Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Niederweidbach Karten-Symbol

Gemeinde Bischoffen, Lahn-Dill-Kreis — Von Wolfgang Fritzsche
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

1733

Location

35649 Bischoffen, Ortsteil Niederweidbach, Hauptstraße 23 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Marburg

preserved

nein

Jahr des Verlusts

1957

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Niederweidbach wurde Ende des 8. Jahrhunderts erstmals urkundlich erwähnt und gelangte um 1168 in die Hand der Grafen von Solms. Ab Mitte des 14. Jahrhunderts wurde es gemeinsam von den Grafen von Solms und den hessischen Landgrafen regiert und kam 1567 ganz in deren Hände. Seit 1629 gehörte es zu Hessen-Darmstadt und wurde 1866 preußisch. Seit 1974 gehört es zur Gemeinde Bischoffen im Lahn-Dill-Kreis.

Die erste bislang bekannte namentliche Nennung eines in Niederweidbach lebenden Juden stammt aus dem Jahr 1733, als Meyer in Zusammenhang mit einer Geldforderung genannt wurde.1 Zu dieser Zeit gehörten die im Ort lebenden Juden zu der um 1720 gegründeten Gemeinde in Gladenbach.

Um 1830 lag die Zahl jüdischer Einwohner bei 32; 1850 beantragten diese die Loslösung von der Muttergemeinde und die Bildung einer eigenständigen Synagogengemeinde. Bereits seit 1842 nutzten sie eine eigene Synagoge. Zur Gemeinde gehörten zeitweise auch die in Mudersbach und Hohensolms, später auch in Altenkirchen wohnenden Juden. In diesem Jahr lebten in Niederweidbach die Familien von Michel Katz, Herz und Elkan Katz, Meier Katz II, Löb Rosenthal, Meier Katz I, Feist Katz, Seligmann Simon, Liebmann Stern sowie Wolf und Nathan Stern.2 Erster Vorsteher der selbstständigen Gemeinde wurde Nathan Stern.

Die meisten Mitglieder - die zu den ärmsten Juden im Kreis zählten3 - hatte die Gemeinde im Jahr 1885, als ihr 43 Personen angehörten. Sie erwirtschafteten ihr Familieneinkommen überwiegend aus dem Viehhandel und betrieben nebenbei Landwirtschaft. 1927 gab es zudem eine Manufakturwarenhandlung. Um 1930 eröffnete ein Glas- und Porzellangeschäft.

Im Ersten Weltkrieg fiel Siegmund Simon, sein Name wurde mit dem aller Opfer dieses Krieges auf dem Kriegerdenkmal festgehalten.

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten die Familien von Moses Simon, Moses Katz, Salli Simon, Moses Stern, Salli Stern, Moritz Stern und Wolf Meyer im Ort.4

Nach der Machtübergabe soll sich das Verhältnis der Christen zu den Juden nur langsam verändert haben. So hat ein Mitglied der Familie Stern bis Ende der 1930er Jahre in der örtlichen Fußballmannschaft gespielt.5 Gleichwohl hatten auch sie unter den Repressalien zu leiden.

In der Pogromnacht wurde die Synagoge aufgebrochen und die Inneneinrichtung zerstört. Der Name Siegmund Simon, Opfer des Ersten Weltkrieges, wurde aus dem Kriegerdenkmal herausgemeißelt.6 Nach dem Überfall auf die Synagoge wurden die männlichen Gemeindemitglieder verhaftet und deportiert. Es waren wohl vor allem örtliche Jugendliche, die die Familien nachts mit Steinwürfen, Drohungen und Beleidigungen bedrängten.

Die Gemeinde bestand 1938 aus rund 25 Personen. Moritz Stern verzog noch 1938 nach Herborn, die Schwestern Sally und Hanna Stern konnten 1939 nach Argentinien auswandern. 1942 wurden die verbliebenen jüdischen Einwohner deportiert und im Holocaust ermordet.

Betsaal / Synagoge

1842 bestand in Niederweidbach eine Synagoge in einem anderthalbstöckigen Fachwerkhaus unweit der Kirche.7 Angeblich verfügte sie über eine Empore für Männer, während Frauen und Kinder zu ebener Erde Platz nahmen. Der Betraum war ungefähr 9 mal 4 Meter groß und wurde von einem Kristallleuchter beleuchtet. Buntes Glas verzierte die Fenster. Hier wurde auch Unterricht für die Kinder erteilt.8 Das Vorstandszimmer befand sich in einem von diesem Raum abgetrennten Zimmer.

Die Inneneinrichtung der Synagoge bestand aus 29 Sitzplätzen mit Pulten für Männer, vier Notsitzen für Männer, 14 Sitzplätzen für Frauen, einer Garderobenvorrichtung mit 50 Einheiten, einem Thoraschrein mit Altaraufbau, einem Vorlesepult mit Wickelbank, einem Vorbeterpult, einem Kronleuchter, vier Seitenleuchtern, zwei Leuchtern am Thoraschrein, einem Schrank für die Kultgeräte, einer Wanduhr sowie einem elektrischen Heizkörper. Im Vorstandszimmer standen ein Tisch mit fünf Stühlen, eine Bank und ein Schrank.

