Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

Nidda Karten-Symbol

Gemeinde Nidda, Wetteraukreis — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

13. Jahrhundert

Location

63667 Nidda, Schillerstraße 33 | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

religiöse Ausrichtung

orthodox

preserved

ja

Gedenktafel vorhanden

ja

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

Im 13. Jahrhundert besaß Ulrich von Hanau die Judenschutzprivilegien von Nidda, während die Ortsherren zu dieser Zeit die Grafen von Ziegenhain und Nidda waren. Nach dem Aussterben des Grafengeschlechtes ging die Stadt 1450 in landgräflich hessischen Besitz über. Eine Urkunde von 1311 belegt das Stadtrecht Niddas.

Die Privilegien Ulrichs von Hanau an den Schutzjuden aus dem 13. Jahrhundert belegt die frühe Anwesenheit von Juden in Nidda, doch war ihre Zahl war zunächst eher gering. Um 1830 lebten in Nidda 40 Personen jüdischen Glaubens; 1905 waren es 60. Gleichzeitig lebten in Geiß-Nidda, das zur jüdischen Gemeinde Nidda gehörte, 14 bzw. 20 jüdische Menschen.1

Seit wann eine Synagogengemeinde bestand, ist nicht bekannt, doch wahrscheinlich existierte sie bereits seit dem 17. Jahrhundert. Die Gemeinde besaß um 1877 mehrere Thorarollen. Ein Inventar über den mobilen Besitz der jüdischen Gemeinde in der Synagoge, 1960 erstellt, weist für 1938 fünf Thorarollen (à 4.500,00 RM), fünf Thorakronen, fünf Thoraschilder sowie fünf Lesefinger nach, letztere alle aus Silber. Der Wert dieser und aller weiteren Kultgegenstände belief sich auf die Summe von mehr als 45.000,00 RM. Vorsteher der jüdischen Gemeinde waren um 1841 Löb Katz, um 1886 David Leopold, um 1902 Carl Löb und um 1923 Theodor Levy, dem Jakob Wallenstein und um 1933 Emanuel Eckstein (verstorben 1939) folgten.2

Die Berufe der jüdischen Niddaer verteilten sich im 19. Jahrhundert auf den Handel mit Goldwaren und Uhren, Manufakturwaren, Vieh und landwirtschaftlichen Produkten, Tuch, Kleidern, Ellen- und Kurzwaren. Es gab Metzger, Bäcker und Schneider, Uhrmacher und Schlosser als handwerkliche Berufe.3

Seit 1933 emigrierten von den 60 noch hier lebenden Niddaer Juden 15 ins Ausland, 12 verzogen innerhalb Deutschlands. 28 jüdische Niddaer wurden in Konzentrationslagern bzw. unbekannten Orten in Polen ermordet.4 Das Schicksal der verbliebenen fünf ist bisher unklar. Im Jahr 1941 wurde die jüdische Gemeinde Nidda offiziell aufgelöst.5

Betsaal / Synagoge

Eine der ersten Synagogen, nach 1695 angelegt, befand sich im Dachraum des Hauses Gerbergasse 3–5. Der über zwei benachbarte Gebäude angelegte Gottesdienstraum wurde über das Haus Nr. 5 erschlossen. Der Thoraschrein befand sich vor der dunkelblau mit goldenen Sternen bemalten Ostwand. Der Deckenabschluss bestand aus einer holzvertäfelten Tonnendecke, möglicherweise ebenfalls bemalt, denn beim Auffinden des Raumes in den 1970er Jahren waren Reste hebräischer Inschriften an einigen der freiliegenden Dachbalken erkennbar. Im Zuge der Altstadtsanierung Niddas in den 1970er Jahren wurden beide Gebäude abgerissen.6

In der Nähe des Gebäudes Neue Straße 2, im alten Ortskern gelegen, hatte die jüdischen Gemeinde ein kleines Gebäude gemietet, das neben Gemeindeversammlungen auch die Möglichkeit zu zahlenmäßig umfangreicheren Gottesdiensten bot. Zudem diente das Haus vermutlich als Schulraum für Religionsunterricht.7

Die jüngste Synagoge steht in der Schillerstraße Nr. 33. Der Standort befindet sich im Norden des jüngeren Ortsrandes aus dem späten 19. Jahrhundert, an der Hauptstraße Richtung Schotten. Die Synagoge stand auf einem Grundstück von etwa 250 Quadratmetern Fläche mit dem Nordwestgiebel, der Haupteingangsseite, in der Bauflucht zur Nachbarbebauung. Sie wurde als Massivgebäude aus Basaltbruchsteinen 1877 errichtet und blieb unverputzt.8 Kreisbaumeister Wetter und Kreisbauaufseher-Assesor Schäfer hatten die behördlich Aufsicht.

