Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Nieder-Mockstadt Karten-Symbol

Gemeinde Florstadt, Wetteraukreis — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

vor 1806

Location

61197 Florstadt, Stadtteil Nieder-Mockstadt, Orlesstraße 1 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Ortsherren von Nieder-Mockstadt waren die Herren von Büdingen, bis nach anhaltenden Besitzstreitigkeiten schließlich um 1706 die Herren von Isenburg den Ort übernahmen. 1822 kam Nieder-Mockstadt an Hessen-Darmstadt.

Schon vor der Gründung der orthodoxen jüdischen Gemeinde im Jahr 1806 lebten Juden in Nieder-Mockstadt. Zur Gemeinde gehörten auch die in Ranstadt lebenden Juden, die ab 1849 zusammen mit den Juden aus Ober-Mockstadt eine eigene Gemeinde gründeten. 1828 lebten 53 Juden in Nieder-Mockstadt; 1861 waren es 89, was bei 700 Einwohnern einem Anteil von 12,7 Prozent entspricht. Bis zum Ende des Jahrhunderts sind die Zahlen rückläufig: 1905 lebten 32 Juden in Nieder-Mockstadt (4,58 Prozent bei 741 Einwohnern), 1924 waren es 40.1 Um 1924 war einer der Vorsteher der jüdischen Gemeinde Julius Halberstadt, 1936 waren dies Julius und Löb Halberstadt sowie Leo Kaufmann, der das Amt mit seinem Umzug nach Bönstadt im Jahr 1936 aufgab.2

Die Berufe der Nieder-Mockstädter Juden verteilten sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts auf Vieh- und Textilhändler. Es gab drei Kaufmänner (Kolonialwaren, Eisenwaren und Landesprodukte) sowie zwei Handwerker (Bäcker, Metzger).

Die Beteiligung der Juden aus Ober-Mockstadt und Stammheim am synagogalen Leben in Nieder-Mockstadt ermöglichte noch 1936 die Abhaltung von Gottesdiensten mit der notwendigen Anzahl religionsmündiger Männer.3 Ein Sitzungsprotokoll dieses Jahres, das die prekäre Situation der Gemeinde dokumentiert, bezeugt die Absicht der Synagogengemeinde sich aufzulösen4, obwohl zu dieser Zeit noch 17 Juden in Nieder-Mockstadt lebten. Der Landesverband israelitischer Religionsgemeinden in Hessen übernahm Vermögen und Liegenschaften der Gemeinde und verwaltete sie bis zur eigenen Handlungsunfähigkeit. 1937 löste sich die Gemeinde auf. Die Synagoge sollte an die politische Gemeinde verkauft werden, die sie zu einer Kirche umwandeln wollte.

Bis 1942 zog die Mehrheit der Juden aus dem Ort weg oder wanderte aus. Im Jahr 1942 wohnte nur noch Aron H. Hess in Nieder-Mockstadt, der von Nationalsozialisten verhaftet und in ein Konzentrationslager deportiert wurde. Er wurde vermutlich in Auschwitz ermordet.5

Betsaal / Synagoge

Es kann angenommen werden, dass schon vor Einrichtung der Synagoge ein Betraum bestand.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erwarb die orthodoxe jüdische Gemeinde in der heutigen Orlesstraße 1 ein nicht unterkellertes Scheunengebäude (Baujahr 1845), um es in eine Synagoge umzubauen. Das Haus stand am ehemals südöstlichen Rand des Straßendorfes. Aufgrund seiner wohl durch die ehemalige Scheunennutzung bedingte Höhe hob es sich von der Nachbarbebauung geringfügig ab.

Die Grundfläche des verputzten Fachwerkbaues, das auf einem niedrigen umlaufenden Massivsockel aufsitzt, beträgt etwa 100 Quadratmeter. Das Haus steht in der Bauflucht, giebelseitig zur Straße. Es hat ein Satteldach mit Schopfwalm im Nordosten und war mit Bieberschwanzziegeln gedeckt.