Zu den Kultgeräten zählten vier Thorarollen, eine silberne Thorakrone, ein Paar silberne Thoraaufsätze mit Schellen, zwei silberne Thoraschilder, ein silberner und ein hölzerner Lesefinger, zwölf mit Gold bestickte Thoramäntel, 25 handbemalte und goldbestickte Wimpel, zwei Thoraschreinvorhänge mit Übervorhängen aus Samt und Seide, die ebenfalls mit Gold bestickt waren, vier weitere Thoraschreinvorhänge aus Samt und Seide, drei goldbestickte Decken für das Vorbeterpult, drei goldbestickte Decken für das Vorlesepult, eine silberne Ewige Lampe, ein siebenarmiger Leuchter aus Messing, zwei Channukkaleuchter aus Messing, ein Jahrzeitleuchter, zwei silberne Weinbecher, eine silberne Hawdallahgarnitur, ein Trauhimmel aus goldbesticktem Samt und Brokat, ein Megillah mit Mantel, zwei Schofarhörner, vier Gebetmäntel mit Silberborten, zwei einfache Gebetmäntel, fünf paar Gebetriemen, 20 Gebetbücher, fünf Sätze Festgebetbücher, ein Satz Aufrufplatten, ein Priesterwaschbecken mit Kanne aus Bronze, eine silberne Etrogbüchse und zwei Almosenbüchsen.9

In der Pogromnacht wurde die Synagoge aufgebrochen und die Inneneinrichtung zerstört. Am folgenden Tag kam es zu Diebstählen aus dem offenen Gebäude. Auf eine Brandschatzung wurde wegen der dichten Nachbarbebauung verzichtet.

Das Gebäude wurde von der bürgerlichen Gemeinde an Karl Hartmann und Karl Herrmann verkauft, die es 1957 „wegen Baufälligkeit“ abrissen.10

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Es gab wohl eine Mikwe, über die aber nichts weiter bekannt wurde.

Schule

Die zumeist nur wenigen schulpflichtigen Kinder besuchten seit 1823 die örtliche Schule und erhielten in der Synagoge Religionsunterricht. Ein eigener Lehrer war nur zeitweise und dann nur kurzfristig angestellt.

Cemetery

Der Friedhof liegt östlich des Ortes Richtung Roßbach. Hier fanden auch die Verstorbenen aus Mudersbach ihre letzte Ruhe. Im Zuge der Novemberpogrome 1938 wurden die Einzäunung sowie Grabsteine und Grabeinfassungen zerstört.

Heute befinden sich auf dem Friedhof nur noch 13 Grabsteine, obwohl es deutlich mehr Bestattungen gab. Der älteste lesbare Stein stammt von 1835, der jüngste von 1910.

Niederweidbach, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Solms, Grafen von · Meyer · Katz, Michel · Katz, Herz · Katz, Elkan · Katz II, Meier · Rosenthal, Löb · Katz I, Meier · Katz, Feist · Simon, Seligmann · Stern, Liebmann · Stern, Wolf · Stern, Nathan · Simon, Sigmund · Simon, Moses · Katz, Moses · Simon, Salli · Stern, Moses · Stern, Salli · Stern, Moritz · Meyer, Wolf · Stern, Sally · Stern, Hanna · Hartmann, Karl · Hermann, Karl

Places

Bischoffen · Gladenbach · Hohensolms · Altenkirchen · Mudersbach · Herborn · Argentinien · Roßbach

Sachbegriffe Geschichte

Pogromnacht · Holocaust

Sachbegriffe Ausstattung

Thoraschreine · Altaraufbauten · Vorlesepulte · Wickelbänke · Vorbeterpulte · Kronleuchter · Seitenleuchter · Leuchter · Schränke · Wanduhren · Heizkörper · Thorarollen · Thorakronen · Thoraaufsätze · Schellen · Thoraschilde · Lesefinger · Thoramäntel · Wimpel · Thoravorhänge · Decken · Ewige Lampen · Chanukkaleuchter · Jahrzeitleuchter · Weinbecher · Hawdalah-Garnituren · Trauhimmel · Megillot · Schofarot · Gebetmäntel · Gebetriemen · Gebetbücher · Festgebetbücher · Aufrufplatten · Priesterwaschbecken · Kannen · Etrogbüchsen · Almosenbüchsen

Sachbegriffe Architektur

Fachwerkbauten · Emporen

Fußnoten
  1. HHStAW 171, G 531
  2. Runzheimer, Abgemeldet zur Auswanderung 1, S. 79
  3. Runzheimer, Abgemeldet zur Auswanderung 1, S. 80
  4. Groß, Niederweidbach, S. 23
  5. Groß, Niederweidbach, S. 233
  6. Groß, Niederweidbach, S. 233
  7. Altaras, Synagogen, S. 222
  8. Groß, Niederweidbach, S. 233
  9. HHStAW 518, 1179
  10. HHStAW 518, 1179
Recommended Citation
„Niederweidbach (Lahn-Dill-Kreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/167> (Stand: 5.9.2022)