Die Grundfläche der am 26.10.1877 eingeweihten Synagoge beträgt etwa 13 x 9,10 Meter. Ihr Satteldach war mit Schiefer gedeckt. Obwohl die Schillerstraße bauzeitlich vielfältige, typische Formen gehobener bürgerlicher Architektur aufweist, worunter auch unverputzte Häuser sind, fiel die Synagoge durch einzelne Details als Sakralgebäude ins Auge. Besonders markant war seine Fassadenseite. Die drei Vertikalen aus symmetrisch eingesetzten Fenstern zu beiden Seiten des Haupteingangs wurden von auf die Giebelspitze und beide Ecken gesetzten polygonalen Türmchen aus Sandstein bekrönt und umrahmt. Über einer profilierten Platte saß allen Türmchen ein gedrungener Wimperg auf, der an den Ecken in einem Knauf, auf der Giebelspitze mit einem ihm aufgesetzten metallenen Davidstern endete.

Der niedrige umlaufende Sockel wurde durch die um vier Stufen erhöht gelegene zweiflügelige Eingangstür in der Mittelachse unterbrochen. Eine zweite horizontale Zäsur markierte das umlaufende Gurtgesims, das über dem Eingang rechteckig ausgeführt war und so Platz für eine hebräische Inschriftentafel über der rundbogigen Türlaibung bot. Das zweibahnige Fenster mit Rose im rundbogigen Abschluss bestimmte die Mittelachse der Westfassade im Obergeschoss. Das Gebäude war dadurch deutlich dem neoromanischen Baustil zuzuordnen. Die zweibahnigen Rechteckfenster des Untergeschosses wirkten durch ihre breite Laibung und Sandsteinfassung mächtig und gedrückt; die rundbogigen hochrechteckigen Obergeschossfenster, die auf Höhe des Gesimses ansetzten, erschienen dagegen filigraner. Die in den Traufseiten in drei Achsen eingesetzten Rundbogenfenster waren in Unter-und Obergeschoss verschieden groß: Die unteren entsprachen etwa der halben Länge der Obergeschossfenster. Die übrige Wandfläche war schmucklos. Insgesamt wirkte das Gebäude, vom neoromanischen Stil stark inspiriert, sehr mächtig. Ein architektonisches Vorbild findet sich u. a. in der städtischen Synagoge in Kassel (Hauptsynagoge, untere Königstraße). Durch den rund 2,10 Meter nach Osten ausgreifenden Erker wurde der Ostgiebel akzentuiert, in dem der Aron Hakodesch Platz fand. Der Erker war etwa vier Meter breit und mit einem Satteldach gedeckt, dessen First auf Höhe des unteren Drittels der Hauptgebäudetraufe endete.

Im Innern befanden sich im nordwestlichen Eingangsbereich zwei Räume. Der nördliche diente zur Aufbewahrung der Kultusgegenstände, im südlichen war die Treppe zur Erschließung der dreiseitig umlaufenden Frauenempore eingebaut. Die Längsachse des Raumes war frei und bot Sicht auf das Vorlesepult mit der dahinter liegenden Aron Hakodesch-Nische. Der Thoraschrein stand in der Nische um einige Stufen erhöht und war durch einen aufwendig geschmückten Vorhang verdeckt. Von der Decke hingen Kronleuchter zur Beleuchtung des Innenraumes.9

Die Synagoge wurde bereits im Juli 1938 für 6.500,00 RM an eine Niddaer Firma verkauft, der das Nachbargrundstück gehörte. In dieser Zeit wurden alle Kultgegenstände nach Frankfurt am Main. gebracht. Die neuen Eigentümer ließen das Gebäude für 19.000,00 RM zu Wohnungen umbauen.10 An der Hauswand des Mehrfamilienwohnhauses wurde 1981 eine Erinnerungstafel angebracht, die dem ursprünglichen Nutzungszweck des Gebäudes sowie der ehemals in Nidda lebenden Juden gedenkt.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Im Jahr 1813 gab es in Geiß-Nidda mindestens zwei Tauchbäder in Kellern der Privathäuser von Meier Vollhaus und David Straus.11 Vermutlich gab es auch in Nidda Tauchbäder in Kellern von Privathäusern, doch sind sie bisher nicht nachgewiesen.

