Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Nieder-Ohmen Karten-Symbol

Gemeinde Mücke, Vogelsbergkreis — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

16. Jahrhundert

Location

35325 Mücke, Ortsteil Nieder-Ohmen, Elpenröder Straße 5 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Die Landgrafen von Hessen waren Ortsherren in Nieder-Ohmen. Während des beginnenden 18. Jahrhunderts bis ins ausgehende 19. Jahrhundert fungierten die Freiherren von Schenk zu Schweinsberg als Amtmänner; 1806 ging die Verwaltung an Hessen-Darmstadt.

Schon seit dem 16. Jahrhundert lebten Juden in Nieder-Ohmen.1 Um 1813 lag die Zahl bei 462, um die Jahrhundertwende bei 79 Juden Personen, was bei 1.214 Einwohnern ca. 6,4 Prozent entspricht.3

Trotz erheblicher Repressalien, die bereits um die Mitte der 1920er Jahre einsetzten, blieb die Mehrheit der jüdischen Einwohner Nieder-Ohmens im Ort wohnen.4 Erst die zunehmend gewalttätige politische Lage seit den beginnenden 1930er Jahren ließ die zuvor verhältnismäßig große Synagogengemeinde durch Aus- und Abwanderung schrumpfen.5

Vermutlich bestand bereits seit dem 18. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde, zu der auch die Juden aus Merlau gehörten. Um 1827 war Jakob Roth Vorsteher der Synagogengemeinde.6 Um 1898 waren Seligmann Simon und Simon Frank aus Nieder-Ohmen sowie Abraham Wolf aus Merlau im Vorstand der jüdischen Gemeinde.7 Rund 30 Jahre später standen ihr Emanuel Frank, Jacob Roth IV und Maier Stern vor. Die Gemeinde besaß mehrere Thorarollen.8 Der Broterwerb der jüdischen Familien gründete im Wesentlichen auf den Vieh- und Krämerwarenhandel.

1938 wurde die Synagogengemeinde formell aufgelöst9 und die Enteignung der jüdischen Nieder-Ohmer begonnen.10 Während der NS-Zeit wurden 36 jüdische Nieder-Ohmer in Konzentrationslagern ermordet. Die übrigen der 1933 noch gemeldeten 69 Personen zogen aus der Gemeinde weg oder emigrierten u.a. nach Nordamerika.11

Betsaal / Synagoge

Für 1796 lässt sich zum ersten Mal ein Betraum nachweisen; er war in einem privaten Wohnhaus eingerichtet. Männer und Frauen saßen auf einer Ebene. Nachdem dieses Gebäude abgebrannt war, kam die jüdische Gemeinde mit einem ihrer Mitglieder zu einer pragmatischen und für beide beteiligten Parteien wirtschaftlichen Alternativlösung: dem Neubau eines größeren, neu gestalteten Betraums, der ebenfalls innerhalb eines privaten Wohnhauses liegen sollte. Dieser Neubau wurde unter Mitbenutzung der Reste des zuvor abgebrannten Hauses gemeinsam finanziert.

Diese zweite Synagoge wurde am 10.11.1827 eingeweiht; sie stand in der schmalen Straße „Am Eck“, vermutlich Hausnummer 5 bzw. Elpenröder Str. 34/35. Das äußere Erscheinungsbild des Gebäudes entsprach der umgebenden Wohnbebauung. Über sichtbare Attribute des jüdischen Glaubens ist nichts bekannt.

Es gab eine Frauenempore mit 35 Plätzen; im Untergeschoss hatten 50 Männer Platz. Bis 1927, dem 100jährigen Jubiläum der Synagoge, war die Gemeinde erheblich gewachsen, so dass der Platzbedarf weitaus höher lag als das vorhandene Angebot des auch als Schule und Versammlungsraum dienenden Betsaales. Eine Erweiterung der Synagogenräume wurde jedoch wegen angespannter Haushaltslage nicht vorgenommen.12

Bereits 1935 wurde die Synagoge durch Nationalsozialisten geschändet, wobei auch Thorarollen zerstört wurden. 1937 verkaufte die jüdische Gemeinde Nieder-Ohmen das Gebäude an eine nichtjüdische Familie, nutzte den Betraum allerdings bis zur Auflösung der Gemeinde weiterhin für ihre Gottesdienste. Während der Pogromnacht 1938 wurden die Scheiben der Synagoge zertrümmert und die Inneneinrichtung samt der Kultgegenstände auf die Straße geworfen und vernichtet.13 Das Gebäude selbst blieb weitgehend unbeschädigt. Durch zahlreiche Umbaumaßnahmen über die Nutzung als Apotheke bis hin zur kompletten Nutzung für ein Wohnhaus in den vergangenen Jahrzehnten wurde die Gestalt des Gebäudes und der ehemaligen Synagoge unwiederbringlich verändert.14

