Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Ober-Ramstadt Karten-Symbol

Gemeinde Ober-Ramstadt, Landkreis Darmstadt-Dieburg — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1734

Location

64372 Ober-Ramstadt, Hammergasse 7 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Darmstadt I

religiöse Ausrichtung

liberal

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1938

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Während in Nieder-Ramstadt, dessen jüdische Einwohner zur Gemeinde Ober-Ramstadt gehörten, erstmals 1560 Seligmann als dort lebender Jude genannt wurde, erscheint die erste Nennung für Ober-Ramstadt erst 1734, als die Ehefrau des Mayer einen Sohn gebar und dieser Bonem genannt wurde. 1739 wurde als zweite Nennung Joseph genannt, dem 1752 Löw hinzutrat.1 Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der jüdischen Familien an. In den 1820er Jahren wurden Heyum Meyer, David Meyer Wartensleben, Abraham Salomon Simon, Liebmann May, David Messel und Marx Mayer genannt. Allerdings waren Grund der Nennung ihre Anträge auf Befreiung von Schutzgeldzahlungen. Sie zählten folglich zu den ärmsten Einwohnern, während die regelmäßigen Zahler, darunter die Familien May und Bendorf nicht aufgeführt wurden. Die Zahl der jüdischen Einwohner insgesamt lag 1825 bei 30.

Wann sich eine eigene Gemeinde konstituierte, ist nicht bekannt, 1831 bestand sie jedenfalls.

1861 schenkten die Eheleute Emanuel Neu II. aus Lützelsachsen Meyer Wartensleben eine Thora, einen silbernen Lesefinger und einen Thoravorhang mit Gold- und Silberborden. Wartensleben wiederum übergab diese zum Gebrauch in die Synagoge, behielt sich und seiner Familie allerdings das Besitzrecht vor. Diesen Bedingungen hatte der Gemeindevorstand zuvor zugestimmt.2

Die Zahl der jüdischen Einwohner stieg bis Ende des 19. Jahrhunderts weiter an und erreichte 1910 mit 87 Personen ihren höchsten Stand, der bis 1933 nur wenig auf 73 sank.3

Bis 1938 konnten viele jüdische Familien aus Ober-Ramstadt fliehen. Sie emigrierten teilweise nach Amerika, teilweise zogen sie in die nahe gelegenen Großstädte um.

Während der Novemberpogrome wurden nach der Zerstörung der Synagoge auch private Wohnungen überfallen und deren Bewohner misshandelt. Dabei wurde das Haus der Familie Wartensleben ein Raub der Flammen.

15 Personen wurden deportiert und ermordet.

Seit 2010 werden in Ober-Ramstadt Stolpersteine verlegt.

Betsaal / Synagoge

Die um 1886 erbaute Synagoge war ein eher schlichter, traufständiger, eingeschossiger Massivbau mit Satteldach, der große Ähnlichkeit mit der Synagoge in Groß-Umstadt aufwies. Die Traufwände waren von je drei hochrechteckigen Rundbogenfenstern durchfenstert. Der von zwei kleineren Rundbogenfenstern flankierte Eingang lag in der Giebelwand, darüber befand sich ein weiteres, rundes Fenster. Über dem Inneren erstreckte sich über dem Eingang die Frauenempore.4 Der Raum barg 48 Sitzplätze mit Pulten für Männer, 32 für Frauen und eine Garderobeneinrichtung mit 80 Einheiten. Zur Ausstattung zählten weiterhin ein Thoraschrein mit holzgeschnitztem Altaraufbau, ein Vorleserpult mit Wickelbank, ein Kristalllüster mit 50 Flammen, eine Hängelampe, sechs Seitenleuchter, zwei Kandelaber, eine Leuchte am Thoraschrein, ein guter Teppich, 40 Meter guter Läufer, ein Ofen, zwei Schränke für Kultgegenstände und eine Wanduhr.

