier eine Mikwe bestanden haben.4

Nach 1905, nachdem die Zahl der Gemeindemitglieder erheblich zurückgegangen war, fand nur noch unregelmäßig Gottesdienst statt. Teilweise behalf man sich damit, dass zwei 13jährige Schüler vom Schulunterricht befreit wurden, um dem Gottesdienst beizuwohnen.

1937/38 verkaufte die Gemeinde das Haus für 3.000 Reichsmark an einen christlichen Besitzer5, der im Erdgeschoss eine Metzgerei einrichtete. Das Haus bestand, wenn auch baulich verändert, noch 1985.

Die Kultgegenstände aus der Synagoge wurden nach Höchst im Odenwald ausgelagert, wo sie in der Pogromnacht verbrannten.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Nur schwer vorstellbar ist die Auskunft von Thea Altaras, in den vor Einrichtung der Synagoge 1862 gemieteten „Häusern waren die Synagoge, das Ritualbad, die Schulstube und Lehrerwohnung untergebracht“6, weil teilweise christliche Besitzer ihre Häuser ganz oder in Teilen vermieteten. Sicher wurde aber in dem 1862 zur Synagoge umgebauten Haus auch eine Mikwe eingerichtet.

Cemetery

Bis 1857 bestattete die Gemeinde ihre Verstorbenen auf dem Friedhof in Michelstadt. Nachdem 1856 die Reichelsheimer Bruderschaft ein Grundstück erworben und dort einen Friedhof eingerichtet hatte, trat die Gemeinde Pfaffen-Beerfurth 1860 diesem Friedhofsverband bei. Heute bestehen noch 19 Gräber mit Verstorbenen aus Pfaffen-Beerfurth.

Michelstadt, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Reichelsheim (Odenwald), Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Michelstadt, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Erbach, Herren von · Heyum · Koppel · Joel · Mendel · Joseph · Löb, Bendit · Oppenheimer, Joseph · Levita · Schott · Kahn · Reis · Marx · Meyer

Places

Kirch-Beerfurth · Beerfurth · Reichelsheim · Fränkisch-Crumbach · Höchst im Odenwald · Michelstadt · Reichelsheim, Beerdigungsbruderschaft

Sachbegriffe Geschichte

Erster Weltkrieg · Reichstagswahlen · Pogromnacht · Buchenwald, Konzentrationslager

Sachbegriffe Architektur

Fachwerk

Fußnoten
  1. Grünewald, 1998, S. 298.
  2. Hiernoymus, 2007, S. 54
  3. Grünewald, 1998, S. 308.
  4. Altaras, 2007, S. 358.
  5. Roth, 1978, S. 40
  6. Altaras, 2007, S. 358.
Recommended Citation
„Pfaffen-Beerfurth (Odenwaldkreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/105> (Stand: 23.7.2022)