Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Beerfelden Karten-Symbol

Gemeinde Beerfelden, Odenwaldkreis — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1691

Location

64760 Oberzent, Ortsteil Beerfelden, Odenwaldstraße 2 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt II

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

ja

History

Wie in den meisten Gemeinden der früheren Grafen von Erbach sind Juden in Beerfelden erst im ausgehenden 17. Jahrhundert nachweisbar. So wurden hier 1691 David und Elias, zwei Viehhändler, die auch über Hausbesitz verfügten, genannt. 1746 waren es die vier Familien „Veüst, Schlumm, Mardochai und Koppel“1, die eine Gebühr für geschlachtetes Vieh und Schutzgeld zu zahlen hatten. Bis 1756 stieg ihre Zahl auf sechs. Trotz einer eigentlich eingeführten Zuzugsbeschränkung stieg die Zahl der Familien in den folgenden Jahren weiter an. 1786 waren es mit „Salm jun., Salm sen., Jonas, David May, Moses, Witwer, Hertz, Eli, Mendgen Salm Wittwer und Walck“ bereits neun.2 Zu dieser Zeit wurde auch der erste jüdische Schulmeister erwähnt. Spätestens zu dieser Zeit wird sich eine Gemeinde auch formal gebildet haben. Der erste namentlich bekannte Vorsteher war um 1800 Salomon Schloms.

1839 soll Seckel Löb Wormser, der Ba´al Schem von Michelstadt, seinen Geburtstag in Beerfelden gefeiert haben.

1848 kam es zu anhaltenden Ausschreitungen gegen Juden, in deren Verlauf Menschen verletzt, Wohnungen überfallen und die Fenster der Synagoge eingeworfen wurden.3

Ende der 1860er Jahre traten Uneinigkeiten innerhalb der Gemeinde auf. Fünf Familien lösten sich und gründeten die „Freie Israelitische Religionsgemeinde“.4 Die verbliebenen Familien sorgten nach der Gründung des „Vereins der gesetzestreuen Israeliten der Provinz Starkenburg“ mit dafür, dass 1871 der orthodoxe Landesrabbiner Dr. Lehmann Marx in Darmstadt gewählt wurde. Als dieser im November 1871 seinen Antrittsgottesdienst in Beerfelden gehalten hatte, erschien in der Zeitschrift Der Israelit ein begeisterter Beitrag.5 1899 schloss sich die Gemeinde dem orthodoxen Rabbinat in Darmstadt an.

Um 1865 erreichte die Zahl der jüdischen Einwohner mit etwa 195 Personen ihren Höhepunkt. Danach sank sie bis auf 85 Personen um 1931.6

Beerfelden war schon in den 1920er Jahren eine nationalsozialistische Hochburg, in der Juden drangsaliert und aus ihren Geschäften verdrängt werden sollten. Im Juni 1932 wählten bei Landtagswahlen fast zwei Drittel, rund 62,6 Prozent der Stadtbevölkerung, die NSDAP.7

Etwa zur gleichen Zeit, 1925, entstand in Falken-Gesäß das Lehrgut Hirschhof. Diesen mächtigen Komplex aus fast neun Gebäuden und 200 Morgen Acker- und Waldland hatte die Palästinazentrale erworben, um dort junge gesetzestreue Juden in landwirtschaftlichen Arbeiten auszubilden und auf ihre Auswanderung nach Eretz Israel vorzubereiten. Hier gründete sich vorübergehend ein ordnungsgemäßer Minjan.8

Nach der Schändung der Synagoge wurden im November 1938 auch private Wohnungen überfallen. Möglicherweise ist auch der Tod einer unweit wohnenden Jüdin darauf zurückzuführen.9

Am 9. Dezember 1941 löste sich die jüdische Gemeinde offiziell auf. Am 27. September 1942 wurden die letzten drei Juden aus Beerfelden deportiert.

Seit 1990 erinnert eine Bronzetafel an der evangelischen Kirche an die ehemaligen jüdischen Einwohner. 2009 ließ die Gemeinde am Synagogengrundstück eine Gedenktafel anbringen, 2012 wurden 18 Stolpersteine verlegt

Betsaal / Synagoge

Ende des 18. Jahrhunderts nutzten die jüdischen Einwohner einen Raum im Privathaus von Moses May für Gottesdienste. Bald setzten erste Planungen für den Bau einer Synagoge ein, der 1798 unter anderem durch eine Kollekte finanziert werden sollte. 1797 wurde die Baugenehmigung erteilt. Gegen den Neubau protestierte der Oberpfarrer der Stadt, Ferdinand Ernst Bauer, mit der Begründung, die geplante Synagoge liege so nahe an der Kirche, dass der jüdische Gottesdienst, vor allem der jüdische Gesang, den christlichen stören könne. Bis 1809 währte die Auseinandersetzung und endete mit der Anordnung, dass der jüdische Gottesdienst in aller Stille abzuhalten sei und das Schofar nicht am Fenster geblasen werden durfte.