1936 war das Gebäude mit 4.800 Reichsmark gegen Feuer versichert. Die Synagoge befand sich in baulich gutem Zustand, denn einige Jahre zuvor war das Dach „vollständig erneuert worden“.6 Der Einheitswert des Synagogengebäudes wurde 1936 mit 2.400 Reichsmark angesetzt.7

Die beiden in der Südosttraufe eingebauten, erst in der oberen Hälfte des über zwei Geschosse verlaufenden Gebäudes ansetzenden, hochrechteckigen Fenster sind nicht mehr im Original erhalten. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass Lage und Format der heutigen den Vorgängern entsprechen. Der Haupteingang für Männer und Frauen lag im von der Straße abgewandten Südwestgiebel. Nachdem die Gottesdienstbesucher durch eine 1,60 Meter hohe und 1,24 Meter breite metallene Hoftür den Synagogenhof betreten hatten, gelangten sie über den schmalen Hofbereich auf der Nordwest-Seite des Gebäudes nach hinten zum Eingangsbereich.

Eine im Innern in der Nordwestecke eingebaute Treppe führte zur Empore. Diese verlief entlang der Schmalseite im Südwesten. Vermutlich waren die Frauen vom Männerraum durch ein Holzgitter oberhalb der Balustrade optisch getrennt. Unterhalb der Frauenempore lag ein Raum, in dem möglicherweise Religionsunterricht abgehalten wurde.8

Der über zwei Geschosse verlaufende Synagogensaal zeigt heute eine weiß getünchte Flachdecke mit Resten einer Stuckverzierung in der Mitte: Erkennbar ist ein zurückhaltend profilierter Spiegel, der vermutlich einen zierenden Rahmen für einen von der Decke hängenden Leuchter bot. Zum Inventar der Gemeinde gehörten drei Thorarollen, die sich 1936 allerdings in schlechtem Zustand befanden.9

Während des Novemberpogroms 1938 wurden Fenster und Türen zerschlagen und das gesamte Inventar der Synagoge demoliert. Zu Beginn der 1940er Jahre wurde die Eigentümerin der Synagoge, die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, gezwungen, das Gebäude an die politische Gemeinde zu verkaufen. Der Kaufpreis betrug 400 Mark.10 Nach langen Verhandlungen stellte sich schließlich 1950 der außerordentlich schlechte bauliche Gesamtzustand des Gebäudes durch andauernde Verwahrlosung heraus.11 1951 wurde der Umbau zu einem Feuerwehrgerätehaus genehmigt.12 Die Nordostseite des Gebäudes, wo vermutlich der Thoraschrein stand, ist bis auf eine kleine Luke im Giebel vollständig verändert. Hier wurde für die Nutzung des Gebäudes als Feuerwehrgerätehaus 1952 ein schmales, 1966 ein breites Schiebetor eingebaut und dadurch alle ehemals vorhandenen Reste des Inventars und vermutlich von außen erkennbare Elemente, die auf eine Synagoge hindeuteten, auf dieser Hausseite zerstört. Einzig der Umriss eines eventuell ehemals vorhandenen Fensters in der nordöstlichen Giebelwand kann von innen erahnt werden.

Heute steht das Gebäude leer. Es sind bauliche Mängel festzustellen (z.B. Nässeschäden). Eine Gedenktafel am Nordostgiebel erinnert an die ermordeten und vertriebenen jüdischen Nieder-Mockstädter.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Die Mikwe der Gemeinde befand sich nicht im Synagogengebäude, jedoch in ihrer Nähe, eventuell auf dem Grundstück der Orelsstr. 12, etwa 80 Meter südöstlich der Synagoge. Das Häuschen stand zurückgesetzt als separates Gebäude auf dem Hof.13 Damals gehörte die Hofreite Liebmann bzw. Gustav Halberstadt, der 1936 der Kassierer der Synagogengemeinde war. Das Gebäude hatte eine Grundfläche von etwa 30 Quadratmetern und war fünf Meter hoch. Es war mit 770 Reichsmark gegen Feuer versichert.14 Der geschätzte Einheitswert betrug zwischen 200 und 400 Reichsmark.15 Der erzwungene Verkauf des Mikwengebäudes an eine private Interessentin wurde für vermutlich 150 Reichsmark vorgenommen.16

