Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Okriftel Karten-Symbol

Gemeinde Hattersheim am Main, Main-Taunus-Kreis — Von Carina Schmidt
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1683

Location

65795 Hattersheim am Main, Stadtteil Okriftel, Kirchgrabenstraße 16 | → Lage anzeigen

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Das Dorf „Acruftele“ wird 1103 erstmals in einer Schenkungsurkunde zugunsten des Mainzer Jakobsklosters erwähnt, die Entstehung des Ortes ist jedoch früher anzusetzen. Im 16. Jahrhundert gelangte Okriftel in den Besitz der Grafen von Isenburg, deren Territorium eine Exklave inmitten des kurmainzischen Gebietes bildete. 1803 wurde der Ort nassauisch, 1866 preußisch. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Okriftel in das Bundesland Hessen integriert und seit 1872 bildet die Gemeinde einen Stadtteil von Hattersheim am Main.1

Juden waren in Okriftel nachweislich seit dem späten 17. Jahrhundert ansässig. 1683 wird der Jude Meyer in den gräflichen Schutz nach Okriftel aufgenommen, ebenso wie die Juden Moyses 1703 und Meyer Aron 1708.2 Diese besuchten die Synagoge in Hattersheim. 1761 war die Zahl der Schutzjuden in Okriftel auf fünf angestiegen. Gemeinsam mit zwei religionsmündigen Knaben und drei jüdischen Knechten war es ihnen nun möglich, einen Minjan zu bilden, weshalb die kleine Gemeinde die Regierung um Erlaubnis bat, eine Synagoge in einem Privathaus vor Ort einrichten zu dürfen. Dies wurde ihnen 1765 gestattet, dafür mussten sie eine jährliche Gebühr von 5 Reichstalern entrichten. Doch Anfang der 1770er Jahre sank die Zahl der jüdischen Einwohner wieder und viele Familien waren verarmt, so dass der eigene Gottesdienst aufgegeben werden musste, die übrigen Okrifteler Juden gingen wieder zum Gottesdienst nach Hattersheim.3

Die Zahl der jüdischen Einwohner von Okriftel stieg von drei Schutzjuden um 1800 auf 29 im Jahr 1843 an. Damit war die Gemeinde wieder groß genug, um eine eigene Synagoge zu unterhalten.4 So löste sie sich im frühen 19. Jahrhundert erneut aus dem Kultusverband mit Hattersheim und richtete in einem angemieteten Privathaus in Okriftel einen Betraum ein, der ihr bis um 1903 als Synagoge diente.5 Seither bildeten die Juden von Okriftel eine selbstständige Kultusgemeinde, die bis um 1934 existierte.6 Dieser gehörten anfangs auch die Juden von Eddersheim an, die sich 1841 aber der Kultusgemeinde Flörsheim anschlossen. Trotzdem besuchten immer wieder Eddersheimer die Synagoge in Okriftel. So gingen etwa 1891 mehrere Juden von dort nach Okriftel, um die für den Gottesdienst benötigte Zehnzahl religionsmündiger Männer zu vervollständigen.7

Die Zahl der Juden in Okriftel blieb im 19. Jahrhundert relativ konstant: 1858 gab es 36 jüdische Einwohner, 1891 noch 30.8 Kurz nach der Jahrhundertwende waren 49 Juden ansässig. In der Jahresrechnung der Gemeinde von 1920 werden 13 jüdische Kultussteuerzahler genannt, 1931 waren es noch neun.9 Daraus lässt sich errechnen, dass es 1920 ungefähr 40 und zuletzt etwa 30 jüdische Einwohner in Okriftel gab.

