Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Oberasphe Karten-Symbol

Gemeinde Münchhausen, Landkreis Marburg-Biedenkopf — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

um 1718

Location

35117 Münchhausen, Ortsteil Oberasphe, Weite Höhe | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

nein

Jahr des Verlusts

ca. 1958

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Die Grafen von Wittgenstein-Battenberg, Lehnsnehmer des seit dem 12. Jahrhundert die Ortsherrschaft haltenden Erzbistums St. Stephan in Mainz, stellten die Ortsherrschaft im Gericht Frohnhausen, zu dem Oberasphe gehörte. Im 13. Jahrhundert teilten sich das Erzbistum und der Landgraf von Hessen die Territorialherrschaft. Ab 1430 bis 1717 übten die Herren von Dersch als Lehnsnehmer der Landgrafen und nach ihnen landgräfliche Beamte die Rechte am Gerichtsbezirk Frohnhausen aus. 1648 kam Oberasphe an die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt, es wurde dem Amt Battenberg zugeteilt. 1820 ordnete eine Verwaltungsreform Oberasphe als Ortsteil Frohnhausens dem Kreis Biedenkopf, Landgericht Battenberg, zu.

Um 1718 werden mit zwei Familienoberhäuptern erstmals Juden in Oberasphe genannt. Im ca. zwei Kilometer nordwestlich gelegenen Frohnhausen sind zur gleichen Zeit ebenfalls zwei jüdische Familien nachgewiesen.1 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts lebten acht jüdische Familien in Oberasphe.2 Um 1921 waren es 26 Personen.3

Die Oberaspher Juden bildeten gemeinsam mit den in Frohnhausen lebenden eine Synagogengemeinde, die vermutlich bereits seit dem 18. Jahrhundert bestand.4 Um 1932 bekleidete Samuel Stern das Amt des Vorstehers. Die jüdische Gemeinde besaß vermutlich drei Thorarollen.5

Etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts lebten die jüdischen Oberaspher als Händler (Vieh, u.a.), es gab Metzger und einen Nebenerwerbsschuster; eine Familie, betrieb eine Gastwirtschaft.

Bereits vor 1939 war die Mehrheit der jüdischen Oberaspher aus dem Ort weggezogen. Die ohnehin schon immer kleine Gemeinde hatte bereits keinen eigenen Minjan mehr. Offiziell wurde die Synagogengemeinde um 1933 für aufgelöst erklärt.

Die letzten 13 jüdischen Oberaspher wurden vor 1942 verhaftet und in Konzentrationslager und Ghettos (Sachsenhausen, Stutthof, Theresienstatt) deportiert.6 Niemand von ihnen überlebte.

Betsaal / Synagoge

Die einzig fassbare Synagoge stand auf der heutigen Flur 9, vermutlich auf dem Grundstück mit der heutigen Nummer 58/2, nahe der Kreuzung Dexbacher Straße und Weite Höhe. Sie lag etwa 30 Meter südwestlich von der evangelischen Kirche entfernt, im Südwesten des alten Ortskerns. Vermutlich hob sich das Haus, als hinterer Anbau an eine Scheune, nur über den Hof eines Grundstücksanliegers erreichbar, nicht von den Nachbargebäuden ab. Die Gestaltung der nördlichen Traufseite mit den beiden separaten Eingangstüren für Männer und Frauen ließ den besonderen Charakter des Baus erahnen.

In dem spätestens seit 1892 als Synagoge genutzten Gebäude lagen sowohl der Gottesdienstraum, der auch als Versammlungsraum nutzbar war, die Mikwe, als auch vermutlich Wohnräume der Witwe Stern.7 Eigentümer waren bis um 1907 zu entsprechenden Teilen die Nutzer.

Aufgrund vorliegender Abbildungen und Rekonstruktionszeichnungen, die nur die Nordtraufe des Gebäudes eindeutig zeigen8, kann es folgendermaßen beschrieben werden: Das zweigeschossige Fachwerkgebäude wurde vermutlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet und später für gottesdienstliche Zwecke umgebaut. Es stellte sich als ein dreizonig gebautes, eventuell um den östlichen Teil erweitertes Rähmfachwerkhaus dar, mit der zeittypischen Fachwerkkonstruktion aus geschosshohen, divergierenden Streben, Brustriegeln und Wandstielen; die Eckständer liefen über beide Geschosse. Im westlichen Bereich des Gebäudes verliefen die Deckenbalken von Nord nach Süd, im östlichen Drittel von West nach Ost. Über einem niedrigen Sockel aus Bruchsteinen erhob sich das Gebäude zur Nutzungszeit als Synagoge über einem Grundriss von 6,50 x 11,50 Metern. Das Satteldach war, vergleichbar der Deckung der Nachbarbebauung, vermutlich mit Biberschwanzziegeln gedeckt.9

Vermutlich befanden sich im westlichen Gebäudeteil auf zwei Geschossebenen die als Wohnung und für Gemeindeversammlungen genutzten Räume. Diese und die entlang der Westwand verlaufende Frauenempore wurden durch die westliche Eingangstüre erschlossen. Zum Gottesdienstraum, der im Ostteil des Hauses lag, gelangten die Besucher durch die östlich gelegene Eingangstüre. Beide Türen waren um etwa eine Stufe erhöht eingebaut. Durch zwei hochrechteckige Kreuzstockfenster im Obergeschoss wurde der Gottesdienstraum von Norden her erhellt.10 Die Wohnräume im Westen besaßen in der Nordtraufe im Unter- und Obergeschoss je ein mittelgroßes Kreuzstockfenster.