Der große Stadtbrand von 1810 veränderte die Situation vollständig, nachdem auch das Haus von Moses May, seinerzeit Vorsteher der Gemeinde, abgebrannt war. Wenig später wurde die neue Synagoge in der Odenwaldstraße 2 unweit des Wirtshauses Fürstenauer Hof, später Standort des Rathauses, erbaut. Zeitweise hieß die heutige Odenwaldstraße auch „An der Judenschule“.

Vermutlich schon 1835 wurden Sanierungen durchgeführt. Gleichwohl wurde 1888 der Antrag zum Bau einer neuen Synagoge gestellt und genehmigt. Unklar ist, ob es sich tatsächlich um einen Neubau oder eine umfangreiche Sanierung handelte.

1895 erfolgte der Einbau einer Heizung, 1919 der einer Elektroanlage. Nach Angaben von Zeitzeugen war in einen Terrazzo-Boden ein Davidstern eingelassen.

Nachdem die Synagoge in den 1920er Jahren baufällig geworden war und Abraham Salomon Rosenthal eine namhafte Spende überlassen hatte, sollte sie vollständig erneuert werden. In Folge der Inflation ist es dazu aber nicht gekommen.

Im Oktober 1934 wurde in die Synagoge eingebrochen und einige Einrichtungsgegenstände gestohlen, zehn Tage später Scheiben eingeworfen.

In der Synagoge befanden sich 48 Plätze mit Pulten für Männer, 32 Frauenplätze, eine Garderobe mit 80 Einheiten, ein Thoraschrein mit Altaraufbau, ein Almemor mit Vorlesepult und Wickelbank, ein Vorleserpult, zwei Hängelampen, acht Seitenleuchter, 20 Meter Läufer, ein Schrank für Kultgegenstände und ein Ofen.

Am 10. November 1938 überfielen Mitglieder der SA und des örtlichen Reichsarbeitsdienstlagers die Synagoge. Eine ursprünglich vorgesehene Sprengung unterblieb. Stattdessen wurden die Eckständer des zweigeschossigen Fachwerkhauses angesägt und mittels mitgebrachter Baumaschinen zum Einsturz gebracht. Dabei ging auch die Inneneinrichtung verloren. Der Leichenwagen wurde verbrannt.

Nach Abfuhr der Reste wurde der Platz eingeebnet. Er stand noch 1950 im Besitz der politischen Gemeinde.10

Weitere Einrichtungen

Weitere Einrichtungen

An Vereinen bestanden eine Ortsgruppe des Centralvereins der deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens, ein Frauenverein und eine Beerdigungsbruderschaft.

Besonders hervorzuheben ist die Abraham Salomon Rosenthal Stiftung.

Abraham Salomon Rosenthal wurde am 22. März 1854 in Beerfelden geboren. Er erlernte den Kaufmannsberuf und wanderte 1870 nach New York aus. Dort gründete er eine Importfirma und gelangte mit japanischen Seidenwaren zu Wohlstand. Seit 1886 besuchte er jährlich seine Mutter in Beerfelden und erwarb 1891 sein Elternhaus. 1903 nahm die Familie ihren festen Wohnsitz im Ort und stellte den Antrag der Wiedereinbürgerung. Diesem Antrag wurde nicht entsprochen, die Familie verzog um 1910 nach Frankfurt am Main. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg siedelte die Familie zurück nach Amerika. Gleichwohl besuchte Rosenthal regelmäßig seine Heimat und erwies sich dort als großzügiger Spender. So unterstützte er beispielsweise 1926 den Ankauf eines Grundstückes zur Einrichtung eines Friedhofs und 1931 den Bau der Friedhofshalle. 1929/30 richtete er die A. S. Rosenthal´sche Wohlfahrtsstiftung mit Sitz in Beerfelden ein. Die Hälfte der eingelegten Summe in Höhe von 200.000 Reichsmark sollte für den Bau eines Volksbades verwendet, die andere Hälfte in Wertpapieren angelegt werden. Aus den Erträgen sollten Arme unabhängig ihrer Konfession unterstützt werden. Die Unterstützung der jüdischen Einrichtungen knüpfte er allerdings an die Bedingung, dass diese zum liberalen Rabbinat Darmstadt übertrat. Nach einigem hin und her wurde die Stiftung im Februar 1931 genehmigt, zum Bau des Bades kam es allerdings nicht. Bis November 1938 waren alle Juden aus dem Vorstand ausgeschlossen worden oder zurückgetreten. Im Dezember 1940 erfolgte die Umwandlung in die Wohlfahrtsstiftung Beerfelden. Die neue Satzung widersprach in Teilen dem eigentlichen Stiftungszweck, indem als Zuwendungsempfänger ausschließlich Familien arischer Abstammung infrage kamen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Satzung abermals geändert, die Stiftung besteht bis heute.14

Angeblich wurde Abraham Salomon Rosenthal in der Prof.-Braun-Straße ein Gedenkstein gesetzt. Recherchen ergaben aber, dass dort ein Simon Rosenthal Platz mit „Gedenkstätte“ besteht.