Bis 1938 hatten die meisten Juden Okriftel bereits verlassen, nur einige alteingesessene Familien waren in ihrer Heimat geblieben. Der Unternehmer Philipp Offenheimer war Geschäftsführer der florierenden Okrifteler Papierfabrik und Mäzen der Ortsgemeinde. Er unterstützte u.a. den 1929 begonnenen Bau des neuen Rathauses mit großzügigen Geldspenden. Seine Angehörigen blieben nach seinem Tod 1930 in Okriftel, mussten aber 1938 unter massivem Druck das Familienunternehmen für einen Spottpreis verkaufen. Ihnen gelang im letzten Moment die Flucht in die USA, wo sie, nachdem ihre Konten gesperrt worden waren, völlig mittellos ankamen.10

Das Wohnhaus und das Geschäft des Ehepaars Bernhard und Eugenie Hahn dagegen wurden in der Reichspogromnacht demoliert und sämtliche Wertgegenstände entwendet. Eugenie Hahn erlitt bei dem Überfall so schwere Kopfverletzungen, dass sie 1941 im Exil an den Folgen starb. Auch Adolf und Johanna Schwarz, geborene Eskoles, zwei echte Okrifteler Originale, wurden überfallen und ihr Haus in der Neugasse verwüstet. Nachdem die Inneneinrichtung zerstört und sogar Teile des Daches eingerissen worden waren, posierten Jugendliche auf den Trümmern des Hauses und ließen sich fotografieren. Das Ehepaar flüchtete vermutlich nach Frankfurt a.M. zu ihrer Tochter, doch Adolf Schwarz war so verzweifelt, dass er sich 1939 das Leben nahm. Seine Angehörigen wurden schließlich deportiert und in das Internierungslager Minsk verschleppt.11

Betsaal / Synagoge

Ab 1765 unterhielten die Okrifteler Juden einige Jahre lang einen Betraum in einem Privathaus, den sie jedoch bald wieder aufgeben mussten.12 Um 1800 richteten sie erneut eine Synagoge ein, die sich auf einem Grundstück in der Hauptgasse, das ab 1825 Elieser Weil gehörte, befand. Untergebracht war der Betraum vermutlich in dem rund 20 qm großen Anbau13 zum Wohnhaus des Elieser Weil. 1891 übernahmen Johannette und Henriette Weil das Anwesen, das 1902 in den Besitz des Neffen von Henriette Weil, Metzger Bernhard Hahn, überging.14 1903 befand sich die Synagoge laut Kultusvorsteher Adolf Weil seit mehr als hundert Jahren in dem Gebäude. Doch der neue Besitzer Hahn klagte, dass die jüdische Gemeinde sich nicht um die Instandhaltung der beiden Synagogenräume gekümmert habe und auch nicht bereit sei, eine jährliche Gebühr dafür zu bezahlen. Als er schließlich die Gemeindemitglieder auf ihrem Weg zur Synagoge durch seinen Hof wiederholt belästigt und ihnen den Zutritt zur Synagoge verweigert hatte, mietete die Gemeinde 1905 in einem anderen Haus eine Stube für 100 Mark an.15

Möglicherweise befand sich dieser nur vorübergehend genutzte Betraum in einem Haus in der Langgasse, doch noch vor 1910 richtete die Gemeinde eine Synagoge in der ehemaligen Kantine der Okrifteler Zellulosefabrik ein, die Philipp Offenheimer zur Verfügung stellte.16 Wie lange dort Gottesdienste gefeiert wurden, lässt sich nicht nachvollziehen. Da aber in den Rechnungen der Kultusgemeinde, die bis 1932/33 geführt wurden, bis zuletzt Ausgaben für die Unterhaltung der Synagoge aufgelistet sind und der Landrat des Main-Taunus-Kreises den Juden von Hattersheim noch im September 1934 empfahl, sich der Gemeinde Okriftel anzuschließen, dürfte noch bis in die 1930er Jahre hinein, ein Betraum in Okriftel bestanden haben.17