Der Gottesdienstraum wurde dominiert von dem in der Mittelachse vor der Ostwand um eine Stufe erhöht stehenden hölzernen Aron Hakodesch. Er war mit einem Samtvorhang geschmückt und wies im Dreiecksgiebel-Aufsatz eine hebräische Inschrift auf. In der Achse, in geringem Abstand davor nach Westen versetzt, war das hölzerne Vorbeterpult aufgestellt. Entlang der Nord- und Südwand waren die Männerbänke gestellt. Die Blickrichtung ging nach Osten. Vermutlich waren die Wände farbig geschmückt. Überliefert ist die Ausstattung der Synagoge mit Strom.11 Über weitere Details der inneren Ausstattung ist nichts bekannt.

Der letzte Gottesdienst wurde vermutlich 1938 abgehalten.12

Nach 1907 bis 1950 weist das Kataster die jüdische Gemeinde als alleinige Eigentümerin nach. Bis 1953 war dies die JRSO, die es an einen Privatmann verkaufte. In den darauf folgenden Jahren verfiel das seitdem als Werkstatt genutzte Gebäude zusehends, weshalb es vor 1960 abgerissen wurde.13

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Im Keller des als Synagoge genutzten Fachwerkgebäudes befand sich im westlichen Bereich vermutlich ein rituelles Tauchbad. Dieses wurde erschlossen durch die westliche Eingangstüre, über einen Flur und eine Treppe in den Keller.14

Schule

1887 besuchten fünf und 1892 acht jüdische Kinder die staatliche Volksschule Oberasphe. Religionsunterricht erhielten die jüdischen Kinder zeitweise in Battenberg oder Wetter, um 1940 auch am Ort, in den Räumen der Synagoge.15

Cemetery

Vor 1922 begruben die Oberaspher Juden, genauso wie die Christen, ihre Verstorbenen auf den entsprechenden Friedhöfen in Frohnhausen, die Juden zudem für wenige Jahre in Wetter.16 Der jüdische Friedhof Frohnhausens liegt auf dem Eifaerberg. Nachdem er um 1915 aufgelassen worden war, beerdigten die Oberaspher Juden ihre Verstorbenen auf dem jüdischen Friedhof im ca. 12 Kilometer östlich entfernt gelegenen Wetter. Um 1922 wurde die Genehmigung zur Anlage eines Friedhofes in der Gemarkung Oberasphe, auf dem Kuhrtsberg, ca. 1,5 Kilometer östlich des Dorfes, Flur 6, erteilt. Die erste Beerdigung von insgesamt nur vier Beisetzungen fand 1928 statt, der jüngste Grabstein erinnert an Regine Hess, die im Februar 1940 beerdigt wurde.

Frohnhausen, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Wetter, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Oberasphe, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Wittgenstein-Battenberg, Grafen von · Dersch, Herren von · Stern, Samuel · Stern, Witwe des · Hess, Regine

Places

Mainz · Frohnhausen · Battenberg · Wetter

Sachbegriffe Geschichte

St. Stephan, Erzbistum · Hessen-Darmstadt, Landgrafschaft · Minjan · Konzentrationslager · Ghettos · Sachsenhausen, Konzentrationslager · Stutthof, Konzentrationslager · Theresienstadt, Ghetto · JSRO · Jewish Restitution Successor Organisation

Sachbegriffe Ausstattung

Thorarollen · Aron Hakodesch · Samtvorhänge · Inschriften · Vorbeterpulte

Sachbegriffe Architektur

Fachwerkgebäude · Rähmfachwerk · Streben · Brustriegel · Deckenbalken · Wandstielen · Eckständer · Sockel · Bruchsteine · Satterdächer · Biberschwanzziegel · Frauenemporen · Kreuzstockfenster

Fußnoten
  1. Wagner/Naumann, Engelbach, S. 45; Ortsartikel Oberasphe auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  2. Wagner/Naumann, Engelbach, S. 44
  3. Wagner/Naumann, Engelbach, S. 64
  4. Ortsartikel Oberasphe auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  5. Wagner/Naumann, Engelbach, S. 60
  6. Gedenkstätte Yad Vashem (s. Weblink)
  7. Wagner/Naumann, Engelbach, S. 57
  8. Wagner,/Naumann, Engelbach, S. 58 f.
  9. Wagner/Naumann, Engelbach, S. 58 f.
  10. In der Südtraufe waren vermutlich baugleiche Fenster zu denen im Norden eingebaut; vgl. Abb. Wagner, Naumann, Engelbach, S. 60
  11. Wagner/Naumann, Engelbach, S. 59
  12. Wagner/Naumann, Engelbach, S. 60
  13. Wagner/Naumann, Engelbach, S. 53 f.
  14. Wagner/Naumann, Engelbach, S. 59
  15. Wagner/Naumann, Engelbach, S. 81
  16. Wagner/Naumann, Engelbach, S. 62
Recommended Citation
„Oberasphe (Landkreis Marburg-Biedenkopf)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/173> (Stand: 5.9.2022)