Unter den Kultgegenständen befanden sich fünf Thorarollen, zwei silberne antike Thorakronen, zwei silberne antike Thoraschilder, zwei silberne antike Zeigefinger, 15 reichlich goldbestickte Thoramäntel, 100 handbemalte Wimpel, fünf handbemalte goldbestickte Thoraschreinvorhänge, fünf handgestickte Deckengarnituren mit Goldstickerei für das Vorleserpult, eine Ewige Lampe, zwei siebenarmige Leuchter aus Messing, ein silberner Channukahleuchter, ein Jahreszeitleuchter, drei silberne Weinbecher, zwei silberne Hawdalahgarnituren, ein Megillah, ein Schofarhorn, 20 Gebetmäntel, zehn Paar Gebetriemen, 25 Gebetbücher, 25 Festgebetbücher, 25 Pentateuche, ein Priesterwaschbecken aus Messing mit Kanne, zwei handgeschriebene Pergamentrollen mit Haftaroth und eine silberne Etrogbüchse. Der Wert dieser Einrichtung wurde auf rund 66.500 D-Mark taxiert.5

Am Morgen des 10. November 1938 zerschlugen SA Leute die Inneneinrichtung, später wurde das Gebäude in Brand gesetzt. Im April 1941 forderte der Bürgermeister die Bezirksstelle Hessen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland auf, die Reste entfernen zu lassen, ebenso wie das ebenfalls auf dem Grundstück stehende abbruchreife Wohnhaus, das früher der Gemeinde gehört hatte. Er taxierte den Wert der Liegenschaft auf 1.500 Mark und bot nach Abzug aller „Nebenkosten“ 493,19 Reichsmark, um das Grundstück nach dem Krieg in einen Parkplatz umwandeln zu können.5 Im Zuge eines Vergleiches zahlte die Stadt nach dem Krieg 3.480 DM an die JRSO.7

Am 7. Juni 1983 weihte die Stadt Ober-Ramstadt an der Stelle, an der früher die Synagoge stand, einen Gedenkstein mit der Inschrift „Hier stand die Synagoge unserer jüdischen Mitbürger. Sie wurde am 8. November 1938 durch Brandstiftung zerstört. Du sollst nicht rachgierig sein, noch Zorn halten gegen die Kinder Deines Volkes. Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ ein.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

In den 1830er Jahren bestand in Ober-Ramstadt eine Mikwe, ohne dass deren Standort bislang bekannt geworden ist.8

Schule

Auf dem Grundstück der Mitte der 1880er Jahre erbauten Synagoge befand sich ein zweistöckiges Wohnhaus, das die Schule und zeitweise auch die Lehrerwohnung barg.

Cemetery

Die Verstorbenen der Gemeinde wurden ab etwa 1800 auf dem Friedhof in Dieburg bestattet.

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

Grabstätten

Dieburg, Jüdischer Friedhof: Grabstätten anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Seligmann · Mayer · Bonem · Joseph · Löw · Heyum Meyer · David Meyer Wartensleben · Abraham Salomon Simon · Liebmann May · David Messel · Marx Mayer · May, Familie · Bendorf, Familie · Neu II., Emanuel · Wartensleben, Meyer

Places

Nieder-Ramstadt · Lützelsachsen · Groß-Umstadt · Dieburg · Amerika

Sachbegriffe Geschichte

Schutzgelder · Novemberpogrome · Stolpersteine · Reichsvereinigung der Juden in Deutschland · Jewish Restitution Successor Organisation

Sachbegriffe Ausstattung

Thora · Lesefinger · Thoravorhänge · Thoraschreine · Altaraufbauten · Vorlesepulte · Wickelbänke · Kristalllüster · Hängelampen · Seitenleuchter · Kandelaber · Leuchten · Teppiche · Läufer · Öfen · Schränke · Wanduhren · Thorarollen · Thorakronen · Thoraschilde · Zeigefinger · Thoramäntel · Wimpel · Thoravorhänge · Deckengarnituren · Ewige Lampen · Leuchter · Chanukkaleuchter · Jahrzeitleuchter · Weinbecher · Hawdalah-Garnituren · Megillot · Schofarot · Gebetmäntel · Gebetriemen · Gebetbücher · Festgebetbücher · Pentateuch · Etrogbüchsen · Gedenksteine

Sachbegriffe Architektur

Traufwände · Satteldächer · Rundbogenfenster · Frauenemporen · Giebelwände

Fußnoten
  1. Beier, 1988, S. 17
  2. Beier, 1988, S. 33
  3. Beier, 1988, S. 19
  4. Lange, 1997, S. 103
  5. HHStAW 518, 1364
  6. Beier, 1988, S. 157
  7. HHStAW 503, 7380
  8. Beier, 1988, S. 30
Recommended Citation
„Ober-Ramstadt (Landkreis Darmstadt-Dieburg)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/156> (Stand: 23.7.2022)