Weitere Einrichtungen

Schule

Die jüdischen Gemeinden Okriftel und Hattersheim bildeten seit 1837 einen Schulverband, dem zeitweilig auch Hofheim angehörte, und stellten zunächst Herz Heimann aus Mannheim als Religionslehrer ein. Zwei Jahre darauf übernahm Samuel Joseph Blaut aus Fürth diese Stelle, der bis 1850 in den Gemeinden tätig war.18 Danach unterrichtete Emanuel Mannheimer, der das Seminar in Langenschwalbach besucht hatte, über 50 Jahre lang die jüdischen Kinder von Okriftel und Hattersheim, seinen Wohnsitz hatte er mit seiner Frau und 11 Kindern in Okriftel. Er lehrte zeitweise in der Elementarschule zu Hattersheim, weil es dem Schulverband an einem geeigneten Lokal fehlte. 1862 diente ein angemieteter Raum im Haus der Witwe des Baruch Ehrmann in Hattersheim als Schulzimmer. Nach Mannheimers Tod 1902 wurde Samuel Blumenthal von Flörsheim, 1913 Kallmann Levi zum Lehrer bestellt.19

Cemetery

Die Okrifteler Juden wurden seit dem 18. Jahrhundert auf dem jüdischen Sammelfriedhof in Niederhofheim beerdigt. Dieser musste jedoch wegen anhaltender Streitigkeiten zwischen der Kultusgemeinde und der Zivilgemeinde Niederhofheim 1872 aufgegeben werden.20 Infolgedessen legten die Juden von Okriftel gemeinsam mit denjenigen von Soden, Hattersheim, Höchst und Hofheim einen neuen Friedhof in Soden an der Niederhofheimer Straße an. Das 2.220 qm große Gelände wurde mit einer Ziegelsteinmauer eingefasst und „Totenhof auf der Schanz“ genannt. Darauf stand eine Leichenhalle, die 1938 von Nationalsozialisten verwüstet und später abgerissen wurde. Bis zur Schließung des Friedhofs 1942 fanden dort 288 Menschen ihre letzte Ruhestätte.21