Mikwe

Vor dem Übergang an Hessen werden in Privathaushalten Mikwot vorhanden gewesen sein. Erst nach Erlass der Verordnung vom 24. Juli 1825 errichtete die Gemeinde unweit der Mümlingquelle ein Haus, in dem sich eine gemeindeeigene Mikwe befand (heute Mümlingstalstraße 3). Es befand sich dort zudem die Lehrerwohnung und seit 1905 ein Anbau für den Leichenwagen. 1966 wurde das Gebäude abgebrochen.11

Schule

In einer Abgabenliste von 1786 wurde erstmals ein jüdischer Schulmeister erwähnt.12 Unbekannt ist, wo der Unterricht gehalten wurde.

Nach dem großen Stadtbrand 1810 wurde auch eine neue Schule erbaut, deren Standort ebenfalls unbekannt ist.

Nach Erlass der Verordnung von 1823 besuchten die Kinder die örtliche Volksschule, den Religionsunterricht hielt ein staatlich geprüfter Lehrer. Es war dies ab 1824 David Moses Sondheimer, der gelegentlich auch Trauungen vornahm. Um 1900 musste der Lehrer aus seinen eigenen Mitteln ein Schullokal anmieten. Er selbst wohnte in dem um 1826 erbauten Haus unweit der Mümlingquelle, heute Mümlingtalstraße 3.

In der Zwischenkriegszeit wurde wohl der Betraum auch für Unterrichtszwecke genutzt.13

Cemetery

Die Verstorbenen aus Beerfelden wurden zunächst auf dem Verbandsfriedhof in Michelstadt beigesetzt. 1905 erwarb die Gemeinde einen Leichenwagen, den sie auf dem Grundstück neben der Lehrerwohnung abstellte. 1926 ermöglichte eine großzügige Spende von Abraham Salomon Rosenthal den Erwerb eines Grundstücks und die Einrichtung eines eigenen Friedhofs, der am 14. September 1928 eingeweiht wurde. Seit 1931 bestand hier auch eine Leichenhalle. Sie wurde, wie der Friedhof auch, 1938 geschändet, ihre Ruine wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgetragen.15 Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden 13 Bestattungen vorgenommen.

Michelstadt, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Beerfelden, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Michelstadt, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Erbach, Grafen von · David · Elias · Veüst · Schlumm · Mardochai · Koppel · Salm jun. · Salm sen. · Jonas · David May · Moses,Witwer · Hertz · Eli · Mendgen Salm Witwer · Walck · Salomon Schloms · Wormser, Seckel Löb · Marx, Dr. Lehmann · Moses May · Bauer, Ferdinand Ernst · Rosenthal, Abraham Salomon · Sondheimer, David Moses

Places

Beerfelden, Freie Israelitische Religionsgemeinde · Beerfelden, Verein der gesetzestreuen Israeliten der Provinz Starkenburg · Darmstadt · Falken-Gesäß · Falken-Gesäß, Lehrgut Hirschhof · Beerfelden, Fürstenauer Hof · Beerfelden, Centralverein der deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens · Beerfelden, Frauenverein · Beerfelden, Beerdigungsbruderschaft · Beerfelden, A.S. Rosenthal'sche Wohlfahrtsstiftung · New York · Frankfurt am Main · Amerika · Michelstadt

Sachbegriffe Geschichte

Ba’al Schem von Michelstadt · NSDAP · Landtagswahlen 1932 · Palästinazentrale · Auswanderung · Stolpersteine · Beerfelden, Stadtbrand 1810

Sachbegriffe Ausstattung

Schofarot · Terrazzoböden · Davidsterne · Pulte · Garderoben · Thoraschreine · Altaraufbauten · Almemore · Vorlesepulte · Hängelampen · Wickelbänke · Seitenleuchter · Läufer · Schränke · Öfen · Leichenwagen

Sachbegriffe Architektur

Gedenktafeln · Ständer

Fußnoten
  1. Kaufmann, 2003, S. 23.
  2. Kaufmann, 2003, S. 24.
  3. Kaufmann, 2003, S. 34.
  4. Kaufmann, 2003, S. 43.
  5. Der Israelit vom 22. November 1871.
  6. Alicke, 2008, Sp. 393.
  7. Kaufmann, masch. Man.
  8. Der Israelit vom 19. August 1926.
  9. Kaufmann, 2003, S. 92.
  10. HHStAW 518, 1395.
  11. Reutter, 2002, S. 117.
  12. Kaufmann, 2003, S. 93.
  13. Kaufmann, 2003, S. 24.
  14. HHStAW 518, 1395.
  15. Kaufmann, 2003, 54.
Recommended Citation
„Beerfelden (Odenwaldkreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/94> (Stand: 22.7.2022)