In den Neubau der Synagoge in der Schillerstraße 33 war in den östlich gelegenen Kellerräumen eine Mikwe integriert.12 In einem etwa 1,80 Meter hohen Kupferbecken, in dem das Regenwasser gesammelt wurde, konnte durch einen Ofen Wasser erhitzt werden, um es dann in das tiefergelegene Tauchbecken des Nachbarraums zu leiten. Da das Niddaufer nur etwa 100 Meter südöstlich liegt, wurde möglicherweise auch Grundwasser für die rituellen Waschungen genutzt.

Schule

Vermutlich wurde in einem durch die jüdische Gemeinde angemieteten Gebäude in der Neue Straße, das auch für Versammlungen und Gottesdienste genutzt wurde, Religionsunterricht abgehalten.13

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Religionsunterricht für die damals etwa 19 Kinder vermutlich in den Räumen der Synagoge abgehalten. Seit 1912 bestand offenbar die Notwendigkeit, über einen Lehrerverband den Unterricht mit Kindern aus Geiß-Nidda und Nieder-Mockstadt gemeinsam abzuhalten. Seit 1924 wurden die Niddaer Kinder durch den Schottener Lehrer Abraham Kaufmann unterrichtet.

Cemetery

Nidda besaß zwei jüdische Friedhöfe, Geiß-Nidda seit 1891 einen eigenen. Bis um 1831 begruben die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Nidda ihre verstorbenen Angehörigen auf dem jüdischen Friedhof im etwa acht Kilometer nördlich gelegenen Ulfa. Wegen großer Entfernung, besonders gefährlich in Zeiten, in denen Tote, die durch ansteckende Krankheiten oder Seuchen gestorben waren, beerdigt werden sollten, sowie wegen des beschwerlichen Weges beantragten die Niddaer Juden einen eigenen Friedhof. Dieser wurde ihnen vom zuständigen Rabbiner Levi aus Gießen 1831 unter der Auflage genehmigt, ihn nur im Seuchenfall zu benutzen und ansonsten in Ulfa zu beerdigen.14

Der 1831 angelegte Friedhof war einem christlichen vorgelagert und befand sich in der Bahnhofstraße am Stadtpark. Er hatte eine Fläche von etwa 330 Quadratmetern. 1891 wurde er offiziell geschossen.15 Seit 1890 war ein zweiter, etwa 700 Quadratmeter großer Friedhof in Betrieb, auf dem Gelände des jüngsten christlichen Friedhofes Zum Liebholz gelegen und durch eine Mauer von diesem getrennt. Mit der Auflassung des alten Niddaer Friedhofes im Jahr 1891 erhielt auch Geiß-Nidda ein eigenes Grundstück zur Anlage eines jüdischen Friedhofes.

Geiß-Nidda, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Nidda, Alter Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Nidda, Neuer Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen
Ulfa, ehemaliger Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustration available

(in Bearbeitung)

Indices

Persons

Hanau, Ulrich von · Ziegenhain und Nidda, Grafen von · Katz, Löb · Leopold, David · Löb, Carl · Levy, Theodor · Wallenstein, Jakob · Eckstein, Emanuel · Meier Vollhaus · David Straus · Kaufmann, Abraham · Levi, Rabbiner

Places

Geiß-Nidda · Polen · Schotten · Frankfurt am Main · Nieder-Mockstadt · Ulfa · Gießen · Kassel

Sachbegriffe Geschichte

Judenschutz · Schutzjuden · Konzentrationslager

Sachbegriffe Ausstattung

Thorarollen · Thorakronen · Thoraschilde · Lesefinger · Thoraschreine · Inschriftentafeln · Aron Hakodesch · Kronleuchter · Erinnerungstafeln · Kupferbecken

Sachbegriffe Architektur

Tonnendecken · Basaltbruchstein · Satteldächer · Schiefer · Sandstein · Wimperge · Knäufe · Davidsterne · Gurtgesimse · Rechteckfenster · Laibungen · Sandsteinfassungen · Rundbogenfenster · Erker · Frauenemporen

Fußnoten
  1. Stingl, Nidda, S. 39 ff.; Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 127
  2. Stingl, Fragmente, S. 137 ff., 144
  3. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 128
  4. Stingl, Fragmente, S. 169; vgl. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 129
  5. Stingl, Fragmente, S. 42
  6. Stingl, Fragmente, S. 12
  7. Stingl, Fragmente, S. 14
  8. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 128
  9. Stingl, Fragmente, S. 14, und Stingl, Nidda, S. 127 ff.
  10. Stingl, Fragmente, S. 31 f.
  11. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 128
  12. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 128
  13. Stingl, Fragmente, S. 14
  14. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 129
  15. Stingl, Fragmente, S. 103 ff.
Recommended Citation
„Nidda (Wetteraukreis)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/143> (Stand: 23.7.2022)