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Für 1843 ist das Vorhandensein eines Tauchbades in Nieder-Ohmen im Keller eines privaten Wohnhauses belegt. Vor und nach dessen Nutzung bestanden vermutlich weitere Mikwen im Ort.15

Das eigens als Mikwe um 1918/19 errichtete Gebäude in der Grubenbacher Straße Nr. 35 besaß eine Grundfläche von etwa 18 Quadratmetern. Das kleine Backsteingebäude am nördlichen Ortsrand war unterkellert und wurde durch das fließende Wasser des schmalen Kuchenbaches gespeist. Ein Rekonstruktionsentwurf zeigt das beinahe quadratische eingeschossige Häuschen mit Pyramidendach und Wetterfahne auf der Spitze. Je ein auf drei Seiten hoch ansetzend eingebautes Rechteckfenster spendete dem Innenraum Licht.

Die Ausstattung beinhaltete neben dem eigentlichen Tauchbad im Keller einen Badeofen sowie eine Badewanne im Raum darüber. Für Intimsphäre sorgte eine schmale Wand, die den Raum in zwei Bereiche trennte. Ein Überlauf an der Oberkante des Tauchbeckens ermöglichte den Abfluss des gewonnenen Wassers sowie die Einhaltung der rituellen Vorschriften.16

Cemetery

Ein alter jüdischer Friedhof ist durch den Flurnamen „Judenfriedhof im Schneidmüllers Garten“ belegt, doch sind Lage und Gründungsjahr nicht bekannt.17

Ein jüngerer Friedhof befand sich auf dem Gelände des heutigen Bahnhofs. Infolge der Ausbauarbeiten für ein Umladegelände von Gütern aus Zügen an der 1870 gebauten Eisenbahntrasse von Gießen nach Alsfeld, wurde der jüdische Friedhof mit Genehmigung durch den Rabbiner nach 1902 aufgegeben und beseitigt.18 Auf diesem Friedhof an der heutigen Kirschgartenstraße, ehemals am südöstlichen Ortsrand, fast im Auebereich gelegen, bestanden 23 Gräber, die im Zeitraum von 1870 bis 1894 angelegt worden waren.19

Der jüngste Friedhof war im Oktober 1890 fertiggestellt worden. Er besteht noch heute, liegt südlich des alten Ortskerns Richtung Merlau und umfasst eine Fläche von rund 800 Quadratmetern. Der älteste Grabstein stammt aus dem Jahr 1897.20

Nieder-Ohmen, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Hessen, Landgrafen von · Schenk zu Schweinsberg, Freiherren von · Roth, Jakob · Simon, Seligmann · Frank, Simon · Wolf, Abraham · Frank, Emanuel · Roth IV, Jacob · Stern, Maier

Places

Merlau · Nordamerika

Sachbegriffe Ausstattung

Thorarollen

Sachbegriffe Architektur

Frauenemporen

Fußnoten
  1. HStAD A 14, in 440 sowie HStAM 17 d, von Lehrbach 10; vgl. auch HStAD R 21 J, 934
  2. Altaras, Synagogen 2007, S. 261
  3. Ruppin, Juden, S. 74
  4. Altaras, Synagogen 2007, S. 261
  5. Ortsartikel Nieder-Ohmen auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  6. Ortsartikel Nieder-Ohmen auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  7. Alsfelder Allgemeine, 1988, Nr. 262
  8. Ortsartikel Nieder-Ohmen auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  9. Ortsartikel Nieder-Ohmen auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  10. HStAD G 15 Alsfeld, T 95
  11. Aufzeichnungen von Heinrich Reichel, Nieder-Ohmen, 2001; Ortsartikel Nieder-Ohmen auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  12. Ortsartikel Nieder-Ohmen auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  13. Ortsartikel Nieder-Ohmen auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  14. Ortsartikel Nieder-Ohmen auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  15. Alsfelder Allgemeine, 1965, Nr. 198
  16. Vgl. Rekonstruktionsentwurf in Altaras, Synagogen 2007, S. 261 f.
  17. Information von Heinrich Reichel, Nieder-Ohmen, März 2009
  18. Alsfelder Allgemeine, 1988, Nr. 262
  19. Information von Heinrich Reichel, Nieder-Ohmen, März 2009
  20. Vgl. Nieder-Ohmen, Jüdischer Friedhof in LAGIS (s. Link)
Recommended Citation
„Nieder-Ohmen (Vogelsbergkreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/645> (Stand: 12.7.2023)