Cemetery

Der Friedhof ist von einer Mauer umgeben. Er wurde offenbar während der NS-Zeit kaum zerstört.

Nieder-Mockstadt, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Fußnoten
  1. Ortsartikel Nieder-Mockstadt auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  2. GemA Florstadt: Protokoll von Albert Aaron, Landesverband israelitischer Religionsgemeinden Hessens, zur Lage der Synagogengemeinde Nieder-Mockstadt, 22.11.1936
  3. GemA Florstadt: Protokoll von Albert Aaron, Landesverband israelitischer Religionsgemeinden Hessens, über Lage der Synagogengemeinde Nieder-Mockstadt, 22.11.1936
  4. GemA Florstadt, Gemeinde: Nieder-Mockstadt XIII. Abt., Konv. 2, Fasz. 14, 1936
  5. Arnsberg, S. 139 sowie Ortsartikel Nieder-Mockstadt auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  6. GemA Florstadt, Protokoll von Albert Aaron, Landesverband israelitischer Religionsgemeinden Hessens, über Lage der Synagogengemeinde Nieder-Mockstadt, 22.11.1936, S. 2
  7. GemA Florstadt, Protokoll von Albert Aaron, Landesverband israelitischer Religionsgemeinden Hessens, über Lage der Synagogengemeinde Nieder-Mockstadt, 22.11.1936, S. 3
  8. Dagegen Ruppin, Juden, S. 100: Hinweis auf Selbstauskunft der jüdischen Gemeinde von Nieder-Mockstadt, dass kein Religionsunterricht stattfindet.
  9. GemA Florstadt, Schriftwechsel zwischen dem Landesverband israelitischer Religionsgemeinden Hessens und dem Vorsteher der jüdischen Gemeinde Nieder-Mockstadt, Löb Halberstadt, 2.9.1936
  10. GemA Florstadt, Kaufvertrag zwischen der politischen Gemeinde, dem Bürgermeister, und der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland über den Kauf der ehemaligen Synagoge in Nieder-Mockstadt, 24.1.1941; sowie GemA Florstadt, Fasz. 20 f., 1940–1941
  11. GemA Florstadt, Wertgutachten über den Zustand der ehemaligen Synagoge, 20.8.1950
  12. GemA Florstadt, Fasz. 26, 1951
  13. GemA Florstadt, Lageplan von 1898. Bei Altaras, Synagogen 2007, S. 390, findet sich nur der Hinweis „zubetoniert“; weitere Angaben zu Ortslage bzw. Informationsquelle fehlen.
  14. GemA Florstadt, Protokoll von Albert Aaron, Landesverband israelitischer Religionsgemeinden Hessens, über Lage der Synagogengemeinde Nieder-Mockstadt, 22.11.1936, S. 2
  15. GemA Florstadt, Schriftwechsel zwischen dem Vorsteher der jüdischen Gemeinde Nieder-Mockstadt, L. Halberstadt, und einem Vertreter des Landesverbandes israelitischer Religionsgemeinden, 2.9.1936, sowie: Protokoll von Albert Aaron, Landesverband, über Lage der Synagogengemeinde Nieder-Mockstadt, 22.11.1936, S. 3
  16. GemA Florstadt, Briefwechsel der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Mainz, mit einer privaten Interessentin aus Nieder-Mockstadt, 23.9.1940
Recommended Citation
„Nieder-Mockstadt (Wetteraukreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/179> (Stand: 5.9.2022)