Bad Soden am Taunus, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Niederhofheim, Alter Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Bad Soden am Taunus, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Fußnoten
  1. Kreuzer: Festschrift 900 Jahre Okriftel, S. 10–11
  2. Aufnahme von Jud Meyer in den Schutz nach Okriftel, 1683, 1703, 1708, in: HHStAW 334, 117
  3. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 1, S. 337–338; Gottesdienst der Juden zu Okriftel, 1761–1765, 1775, in: HHStAW 334, 116; Abschnitt „Zur Geschichte eines Betraumes“, Absatz 1, im Artikel „Okriftel (Stadt Hattersheim am Main) – Jüdische Geschichte“ auf http://www.alemannia-judaica.de/okriftel_synagoge.htm
  4. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 1, S. 337; Judenschutz zu Okriftel, 1798, in: HHStAW 334, 118
  5. Bericht über die Kultusverhältnisse der Juden in Hattersheim und Okriftel, 1891, in: HHStAW 425, 353; Nutzung der Synagoge in Okriftel, 1903, in: HHStAW 425, 263
  6. Vermögensverwaltung der jüdischen Kultusgemeinde Okriftel, Bd. 1, 1896–1913, in: HHStAW 425, 263; Vermögensverwaltung der jüdischen Kultusgemeinde Okriftel, Bd. 2, 1913–1932, in: HHStAW 425, 895; Personalangelegenheiten der jüdischen Kultusgemeinden im Preußischen Landratsamt des Main-Taunus-Kreises, Band 4, 1914–1937, in: HHStAW 425, 884; Israelitische Kultusgemeinde Okriftel, 1854-1884, in: HHStAW 228, 302
  7. Kultusverhältnisse der Juden im Herzoglich-Nassauischen Amt Hochheim, 1841–1876, in: HHStAW 227, 2625; Die israelitische Kultusgemeinde zu Flörsheim, 1816–1867, in: HHStAW 211, 11495; Organisation und Rechtsstellung der Juden und der jüdischen Gemeinden im Preußischen Landratsamt des Main-Taunus-Kreises, Band 3, 1887–1912, in: HHStAW 425, 353
  8. Friedhof für die israelitische Kultusgemeinde des Amtes Höchst in Niederhofheim, 1857–1873, in: HHStAW 228, 405; Organisation und Rechtsstellung der Juden und der jüdischen Gemeinden im Preußischen Landratsamt des Main-Taunus-Kreises, Band 3, 1887–1912, in: HHStAW 425, 353
  9. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 1, S. 337; Vermögensverwaltung der jüdischen Kultusgemeinde Okriftel, Band 2, 1913–1932, in: HHStAW 425, 895
  10. Schmidt: Hattersheim, Eddersheim, Okriftel im Nationalsozialismus, S. 53–67; Kreuzer: Festschrift 900 Jahre Okriftel, S. 43, 46, 58–60, 66–70
  11. Schmidt: Hattersheim, Eddersheim, Okriftel im Nationalsozialismus, S. 63–65; Kreuzer: Festschrift 900 Jahre Okriftel, S. 69
  12. Gottesdienst der Juden zu Okriftel, 1761–1765, 1775, in: HHStAW 334, 116
  13. Flächenangaben laut Stockbucheintrag für Elieser Weil betragen 9 Fuß Länge mal 9 Fuß Tiefe, in: HHStAW 362/34, Stockbuch Okriftel, Bd. 2, Artikel 106; zur Umrechnung der Maße siehe Verdenhalven: Meß- und Währungssysteme, S. 19–20
  14. Immobilien des Elieser Weil, in: HHStAW 362/34, Stockbuch Okriftel, Bd. 2, Artikel 106; Immobilien von Johannette und Henriette Weil, in: HHStAW 362/34, Stockbuch Okriftel, Bd. 8, Artikel 419; Immobilien von Henriette Weil, in: HHStAW 362/34, Stockbuch Okriftel, Bd. 8, Artikel 467; Immobilien von Bernhard Hahn, in: HHStAW 362/34, Stockbuch Okriftel, Bd. 9, Artikel 511
  15. Vermögensverwaltung der israelitischen Kultusgemeinde Okriftel, Bd. 1, 1903–1906, in: HHStAW 425, 263
  16. Kreuzer: Festschrift 900 Jahre Okriftel, S. 46, 52
  17. Vermögensverwaltung der israelitischen Kultusgemeinde Okriftel, Bd. 1, 1896–1913, in: HHStAW 425, 263; Vermögensverwaltung der israelitischen Kultusgemeinde Okriftel, Bd. 2, 1913–1932, in: HHStAW 425, 895; Jüdische Kultusbeamte im Preußischen Landratsamt des Main-Taunus-Kreises, 1914–1937, in: HHStAW 425, 884
  18. Anstellung von Religionslehrern durch die jüdischen Gemeinden in Hattersheim, Okriftel und Hofheim, 1833–1841, in: HHStAW 211, 11485, Bd. 1; Bestellung und Entlassung von Lehrer Samuel Joseph Blaut durch die Kultusgemeinde Hattersheim, 1847–1850 (fol. 3, 50 und 91), in: HHStAW 211, 11485, Bd. 3
  19. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 1, S. 339; Erteilung des jüdischen Religionsunterrichts in der Hattersheimer Elementarschule, 1860–1861, in: HHStAW 228, 299; Lehrerbesoldung und Schulraum in Hattersheim, 1854–1883, in: HHStAW 228, 301; Jüdische Religionslehrer im Landratsamt Höchst a.M., 1888–1914, in: HHStAW 425, 257
  20. Heinemann: Juden in Niederhofheim, S. 43–44; Erweiterung bzw. Schließung des alten Sammelfriedhofes in Niederhofheim, 1857–1873, in: HHStAW 228, 405
  21. Arnsberg: Jüdische Gemeinden, Bd. 2, S.259; Kromer: Leben aus den Quellen, S. 345; Vetter/Wagner: Der jüdische Friedhof in Bad Soden, S. 146; Schließung des Friedhofs, 1942, in: HHStAW 425, 432; Verzeichnis der Grabsteine, 1943, in: HHStAW 365, 968
Recommended Citation
„Okriftel (Main-Taunus-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/23> (Stand: 24.4.2022)